Liegen nach Ablauf der Angebotsfrist unvollständige Angebote vor, stellt sich für Auftraggeber die Frage nach der Möglichkeit (bzw. bei VOB-Vergaben sogar gegebenenfalls Pflicht) zur Nachforderung von Unterlagen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Bestbieter seinem Angebot einzelne Eignungsnachweise nicht beigefügt hat. In seinem aktuell veröffentlichten Beschluss vom 06.02.2019 (17 Verg 6/18, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) hat das OLG Rostock nicht nur nochmals festgehalten, dass Unterlagen, die die Eignung betreffen, stets unternehmensbezogene Unterlagen im Sinne der Regelungen zur Nachforderung in den Vergabeordnungen sind. Vielmehr hat sich der Vergabesenat auch zu der interessanten und praxisrelevanten Fragestellung geäußert, unter welchen Voraussetzungen eine vorweggenommene Ermessensausübung des Auftraggebers dahingehend anzunehmen ist, später nicht nachzufordern. Schlussendlich hat sich das Gericht zum Zeitpunkt der Erstellung von nachgeforderten Eigenerklärungen und einer Nachforderung per Telefon positioniert.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin und spätere Antragsgegnerin schrieb im Wege eines offenen Verfahrens die dezentrale Schmutzwasserbeseitigung europaweit aus.
Zwei Bieter, die Antragstellerin und die Beigeladene, gaben ein Angebot ab. Die Antragstellerin rügte diverse Vergabeverstöße und legte nach Erhalt des Nichtabhilfeschreibens erfolglos einen Vergabenachprüfungsantrag bei der VK Mecklenburg-Vorpommern ein. Gegen den ablehnenden Vergabekammerbeschluss ging sie mit der sofortigen Beschwerde zum OLG Rostock vor.
Nachdem die Antragstellerin im Rahmen der im Beschwerdeverfahren gewährten Akteneinsicht Kenntnis von den Vorgängen rund um eine gegenüber der Beigeladenen erfolgte Nachforderung von Unterlagen erhalten hatte, beanstandete sie über ihren bisherigen Vortrag hinausgehend, dass das Angebot der Beigeladenen nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV habe ausgeschlossen werden müssen. Dazu trug sie vor, dass:
Die um die vorstehende Begründung ergänzte sofortige Beschwerde blieb jedoch ohne Erfolg!
Entscheidung des OLG Rostock: Die Eignungsunterlagen wurden im Einklang mit den vergaberechtlichen Vorgaben nachgefordert und nachgereicht!
Dem OLG Rostock zufolge war das Angebot der Beigeladenen – entgegen dem antragstellerseitigen Vortrag – nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV als unvollständig auszuschließen.
Erstens seien die nachgeforderten Eigenerklärungen nicht im Sinne des § 56 Abs. 3 VgV im Rahmen der Zuschlagskriterien auf die zu erbringende Leistung, sondern im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VgV auf das Unternehmen bezogen. Sie beträfen die Eignung der Beigeladenen und nicht die Wirtschaftlichkeit der angebotenen Leistung, sodass sie als „unternehmensbezogene Unterlagen“ nachgefordert werden durften.
Zweitens liege die Nachforderung solcher Unterlagen nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV im Ermessen des Auftraggebers. Zwar könne er gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV sein Ermessen bereits mit der Ausschreibung dahingehend auf null reduzieren, dass er eine Nachforderung ausschließe. Dies sei hier jedoch nicht erfolgt. Eine entsprechende Selbstbindung des Auftraggebers sei dann anzunehmen, wenn der Auftraggeber in der Ausschreibung angebe, „Erklärungen und Nachweise werden in keinem Fall nachgefordert“, „Unterlagen und Erklärungen sind zwingend vorzulegen“ oder „Angebote, die die geforderten Voraussetzungen nicht aufweisen, werden ausgeschlossen“. Die erforderliche vergleichbare Deutlichkeit weise die streitgegenständliche Angebotsaufforderung mit der Formulierung „mit dem Angebot einzureichen“ jedoch nicht auf.
Drittens begegne auch der Umstand, dass die Beigeladene die nachgeforderten Eigenerklärungen nicht bis zum Ablauf der Angebotsfrist, sondern erst am Tag der nachträglichen Einreichung erstellt habe, keinen Bedenken. Nacherstellte und innerhalb der Nachfrist eingereichte Eigenerklärungen stellten nur eine zulässige Vervollständigung der unternehmensbezogenen Unterlagen dar, die dem Bieter keinen Wettbewerbsvorteil verschafften.
Viertens sei ein Verstoß gegen § 9 Abs. 2 VgV, nach dem eine Kommunikation insbesondere dann nicht mündlich erfolgen dürfe, wenn sie die Angebote betreffe, aufgrund der telefonischen Nachforderung der Unterlagen nicht gegeben, weil sie zudem auch per E-Mail erfolgte.
Fazit
Die Entscheidung des OLG Rostock ist in gleich mehrerlei Hinsicht interessant und instruktiv.
Zunächst sind Eignungsunterlagen stets „unternehmensbezogene Unterlagen“, deren Nachforderung im Ermessen des Auftraggebers liegt.
Eine vorweggenommene Selbstbindung des Auftraggebers dahingehend, dass er von einer Nachforderung absehen wird, kann nur dann angenommen werden, wenn dies hinreichend deutlich aus den Vergabeunterlagen hervorgeht.
Die nachgeforderten Eignungsunterlagen müssen nicht bis zum Ablauf der Angebotsfrist, sondern können bis zur (fristgemäßen) Nachreichung erstellt worden sein.
Zumindest eine zusätzlich zur elektronischen Nachforderung – sozusagen erinnernd – per Telefon erfolgende Aufforderung zur Nachreichung von Unterlagen ist unschädlich.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Nachforderung von Unterlagen im Rahmen eines Vergabeverfahrens? Wir beraten Sie gerne!