Verlangt eine Vergabestelle von den Bietern die Versicherung, dass „die Verdingungsunterlagen vollständig und frei von Widersprüchen“ sind, liegt hierin ein unzulässiges ungewöhnliches Wagnis – so die Vergabekammer des Bundes in einem aktuellen Beschluss vom 24.01.2008 (VK 3-151/07). In der Sache schrieb ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen eines nichtoffenen Verfahrens Bauleistungen aus. Die Vergabeunterlagen enthielten unter anderem folgende Bestimmungen: „Der Auftragnehmer versichert mit Abgabe des Angebotes, dass die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen und Angaben ausreichend waren, um sämtliche zur Preisbildung erforderlichen Umstände zu erfassen und damit die übernommenen Leistungen abnahmereif und funktionsfähig nach Ausführungsart und -umfang erbringen zu können.“ Daneben war vorgesehen, dass der Auftragnehmer den Auftraggeber über Widersprüche in den Vergabebestandteilen unverzüglich informieren muss, damit der Auftraggeber eine Entscheidung nach billigem Ermessen treffen kann. Mehrvergütungsansprüche sollten dem Auftragnehmer daraus nicht entstehen. Ein Bieter wendete sich gegen diese Bedingung und leitete ein Nachprüfungsverfahren ein. Mit Erfolg!
Risiko der Vollständigkeit und Fehlerfreiheit beim Auftraggeber
Die Vergabekammer des Bundes stellt klar, dass das Risiko der Vollständigkeit und Fehlerfreiheit der Verdingungsunterlagen beim Auftraggeber liegt. Mehrleistungen, die wegen Fehlern oder Lücken in den Unterlagen entstünden, müsse er vergüten; auch Verzögerungen gingen zu seinen Lasten. Bieter ihrerseits müssten die Vergabestelle unverzüglich auf unklare, lücken- oder sonst fehlerhafte Verdingungsunterlagen hinweisen. Bei erkannter oder erkennbarer Unvollständigkeit solle der Bieter sich nicht im Nachhinein hierauf berufen können. Die vom Bieter hier verlangte Vollständigkeitserklärung gehe aber weit über eine solche Mitwirkungspflicht hinaus. Mit der Erklärung beanspruche der Auftraggeber letztlich das Recht, die in den Verdingungsunterlagen liegenden Fehler im Nachhinein zu seinen Gunsten zu korrigieren, ohne dass dem Auftragnehmer irgendwelche Ausgleichsansprüche zustünden. In ihren finanziellen Auswirkungen sei die Belastung durch die Regelungen zudem nicht absehbar oder gar kalkulierbar.
Fazit
Bislang haben öffentliche Auftraggeber Bietern typischerweise eine sehr weitreichende Mitwirkungspflicht auferlegt. Dieser Praxis schiebt nunmehr die Vergabekammer des Bundes einen Riegel vor. Zwar müssen Bieter die Vergabestelle nach wie vor schnellstmöglich auf aus der Leistungsbeschreibung erkannte Vergaberechtsverstöße bzw. Lücken oder sonstige Unklarheiten hinweisen. Gleichwohl kann sich ein öffentlicher Auftraggeber durch Klauseln wie der dargestellten nicht vollständig entlasten und das Risiko der Vollständigkeit und Fehlerhaftigkeit der Unterlagen auf den Bieter abwälzen.