Seit langem wird kontrovers diskutiert, ob ein privater Übertragungsnetzbetreiber Sektorenauftraggeber ist oder nicht. Vertrat die VK Lüneburg in ihrem Beschluss vom 13.05.2016 (VgK-10/2016, abrufbar unter folgendem Link) die Auffassung, die dauerhaft lenkende und fördernde Duldung eines bestehenden Oligopols sei einer Gewährung besonderer und ausschließlicher Rechte im Sinne des § 100 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) GWB gleichzusetzen und damit die Sektorenauftraggebereigenschaft des privaten Übertragungsnetzbetreibers zu bejahen, gelangte nun das OLG München in seinem Beschluss vom 28.08.2019 (Verg 15/19, abrufbar unter folgendem Link) zur gegenteiligen Auffassung mit der Folge, dass eine Bindung des privaten Übertragungsnetzbetreibers an das EU-Kartellvergaberecht nicht bestehen soll.
OLG München: Sektorentätigkeit wird nicht auf Grundlage besonderer oder ausschließlicher Rechte ausgeübt, die von der zuständigen Behörde gewährt wurden!
Zu dieser Einschätzung gelangt das OLG München mit folgender Argumentation:
Zwar übe der private Übertragungsnetzbetreiber unzweifelhaft eine Sektorentätigkeit im Sinne des § 102 Abs. 2 Nr. 1 GWB aus, da er Übertragungsnetze für die Elektrizitätsversorgung betreibe.
Allerdings ist nach dem OLG München die weitere Voraussetzung des § 100 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) GWB, dass diese Tätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgeübt wird, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden, nicht gegeben.
Auch wenn im gesamten Bundesgebiet derzeit nur vier Übertragungsnetzbetreiber existierten, die Übertragungsnetze unter diesen regional aufgeteilt seien und somit ein faktisches Oligopol bestehe, könne – entgegen der von der VK Lüneburg (Beschluss vom 13.05.2016 – VgK-10/2016, abrufbar unter folgendem Link) vertretenen Sichtweise – die dauerhaft lenkende und fördernde Duldung eines bestehenden Oligopols nicht mit der erforderlichen Gewährung besonderer und ausschließlicher Rechte gleichgesetzt werden. Insbesondere seien – unter Verweis auf das OLG Celle (Beschluss vom 08.08.2013 – 13 Verg 7/13, abrufbar unter folgendem Link) – private Übertragungsnetzbetreiber nicht bereits im Hinblick auf die Genehmigungspflicht nach § 4 EnWG als Sektorenauftraggeber zu qualifizieren.
Bereits nach dem Wortlaut des § 100 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) GWB komme es auf ein „Recht“ an, das durch eine zuständige Behörde „gewährt“ werde. Ein faktisch bestehendes Oligopol hingegen sei kein staatlich gewährtes Recht.
Zudem definiere § 100 Abs. 2 Satz 1 GWB besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne von § 100 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) GWB als „Rechte, die dazu führen, dass die Ausübung dieser Tätigkeit einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird“; daran fehle es bei privaten Übertragungsnetzbetreibern. Zwar bedürfe die Aufnahme des Betriebs eines Energieversorgungsnetzes nach § 4 Abs. 1 EnWG der Genehmigung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde, allerdings dürfe die Erteilung der Genehmigung gemäß § 4 Abs. 2 EnWG nur versagt werden, wenn der Antragsteller nicht die personelle, technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit besitze. Da mithin jedes Unternehmen, welches die Voraussetzungen erfülle, unabhängig von Überlegungen, ob es im jeweiligen regionalen Gebiet bereits anderer Netzbetreiber gebe und ob für weitere Netzbetreiber Bedarf bestehe, einen Anspruch auf Genehmigung habe, würden den bisherigen Netzbetreibern gerade keine Rechte übertragen, die die Tätigkeitsmöglichkeiten anderer Unternehmen beeinträchtigten.
Fazit
Die Argumentation des OLG München überzeugt. Im Ergebnis fehlt es für die Einordnung von privaten Übertragungsnetzbetreibern als Sektorenauftraggeber an der erforderlichen Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte durch die zuständige Behörde. Das faktische Oligopol ist weder „Recht“ noch wird es „gewährt“. Ebenso wird durch die bei Vorliegen der Voraussetzungen zu gewährende § 4 EnWG-Genehmigung die Möglichkeit anderer Unternehmen zur Ausübung der Tätigkeit nicht erheblich beeinträchtigt.
Sollte sich die Auffassung des OLG München durchsetzen, was zunächst abzuwarten bleibt, sind private Übertragungsnetzbetreiber nicht an das EU-Kartellvergaberecht gebunden.
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