Mit Urteil vom 03.04.2008 hat der EuGH in der Rechtssache C-346/06 – wider Erwarten – der Tariftreue im Vergaberecht eine klare Absage erteilt. Es ging um das Vorabentscheidungsersuchen des OLG Celle vom 03.08.2006 (MI 7-8/06) zur Tariftreueregelung im niedersächsischen Landesvergabegesetz vom 02.09.2002 (in der geänderten Fassung vom 09.12.2005). Hiernach müssen sich Unternehmen bei der Bewerbung um einen öffentlichen Bauauftrag mit Angebotsabgabe verpflichten, ihren Mitarbeitern mindestens das tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu zahlen. Ohne Tariftreueerklärung sind entsprechende Angebote von der Wertung auszuschließen.
Verstoß gegen europäisches Recht
Der EuGH stützt seine Entscheidung auf die Gemeinschaftsrichtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern sowie Art. 49 EG-Vertrag. Konkret sei der Lohnansatz nach dem Baugewerbe-Tarifvertrag nicht nach einer der in der genannten Richtlinie vorgesehenen Modalität festgelegt worden. Zwar gebe es in Deutschland ein System zur allgemeinverbindlichen Erklärung von Tarifverträgen. Der konkrete Baugewerbe-Tarifvertrag sei allerdings nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden. Außerdem erstrecke sich die Bindungswirkung des Tarifvertrages lediglich auf einen Teil der Bautätigkeit, nämlich nur auf die Vergabe öffentlicher Aufträge und nicht auf die Vergabe privater Aufträge. Weiter hat der EuGH festgestellt, dass die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, die sich aus der Verpflichtung zur Zahlung des tarifvertraglich vorgesehenen Entgelts an die Arbeitnehmer ergebe, nicht durch den Zweck des Schutzes der Arbeitnehmer gerechtfertigt sei. Es sei nicht nachgewiesen worden, dass ein im Bausektor tätiger Arbeitnehmer nur bei seiner Beschäftigung im Rahmen eines öffentlichen Bauauftrags und nicht bei seiner Tätigkeit im Rahmen eines privaten Auftrags des Schutzes bedürfe, der sich aus einem solchen Lohnsatz ergebe (der im Übrigen über den Lohnsatz nach dem deutschen Arbeitnehmerentsendegesetz hinausgehe).
Reaktion der Länder
Das EuGH- Urteil zur Tariftreue hat bei den acht Bundesländern, die derzeit Tariftreueerklärungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge fordern, umfassende Reaktionen ausgelöst. Es wird überlegt, wie mit den betroffenen Regelungen zukünftig zu verfahren ist und wie laufende Vergabeverfahren zu behandeln sind. Die meisten Bundesländer beabsichtigen, ihre Tariftreueklauseln auszusetzen. Hinsichtlich laufender Ausschreibungen hat insbesondere das niedersächsische Wirtschaftsministerium ergänzende Hinweise zum Landesvergabegesetz veröffentlicht und weist mittlerweile darauf hin, dass laufende Ausschreibungen (entgegen früher vertretener Auffassung) wegen des EuGH-Urteils nicht grundsätzlich aufzuheben seien. Öffentliche Auftraggeber müssten im Einzelfall prüfen und entscheiden, ob die laufende Ausschreibung wegen eines schwerwiegenden Grundes aufgehoben werden müsse. Auch die Bundesregierung wird wohl im Rahmen der geplanten Reform auf das EuGH-Urteil reagieren müssen. Nach der Begründung des kürzlich vorgelegten Referentenentwurfs kann die Tariftreue im Rahmen der Zuverlässigkeit eines Bieters zulässigerweise berücksichtigt werden.