Die Möglichkeit zur Zulassung und Wertung von Nebenangeboten auch in Vergabeverfahren, bei denen der niedrigste Preis das alleinige Zuschlagskriterium ist, war lange Zeit auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung unbestritten. Als erste Vergabenachprüfungsinstanz hat sich das OLG Düsseldorf mit Beschlüssen vom 07.10.2010 (Verg 61/10) und 18.10.2010 (Verg 39/10) gegen diese Annahme gestellt und entschieden, dass die Zulassung und Wertung von Nebenangeboten grundsätzlich ausscheide, wenn das Zuschlagskriterium allein der günstigste Preis sei. Nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Vergabekoordinierungsrichtlinie dürften Auftraggeber Nebenangebote nur bei Aufträgen berücksichtigen, die nach dem Kriterium des „wirtschaftlich günstigen Angebots“ vergeben würden. Die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots setze jedoch stets die Berücksichtigung eines zusätzlichen Kriteriums neben dem Preis voraus. Dieser Rechtsprechung haben sich zwischenzeitlich mehrere Vergabekammern angeschlossen.
Wegen divergierender OLG-Rechtsprechung Vorlage an den BGH oder EuGH angezeigt
Nachdem sich auch die Vergabekammer des Landes Brandenburg mit Beschluss vom 08.11.2010 (VK 51/10) der Auffassung des OLG Düsseldorf angeschlossen hat, hat nunmehr das OLG Brandenburg in seiner nachfolgenden Entscheidung im Eilverfahren nach § 118 Abs.1 S.3 GWB über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung (Beschluss v. 07.12.2010, Verg W 16/10) angekündigt, aufgrund der divergierenden Rechtsprechung verschiedener Vergabesenate das Hauptsacheverfahren wahrscheinlich aussetzen und die Rechtsfrage dem BGH oder dem EuGH zur Entscheidung vorlegen zu wollen. Da allerdings der Wert des verfahrensgegenständlichen Auftrags nicht ordnungsgemäß ermittelt wurde und die eingegangenen Angebote weitgehend unter dem europäischen Schwellenwert lagen, erscheint es auch denkbar, dass der Vergabesenat im Hauptsacheverfahren zu dem Ergebnis kommen wird, dass der europäische Schwellenwert nicht erreicht ist und daher der Rechtsweg nach dem GWB nicht eröffnet ist. In diesem Fall wird es zur Entscheidung des dem OLG Brandenburg vorliegenden Falles auf die strittige Frage der Zulässigkeit von Nebenangeboten im Preiswettbewerb nicht mehr ankommen, so dass eine wünschenswerte Klärung derselben weiterhin ausbleiben wird.
Handlungsempfehlung für öffentliche Auftraggeber
Vorbehaltlich einer abschließenden Klärung der Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof beziehungsweise durch den Europäischen Gerichtshof bleibt kommunalen Auftraggebern insbesondere Folgendes zu raten:
Sind im Falle einer europaweiten Ausschreibung Nebenangebote zugelassen (vgl. § 9 Abs. 5 EG-VOL/A) beziehungsweise Nebenangebote nicht ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 3a VOB/A), ist kommunalen Auftraggebern zu empfehlen, nicht auf den Preis als alleiniges Zuschlagskriterium abzustellen, sondern neben dem Preis mindestens ein weiteres Zuschlagskriterium (zum Beispiel Qualität, Lieferfristen o. ä.) zu benennen. In diesem Falle ist es zudem erforderlich, eine (möglichst prozentuale) Gewichtung der jeweiligen Zuschlagskriterien vorzunehmen. Außerdem sind die kommunalen Auftraggeber verpflichtet, in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen Mindestanforderungen festzulegen, welche die Nebenangebote erfüllen müssen. Fehlen Mindestanforderungen an Nebenangebote, sind die Nebenangebote zwingend von der weiteren Angebotswertung auszuschließen.
Da das OLG Düsseldorf sowie die dem OLG folgenden Vergabekammern ausdrücklich auf die Regelung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2004/18/EG abgestellt haben, ist zu schlussfolgern, dass die vorbezeichneten Voraussetzungen und möglichen Rechtsfolgen ausschließlich bei Vergabeverfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte beachtet werden müssen. Die Zulassung und Wertung von Nebenangeboten bleibt daher im Bereich nationaler Vergabeverfahren weiterhin möglich, auch wenn das Zuschlagskriterium allein der günstigste Preis ist.