Mit zwei Beschlüssen vom 30.05.2011 (20 B 1502/10 und 20 B 1503/10) hat nun auch das OVG Münster erstmals über die vorläufige Zulässigkeit privater PPK-Sammlungen mittels Blauer Tonnen entschieden und sich dabei eindeutig zu Gunsten des privaten Sammlers positioniert. Jedenfalls bis zu einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sammlungen in der Hauptsache kann dieser nun seine Sammlungen in zwei kreisangehörigen Kommunen weiter fortsetzen.
Der Sachverhalt
Konkret hatte das OVG Münster über zwei gewerbliche Sammlungen auf dem Gebiet verschiedener im Rhein-Kreis Neuss belegener Gemeinden zu entscheiden. Die Sammlungen wiesen jeweils die Besonderheit auf, dass das private Entsorgungsunternehmen seine Tätigkeit zunächst als Drittbeauftragter der gemäß § 5 Abs. 6 LAbfG NRW für die Sammlung und den Transport von Abfällen aus privaten Haushaltungen zuständigen Gemeinden begonnen und erst später im Einvernehmen mit der Gemeinde in eine gewerbliche Sammlung überführt hatte. Im Zuge der Umstellung der Sammlung wurden die Abfälle nicht mehr der vom Kreis bei der Erfüllung seiner Entsorgungspflicht eingesetzten Wertstoffsortier- und Abfallbehandlungsanlage, sondern einer anderen Verwertungsanlage zugeführt. Die Gemeinden hatten ihrerseits ihre eigene Sammlungstätigkeit unter Hinweis auf das Bestehen einer zu 100% flächendeckenden gewerblichen Sammlung eingestellt und die bestehenden Entsorgungsverträge ruhend gestellt. Hiergegen wandte sich der Rhein-Kreis Neuss und untersagte dem Entsorgungsunternehmen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fortführung seiner gewerblichen Sammlung.
OVG: BVerwG hat Rechtslage nicht abschließend geklärt
Bereits das VG Düsseldorf hatte erstinstanzlich entschieden, dass die Fragestellung, ob es sich bei der privaten Sammlung um eine gewerbliche Sammlung im Sinne des § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG handele, welcher zudem keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstünden, erst im Hauptsacheverfahren abschließend beantwortet werden könne. Dieser Einschätzung schließt sich das OVG Münster nun ausdrücklich an. Insbesondere stellt das Gericht dabei klar, dass auch das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Entscheidung vom 18.06.2009 (7 C 16.08) die Kriterien für eine „gewerbliche Sammlung“ und für ein „Entgegenstehen überwiegender öffentlicher Interessen“ nicht abschließend geklärt habe. Dies folge schon daraus, dass die im Urteil des BVerwG genannten Kriterien für zulässige gewerbliche Sammlungen von Altpapier, die die Überlassungspflicht entfallen ließen, unter dem Blickwinkel ihrer Vereinbarkeit mit europarechtlichen Vorgaben Fragen aufwürfen, die sich einer gesicherten Beantwortung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entzögen. In diesem Zusammenhang verweist das OVG auch auf den Gesetzesentwurf der Bundesregierung für ein neues Kreislaufwirtschaftsgesetz („KrWG-E“), welcher unter Hinweis auf die europarechtlich vorgegebene Wahrung der Warenverkehrs- und Wettbewerbsfreiheit ersichtlich von der Rechtsprechung des BVerwG abweiche und breiteren Raum für private Sammlungstätigkeiten bereitstelle.
Prüfung der Sammlungsuntersagung am Maßstab des KrWG-E
Ausgehend von dem dem Gesetzesentwurfs zugrunde liegenden Verständnis für die Zulässigkeit gewerblicher Sammlungen sei zweifelhaft, ob die untersagten Tätigkeiten tatsächlich nach § 13 Abs. 1 S. 1, 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG unzulässig seien. Insbesondere sei keine erhebliche Bedrohung oder massive Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und der Entsorgungstätigkeit des Rhein-Kreises Neuss erkennbar. Die angegriffenen Ordnungsverfügungen gingen offensichtlich nicht zurück auf vorhandene oder absehbare Entsorgungsschwierigkeiten oder auf die Annahme einer nicht vertretbaren Gebührenbelastung. Vielmehr seien die Verfügungen allein motiviert durch die seitens des Kreises im Urteil des BVerwG vom 16.08.2009 (7 C 16.08) erblickten Handlungsmöglichkeiten zur weiteren Absenkung der Abfallgebühren.
Prüfung der Sammlungsuntersagung am Maßstab des BVerwG-Urteils
Aber auch unter Zugrundelegung der im Urteil des BVerwG genannten Kriterien sei die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügungen jedenfalls nicht eindeutig zu bejahen. Denn auch wenn die Sammlungen der Antragstellerin die vorherigen Sammlungen des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers vollständig ersetzt und dessen Erscheinungsbild übernommen hätten, bedürfe doch zumindest näherer Betrachtung, welcher Stellenwert den im Urteil des BVerwG angesprochenen Aspekten von (aus Sicht des OVG hier nicht vorliegenden) vertraglichen Bindungen und Entgeltvereinbarungen im Rahmen der Gesamtwürdigung der privaten Tätigkeit als „gewerbliche Sammlung“ zukomme. Zudem seien selbst „mehr als nur unerhebliche Auswirkungen auf die Organisation und Planungssicherheit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers“ nicht verlässlich gesichert. Denn weder verdränge oder beeinträchtige die private Sammlung von den betroffenen Gemeinden vorgehaltene Entsorgungsstrukturen, noch könne sich der Kreis auf eine geplante Neuausschreibung der Altpapierverwertung berufen, in der die zurzeit gewerblich gesammelten Mengen berücksichtigt werden sollten. Auch konkrete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer (vertraglichen) Vorkehrung für den Fall, dass die private Sammlung in Zukunft eingestellt werden sollte, sieht das OVG angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht. Schließlich sei dem Vorbringen des Kreises auch nicht zu entnehmen, dass die mit den durch den privaten Entsorger gesammelten Altpapiermengen zu erzielenden Mehreinnahmen die Abfallgebühren des Kreises wesentlich bestimmten oder substantiell für die Funktionsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgung seien.
Allgemeine Interessenabwägung zugunsten des privaten Sammlers
Eine von den Erfolgsaussichten der Klage losgelöste allgemeine Interessenabwägung habe, so das OVG weiter, in jedem Fall zu Gunsten des privaten Sammlers auszufallen, welcher sich auf seine grundrechtlich geschützten Freiheiten berufen könne. Dies habe umso mehr zu gelten, als das Risiko, dass sich Entsorgungsstrukturen während des Klageverfahrens zu Lasten des privaten Sammlers verfestigten, nicht von der Hand zu weisen sei.
Fazit
Die Entscheidung des OVG Münster reiht sich in eine Abfolge jüngster obergerichtlicher einstweiliger Rechtsschutzentscheidungen zu Gunsten privater Sammler ein, die nicht nur auf eine weite Interpretation der durch das BVerwG aufgestellten Kriterien beruhen, sondern darüber hinaus auch Zweifel der Gerichte an der Europarechtmäßigkeit der BVerwG-Rechtsprechung erkennen lassen. Es wird daher immer wahrscheinlicher, dass – sollte sich die Frage nach der Europarechtmäßigkeit der BVerwG-Rechtsprechung nicht zwischenzeitlich durch ein Inkrafttreten des KrWG mit einer entsprechenden Neufassung der Überlassungspflichten überholen – zumindest die letztinstanzlich zuständigen Oberverwaltungsgerichte in anhängigen Hauptsacheverfahren diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vorlegen werden. Von der durch eine solche Vorlage zu schaffenden Rechtssicherheit würden letztlich alle Beteiligten profitieren.