Immer wieder beschäftigt die Frage einer faktisch unzulässigen Verkürzung der Wartefrist nach § 134 Abs. 2 Satz 2 GWB die Vergabenachprüfungsinstanzen. So hat das OLG Düsseldorf bereits 2014 und 2016 entschieden, dass der Auftraggeber die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes für die Bieter nicht dadurch unzumutbar erschweren dürfe, dass er die zehntägige Wartefrist nach § 134 Abs. 2 GWB so über Feiertage und Wochenenden lege, dass einem Bieter für die Entscheidung über einen Nachprüfungsantrag praktisch nur vier bis fünf Arbeitstage verblieben. In der Folge werde die Wartefrist nicht wirksam in Lauf gesetzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.11.2014, VII-Verg 20/14, abrufbar unter folgendem Link sowie OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.10.2016, VII-Verg 24/16, abrufbar unter folgendem Link). Nunmehr hat sich die VK Südbayern in ihrem Beschluss vom 04.08.2022 (3194.Z3-3_01-22-1, abrufbar unter folgenden Link) mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine unzulässige Verkürzung der Wartefrist auch dadurch erfolgen kann, dass der Auftraggeber Werktage zwischen Weihnachten und Neujahr, an denen die Vergabekammer dienstfrei hat, in die Frist einbezieht.
Relevanter Sachverhalt
Die Auftraggeberin übersandte der späteren Antragstellerin das Vorabinformationsschreiben am Donnerstag, den 23.12.2021, per E-Mail und nannte als frühestmöglichen Zeitpunkt für den Vertragsschluss Montag, den 03.01.2022.
Die Antragstellerin stellte sich auf den Standpunkt, dass die Vorabinformation der Auftraggeberin die Wartefrist von 10 Tagen nicht wirksam in Gang gesetzt habe, da unter Berücksichtigung der Weihnachtstage sowie Silvester und Neujahr der Antragstellerin lediglich 3,5 Arbeitstage verblieben seien, um die Vergabeentscheidung zu bewerten, gegebenenfalls zu rügen und um ein etwaiges Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Daher sei die Wartefrist unzumutbar verkürzt und entsprechend der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf nicht in Gang gesetzt worden.
Entscheidung der VK Südbayern: Die Wartefrist des § 134 Abs. 2 GWB kann auch dadurch faktisch unzulässig verkürzt werden, indem der Auftraggeber Werktage, an denen die Vergabekammer dienstfrei hat, einbezieht.
Zunächst hält die VK Südbayern fest, dass eine unzulässige faktische Verkürzung des Zeitraums der Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingelegt werden soll, im konkreten Fall dadurch in Rede stehe, dass die Auftraggeberin den Fristbeginn so gelegt habe, dass neben zwei Wochenenden noch der 24.12.2021 und der 31.12.2021 in die 10-Tagesfrist fielen. Diese beiden Tage seien nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 BayFTG keine gesetzlichen Feiertage und damit – da sie im Jahr 2021 nicht auf ein Wochenende gefallen seien – nach § 2 Abs. 3 BUrlG Werktage. Allerdings sei an diesen Tagen an der Regierung von Oberbayern dienstfrei. Ein Nachprüfungsantrag bei der VK Südbayern könne an diesen Tagen nicht gestellt werden. Die gesetzlichen Weihnachtsfeiertage seien dagegen im Jahr 2021 sämtlich auf das Wochenende gefallen, ebenso der Neujahrstag 2022.
Jedoch könne der Zeitraum für die Überprüfung und Entschließung hinsichtlich der Einreichung eines Nachprüfungsantrags auch dadurch unzulässig verkürzt werden, dass der Auftraggeber – neben Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen – auch die beiden einzigen Werktage im Jahr, an denen die Vergabekammer dienstfrei habe, in die Wartefrist einbeziehe.
Schon der Wortlaut des § 134 GWB, in dem von „Kalendertagen“ die Rede sei, spreche gegen ein Verständnis, dass die faktische Verkürzung nur durch die Einbeziehung von Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen verursacht werden könne. Maßgeblich sei nur die unangemessene Erschwerung des gemeinschaftsrechtlich geforderten effektiven Rechtsschutzes durch eine erhebliche faktische Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden solle, innerhalb der laufenden Frist nach § 134 GWB.
Im vorliegenden Fall führe allerdings nur die Einbeziehung des 31.12.2021 zu einer faktischen Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden solle. Auch wenn am 24.12.2021, einem Freitag, vermutlich sehr viele Arbeitnehmer Urlaub gehabt hätten bzw. Unternehmen und Behörden geschlossen gewesen seien, sei er doch ein Werktag, den die Antragstellerin für die Prüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden solle, habe nutzen können. Anders sei die Situation hingegen am 31.12.2021 zu bewerten. Dies sei der letzte Werktag innerhalb der laufenden Frist nach § 134 Abs. 2 GWB und die Tatsache, dass an diesem Tag kein Nachprüfungsantrag habe gestellt werden können, führe unmittelbar zu einer faktischen Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden solle, sowie für die Abfassung des Nachprüfungsantrags.
Bei einem Zuschlag am 03.12.2022 seien der Antragstellerin unter Berücksichtigung der beiden in die 10-Tages-Frist fallenden Wochenenden sowie des Silvestertags weniger als fünf volle Arbeitstage verblieben, um die Vergabeentscheidung zu bewerten, gegebenenfalls zu rügen und um rechtzeitig ein etwaiges Nachprüfungsverfahren einzuleiten, nämlich Freitag, der 24.12.2021, und Montag bis Mittwoch, der 27. bis 29.12.2021. Donnerstag, der 30.12.2021, könne nicht als voller Arbeitstag mit einbezogen werden, da bis zur Mittagszeit dieses Tages der Nachprüfungsantrag habe an die Vergabekammer übermittelt werden müssen, damit dieser eine Prüfung auf offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit nach § 163 Abs. 2 Satz 1 GWB sowie eine Information der Auftraggeberin vor Ablauf der Wartefrist noch möglich gewesen wäre. Der damit praktisch verbliebene Zeitraum von circa viereinhalb Arbeitstagen (unter Einschluss des 24.12.2021) liege an der „alleruntersten Grenze der nach der Rechtsprechung noch tolerierbaren faktischen Verkürzung der Wartefrist im Sinne von § 134 Abs. 2 GWB“.
Damit ließ die VK Südbayern durchblicken, dass sie die nach ihrer Auslegung zur Verfügung stehende Zeit von viereinhalb Arbeitstagen wohl noch als ausreichend erachtet hätte. Im Ergebnis hat sie im zur Entscheidung stehenden Fall jedoch darauf abgestellt, dass nicht die von der Auftraggeberin verursachte faktische Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung die verspätete Stellung des Nachprüfungsantrags bewirkt habe, sondern die mangelnde Organisation der Urlaubsvertretung des zuständigen Sachbearbeiters bei der Antragstellerin.
Fazit und Praxishinweis
Die VK Südbayern hat entschieden, dass auch die Einbeziehung von Werktagen, an denen die zuständige Vergabekammer dienstfrei hat, in die Wartefrist des § 134 Abs. 2 GWB deren unzumutbare Verkürzung bewirken kann.
Vor diesem Hintergrund müssen Auftraggeber bei der Gestaltung der Wartefrist nicht nur Feiertage, sondern auch dienstfreie Tage der zuständigen Vergabekammer auf dem Schirm haben.
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