Das OLG Düsseldorf hat dem EuGH mit Beschluss vom 13.08.2014 (Verg 13/14) mehrere Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung von Zulassungsverfahren mit dem Ziel des Abschlusses von Arzneimittelrabattverträgen mit allen interessierten und geeigneten Wirtschaftsteilnehmern (sog. „Open-House-Modell“) vorgelegt.
Die Problemstellung
Vor dem Hintergrund des bestehenden Wunsch- und Wahlrechts von Empfängern sozialer Dienst- und Lieferleistungen gibt es insbesondere im Sozialleistungsrecht zahlreiche Vertragsarten, bei denen die Leistungsträger nicht bloß mit einzelnen ausgewählten Unternehmen, sondern mit allen sich anbietenden, geeigneten Leistungserbringern kontrahieren. Beispiele hierfür sind etwa Aufträge über die Lieferung zu rabattierender Arzneimittel gemäß § 130a Abs. 8 SGB V, Versorgungsverträge mit Pflegediensten und Rehabilitationseinrichtungen nach § 132a Abs. 2 Satz 1 SGB V bzw. § 21 SGB IX sowie sozialhilferechtliche Vereinbarungen nach den §§ 75 ff. SGB XII. Ob auch solche Verträge, obgleich sie keine exklusive Auswahlentscheidung des öffentlichen Auftraggebers beinhalten, dem Begriff des „öffentlichen Auftrags“ im Sinne des Vergaberechts unterfallen und damit ausgeschrieben werden müssen, ist bislang umstritten. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat hierzu die Auffassung vertreten, dass eine Entscheidung ohne jede Selektivität kein öffentlicher Auftrag im Sinne des Vergaberechts sei. Demgegenüber haben sich die Vergabekammern des Bundes schon mehrfach dahingehend geäußert, dass eine vom öffentlichen Auftraggeber zu treffende Auswahlentscheidung nicht Voraussetzung, sondern allenfalls notwendige und europarechtlich zwingende Folge eines öffentlichen Auftrags sei. Die Tatsache, dass ein öffentlicher Auftraggeber auf eine Auswahl verzichte und bestimmte Verträge mit all denjenigen Interessenten abschließen wolle, die die vorgegebenen Bedingungen des Vertrages akzeptierten, nehme dem Vertrag daher nicht den Charakter eines ausschreibungspflichtigen öffentlichen (Rahmen-)Vertrags.
Vorlagefragen des OLG Düsseldorf
Das OLG Düsseldorf hält es nun seinerseits jedenfalls nicht für ausgeschlossen, dass Auftragsvergaben in Zulassungsverfahren durchgeführt werden, die mangels exklusiver Auswahlentscheidung nicht dem Vergaberecht unterfallen. Insbesondere könne, anders als die Vergabekammern des Bundes meinten, dem EU-Recht nicht entnommen werden, dass Aufträge ausschließlich in Form öffentlicher Aufträge vergeben werden dürften. Vor diesem Hintergrund legt das OLG Düsseldorf nunmehr dem EuGH die Frage vor, ob der Begriff des öffentlichen Auftrags jedenfalls dann nicht mehr erfüllt ist, wenn öffentliche Auftraggeber ein Zulassungsverfahren durchführen, bei dem sie den Auftrag vergeben, ohne einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer auszuwählen. Gleichzeitig stellt das OLG Düsseldorf dem EuGH für den Fall, dass diese Frage zu bejahen ist, weitergehende Fragen nach den erforderlichen Modalitäten eines entsprechenden vergaberechtsfreien Zulassungsverfahrens. Insbesondere möchte das Gericht geklärt wissen, ob auch die Durchführung eines solchen Zulassungsverfahrens europaweit bekannt gemacht werden muss und welche sonstigen Verfahrensregelungen eingehalten werden müssen, um den Anforderungen des allgemeinen EU-Primärrechts an die Transparenz, den Wettbewerb und die Nichtdiskriminierung zu genügen.
Ausblick
Die anstehende Entscheidung des EuGH auf die Vorlage des OLG Düsseldorf wird aller Voraussicht nach bedeutende Auswirkungen nicht nur auf den Abschluss von Arzneimittelrabattverträgen, sondern auch auf die Beschaffung sonstiger sozialer Dienst- und Lieferleistungen haben. Dies gilt unabhängig davon, wie der EuGH sich entscheidet: Denn sollte der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass auch Verfahren ohne exklusive Auswahlentscheidung nach europäischem Vergaberecht durchgeführt werden müssen, würde die deutsche Sozialleistungslandschaft auf den Kopf gestellt – bislang sind dort Vergabeverfahren nach wie vor die Ausnahme. Sollte sich der EuGH stattdessen der vorläufigen Auffassung des OLG Düsseldorf anschließen und die Anwendbarkeit des Vergaberechts ablehnen, wird er stattdessen jedenfalls (mehr oder weniger detaillierte) Anforderungen an die Durchführung eines solchen ausschreibungsfreien Zulassungsverfahrens aufstellen und damit ebenfalls die Leistungsträger vor neue Herausforderungen stellen. Die Entscheidung aus Luxemburg darf daher mit Spannung erwartet werden.