Die Thematik der „Personalqualität als Zuschlagskriterium“ hält gleich einen ganzen Strauß an Herausforderungen für den Auftraggeber bereit, der im Rahmen des Vergabeverfahrens entsprechende Kriterien rechtssicher aufstellen und bewerten möchte. Insoweit stellt sich die Frage, bei welchen Dienstleistungen der Auftraggeber personenbezogene Kriterien aufstellen darf, wie diese von den Eignungskriterien abzugrenzen sind, welche Besonderheiten bei der Vergabe von sozialen und besonderen Dienstleistungen gelten und inwieweit der Auftraggeber bei der Bewertung auf die Beantwortung von Fragen durch Referenzgeber abstellen darf. Zwar sind die vorgenannten Aspekte allesamt einzeln in vergaberechtlichen Entscheidungen, sozusagen punktuell, behandelt worden. Nunmehr hat sich die VK Rheinland in ihrem lesenswerten Beschluss vom 27.09.2019 (VK 35/19-L, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) gleich mit dem ganzen Bündel an Konfliktfeldern beschäftigt und dabei viel Licht ins Dunkle gebracht.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin und spätere Antragsgegnerin schrieb die Leistungen Sicherheitsdienst und Objektschutz für mehrere städtische Gemeinschaftsunterkünfte europaweit aus. In der Leistungsbeschreibung war geregelt, dass der Auftragnehmer drei dort näher beschriebene Referenzen vorlegen muss. Diese Referenzen waren jeweils auf einem den Vergabeunterlagen beigefügten Vordruck einzureichen. Dieser enthielt zu den drei Kriterien „Persönliche Anforderungen an die Mitarbeiter“, „Arbeitseinsatz vor Ort“ und „Eigenschaften des Unternehmens“ jeweils eine Reihe vom Referenzgeber zu beantwortender Fragen. Die vorgelegten drei Referenzen sollten mit einem Gewicht von 60 % in die Bewertung eingehen. Je nach dem Grad der Kriteriumserfüllung konnten 100 %, 50 % oder 0 % der jeweiligen Höchstpunktzahl erreicht werden. Die Zuschlagskriterien und die Grade der Kriteriumserfüllung waren wörtlich aus den Vordrucken für die Referenzen übernommen, wo die Referenzgeber den jeweiligen Erfüllungsgrad anzukreuzen hatten.
Ein Unternehmen rügte zunächst erfolglos gegenüber der Auftraggeberin, dass die nichtpreisbezogenen Zuschlagskriterien nicht vergaberechtskonform seien, und stellte anschließend einen Antrag auf Vergabenachprüfung bei der VK Rheinland.
Mit Erfolg!
Entscheidung der VK Rheinland: Zwar sind die nichtpreisbezogenen Zuschlagskriterien nicht vergaberechtswidrig, allerdings wird die Vergabeentscheidung bei den qualitativen Zuschlagsmerkmalen in unzulässiger Weise an die Referenzgeber delegiert!
Zunächst stellt die VK Rheinland heraus, dass die von der Auftraggeberin vorgesehenen nichtpreisbezogenen Zuschlagskriterien vergaberechtskonform seien.
Erstens seien die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV gegeben, da die Qualität des eingesetzten Personals bei dem verfahrensgegenständlichen Auftrag erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben könne. Die ausgeschriebenen Dienstleistungen beinhalteten ständige Kontakte zu den Bewohnern der Gemeinschaftsunterkünfte und mit Rücksicht auf die Probleme, die das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum mit sich bringen könne, bedürfe es auf Seiten des Personals besonderer persönlicher Fähigkeiten, die bei Beschäftigten des Bewachungsgewerbes nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden könnten. Da § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV keine weitergehenden Anforderungen an die Art der Tätigkeit stelle, beschränke sich die Zulassung auftragsbezogener Qualifikationsmerkmale als Zuschlagskriterium nicht auf Aufträge, bei denen Dienstleistungen spezifisch intellektuellen Charakters erbracht werden sollen. Zwar gestatte § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV nur die Berücksichtigung der Qualifikation des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals und dieser Anforderung würden die von der Auftraggeberin verwendeten nichtpreisbezogenen Zuschlagskriterien nicht gerecht. Denn ein deckungsgleicher Einsatz der von den Referenzgebern beurteilten Personen im Rahmen der ausgeschrieben Leistung sei aufgrund von Personalfluktuation fernliegend und eine solche Personenidentität scheide auch aufgrund des unterschiedlichen Umfangs der Referenzaufträge und der möglichen Zeitgleichheit der Referenzaufträge aus. Allerdings werde die Bestimmung des § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV vorliegend durch die Sondervorschrift des § 65 Abs. 5 Satz 1 VgV modifiziert, da es sich bei den ausgeschriebenen Bewachungsleistungen um soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne von § 130 Abs. 1 GWB handele. Zumindest die erste Alternative in § 65 Abs. 5 Satz 1 VgV „Leistungen des Bieters“ sei von einer Personenidentität des bei den früheren Aufträgen und des beim ausgeschriebenen Auftrag eingesetzten Personals unabhängig und setze lediglich die Identität des Bieterunternehmens voraus. Daher genüge die von der Auftraggeberin gewählte Ausgestaltung der Wertungskriterien den Modifizierungen des § 65 Abs. 5 Satz 1 VgV.
Zweitens liege eine unzulässige Vermengung von Eignungs- und Zuschlagskriterien auch nicht darin, dass die Auftraggeberin die vorgelegten Referenzen auf verschiedenen Wertungsstufen geprüft habe. Denn dies sei unter verschiedenen sachlichen Gesichtspunkten geschehen. Zunächst sei überprüft worden, ob die Bieter überhaupt die geforderten Referenzen vorgelegt hätten, im Rahmen der Zuschlagsentscheidung dagegen, in welcher Qualität die Referenzaufträge ausgeführt worden seien.
Anschließend stellt die VK Rheinland jedoch fest, dass die Auftraggeberin die Vergabeentscheidung im Hinblick auf die qualitativen Zuschlagsmerkmale in unzulässiger Weise faktisch an die Referenzgeber delegiert habe. So sei eine eigenverantwortliche Überprüfung durch die Auftraggeberin weder in den Vergabeunterlagen vorgesehen gewesen noch tatsächlich erfolgt. Vielmehr ergebe sich die Zuerkennung der entsprechenden Punktwerte nach den vorgegebenen Rechenregeln unmittelbar daraus, in welche Felder des Referenzvordrucks die Referenzgeber jeweils ihr Kreuz gesetzt hätten. Ferner sei nicht gewährleistet, dass alle Referenzgeber bei ihren Beurteilungen die gleichen Wertmaßstäbe angewendet hätten. Daher verletze die unreflektierte Übernahme ihrer Bewertungen bei der Zuschlagsentscheidung auch das Gebot der Gleichbehandlung aller Bieter.
Fazit
Die Entscheidung der VK Rheinland stellt nochmals klar, dass der Anwendungsbereich von § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV nicht auf geistig-schöpferische Leistungen beschränkt ist. Daher kommt die Bewertung der Personalqualität grundsätzlich auch bei sonstigen Dienstleistungen in Frage, sofern die Personalqualität bei dem konkreten Auftrag erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann.
Ferner dröselt der Beschluss der VK Rheinland das Zusammenspiel von § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV mit den Modifikationen durch § 65 Abs. 5 Satz 1VgV bei sozialen und besonderen Dienstleistungen mustergültig auf. Dabei wird zutreffend herausgestellt, dass im Anwendungsbereich des § 65 Abs. 5 Satz 1 VgV die bewertete Personalqualität rein bieterbezogen ausgestaltet sein kann.
Schlussendlich wird in der Entscheidung deutlich, dass der Auftraggeber die Bewertungsentscheidung – entgegen einer recht weit verbreiteten Praxis – bei den qualitativen Kriterien nicht mittels eines entsprechenden Fragebogens allein auf die Referenzgeber verlagern darf.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Festlegung von Eignungs- und Zuschlagskriterien oder der Bewertungsmethode? Wir beraten Sie gerne!