Zur Erinnerung: Während es für Bieter bei staatlichen Auftragsvergaben oberhalb der europäisch bestimmten Schwellenwerten von 211 000 € bzw. 422 000 € bei Dienstleistungsaufträgen und rund 5, 3 Mio. € bei Bauaufträgen mit dem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern (§§ 107 ff. GWB) ein ausgefeiltes Rechtsschutzsystem gibt, war die Situation bei kleineren Aufträgen bislang ungeklärt. Neben der vorrangigen Frage, ob den Bietern auch unterhalb der Schwellenwerte überhaupt klagbare Rechte – etwa aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – zustehen, dreht sich die Diskussion auch darum, welche Gerichte für solche Streitigkeiten gegebenenfalls zuständig sein sollen: Die Zivilgerichte mit den Landgerichten als Eingangsinstanz oder aber die Verwaltungsgerichte. Die Frage ist für alle Bieter in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Zum einen in ganz praktischer Hinsicht zur Beantwortung der Frage, bei welchem Gericht ein Rechtsschutzbegehren – in aller Regel ein eilbedürftiger Antrag auf einstweilige Untersagung der Zuschlagserteilung – einzureichen ist. Zum anderen für die Beurteilung der Erfolgsaussichten. Denn das Verwaltungsgerichtsverfahren erleichtert dem Bieter durch den geltenden Amtsermittlungsgrundsatz die Beweisführung.
Anwendbarkeit der sogenannten Zweistufentheorie
Das OVG NRW hatte einer Leitentscheidung des OVG Rheinland-Pfalz vom Mai 2005 folgend in einer ganzen Reihe von Urteilen die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit angenommen. Seine Auffassung stützte das OVG NRW dabei auf eine von ihm angenommene Zweistufigkeit des Vergabeverfahrens: Zwar sei der Vertragsschluss zwischen der öffentlichen Hand und dem privaten Bieter sowie die Abwicklung des nachfolgenden Vertragsverhältnisses privatrechtlicher Natur. Dem Vertragsschluss ginge jedoch eine Entscheidung über die Auswahl des zu beauftragenden Bieters voraus. Diese Auswahlentscheidung, deren behauptete Rechtswidrigkeit regelmäßig der Gegenstand der entsprechenden Klagen unterlegener Bieter sei, werde maßgeblich durch öffentlich-rechtliche Sondervorschriften wie etwa die Haushaltsordnungen oder auch die in verschiedenen Bundesländern existierenden Tariftreuegesetze geprägt. Im Ergebnis seien die Streitigkeiten damit öffentlich-rechtlicher Natur und folglich durch die Verwaltungsgerichte zu entscheiden.
OVG NRW entscheidet knapp „neben“ dem BVerfG und festigt die eigene Rechtsprechung
Etwas anders entschied dagegen das Bundesverfassungsgericht in einem im Oktober 2006 veröffentlichten Grundsatzbeschluss zum Rechtsschutz bei Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte. Danach handeln die Vergabestellen bei der Vergabe von Aufträgen nicht als Träger öffentlicher Gewalt. Vielmehr werde der Staat in privatrechtlicher Handlungsform als Nachfrager am Markt tätig, um seinen Bedarf an bestimmten Gütern oder Leistungen zu decken. In dieser Rolle unterscheide er sich nicht grundlegend von anderen Marktteilnehmern.
Wer angesichts dieser knappen Ausführungen der Karlsruher Richter geglaubt hatte, das OVG NRW würde seine Rechtsprechung aufgeben, sieht sich nun durch eine Entscheidung vom 12. Januar 2007 (Az: 15 E 1/07) eines Besseren belehrt: Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, so das OVG, betreffe zum einen nicht die Frage, welcher Rechtsweg für den vergaberechtlichen Primärrechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte eröffnet sei, sondern lege die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung dieses Rechtsschutzes fest. Zum anderen sage die Wertung, die Vergabeentscheidung erfolge mangels Über-/Unterordnungsverhältnis nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt, nichts über den privatrechtlichen bzw. eben öffentlich-rechtlichen Charakter des Rechtsverhältnisses aus.
Die Entscheidung aus Münster erscheint konsequent und in der Sache insoweit vertretbar, als in der Tat auch Rechtsverhältnisse, in denen sich die Vertragspartner gleichberechtigt gegenüber stehen, öffentlich-rechtlicher Natur sein können. Dies zeigt gerade die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit des Abschlusses öffentlich-rechtlicher Verträge als Alternative zum Erlass eines hoheitlichen Verwaltungsaktes. Vor allem aber stützt das OVG NRW die Einstufung der Streitigkeit weniger auf das nachfolgende Vertragsverhältnis als vielmehr auf das vorgeschaltete, öffentlich-rechtlich geprägte Auswahlverfahren. Diese Zweistufigkeit sei bei Vertragsschlüssen zwischen Privaten nicht gegeben.
Fazit: Rechtsschutzunterschiede zwischen einzelnen Bundesländern bleiben bestehen
Im Ergebnis gilt es damit, zweierlei festzuhalten: Unternehmen, die sich um Aufträge nordrhein-westfälischer Vergabestellen bemühen, stehen auch unterhalb der Schwellenwerte subjektive Rechte aus Art. 3 Abs. GG in Verbindung mit den Verdingungsordnungen VOL, VOB und VOF zu. Diese Rechte können sie – gegebenenfalls im Eilverfahren – vor den Verwaltungsgerichten geltend machen. Bei Angebotsabgaben in anderen Bundesländern muss dagegen aufgrund der teilweise abweichenden Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte – etwa des VGH Baden-Württemberg - die jeweilige gerichtliche Zuständigkeit genau geprüft werden.