Der BGH hat mit seinem Urteil vom 08.08.2019 (VII ZR 34/18, abrufbar unter folgendem Link), bestätigt durch sein Urteil vom 21.11.2019 (VII ZR 10/19, abrufbar unter folgendem Link), entschieden, dass für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B – entgegen der bis dato herrschenden Meinung – nicht die vorkalkulatorische Preisfortschreibung gilt. Demgemäß ist nicht der Grundsatz „Guter Preis bleibt guter Preis und schlechter Preis bleibt schlechter Preis“ anzuwenden. Vielmehr sind nach der Rechtsprechung des BGH die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich. Offen geblieben ist jedoch die Frage, welche Grundsätze bei der Ermittlung des neuen Einheitspreises von zusätzlichen Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 6 VOB/B heranzuziehen sind. Eine Antwort auf diese ebenso spannende wie praxisrelevante Fragestellung liefert nunmehr das aktuelle Urteil des OLG Brandenburg vom 22.04.2020 (11 U 153/18, abrufbar unter folgendem Link). Grund genug, diese wegweisende Entscheidung in einem Blog-Beitrag aufzubereiten!
Was war passiert?
Die Klägerin verlangte von der Beklagten vermeintlich ausstehenden Restwerklohn für an einer Autobahn im Rahmen von unstreitig erfolgten Nachträgen ausgeführte Baumfällarbeiten.
Das LG Neuruppin entschied mit Urteil vom 28.03.2018 (31 O 40/16), dass die Beklagte keinen Anspruch auf Vergütung aus Nachträgen für die zusätzlichen Baumfällarbeiten habe. Es könne offen bleiben, ob die Positionen im Einzelnen auf einem veränderten Bausoll im Sinne von § 2 Abs. 5 bzw. Abs. 6 VOB/B beruhten oder ob es sich um schlichte Mehrmengen handele. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei der Vertrag dahingehend auszulegen, dass die Baumfällarbeiten nicht über die bereits erfolgten Zahlungen der Beklagten hinaus zu vergüten seien. Vielmehr ergebe sich, dass die Rückvergütung für gerodetes Holz Grundlage der Preisermittlung der Urkalkulation gewesen sei. Dementsprechend sei auch der Einheitspreis der Nachtragsleistungen entsprechend dieser Preisermittlungsgrundlage zu bilden. In der Branche, in der die Klägerin tätig sei, finde üblicherweise eine Wiederverwertung statt, die regelmäßig nicht unerhebliche Einnahmen mit sich bringe. Daher sei die Wiederverwertung in den Einheitspreis einzukalkulieren gewesen, zumal gemäß Leistungsbeschreibung und Leistungsverzeichnis das gerodete Räumgut in das Eigentum des Auftragnehmers übergehe und anfallende Kosten, z. B. für die Entsorgung, in den Einheitspreis einzukalkulieren gewesen seien. Die Verwertung des Holzes sei lediglich eine Obliegenheit des Auftragnehmers, der hierfür die Rückvergütung erhalte. Der Klägerin bliebe es daher unbenommen, durch erhöhte Mehrmengen abgeschlagenen Holzes höhere Rückvergütungen zu generieren.
Die Klägerin legte Berufung gegen das klageabweisende Urteil des LG Neuruppin zum OLG Brandenburg ein und verfolgte ihr Zahlungsbegehren weiter.
Ohne Erfolg!
Entscheidung des OLG Brandenburg: Bei der Ermittlung des Einheitspreises für die zusätzlichen Leistungen sind die tatsächlich erforderlichen Kosten maßgeblich, allerdings steht der Klägerin auf dieser Grundlage kein weitergehender Anspruch zu!
Auch nach dem OLG Brandenburg hat die Klägerin gegen die Beklagte über den vorgerichtlich gezahlten Betrag hinaus keinen Anspruch auf Mehrvergütung gemäß § 631 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 2 Abs. 6 Nr. 1 VOB/B für die vorgenommenen, aber im Vertrag nicht vorgesehenen Baumfällarbeiten.
Auch wenn das LG Neuruppin bei der Berechnung der klägerischen Vergütung von der Ursprungskalkulation ausgegangen sei und die Anspruchsgrundlage offen gelassen habe, seien dessen Erwägungen im Wesentlichen und im Ergebnis zutreffend. Denn auch die vorzunehmende ergänzende Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB ergebe, dass die von der Beklagten vorgenommenen Berechnungen zur Ermittlung der Mehrvergütung unter Berücksichtigung der in Abzug gebrachten Rückvergütungen nicht zu beanstanden seien.
Nach der Rechtsprechung des BGH sei bei der Berechnung der Vergütung des Auftragnehmers bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B die Ursprungskalkulation nicht heranzuziehen. Da die entsprechende Vorschrift keinen Maßstab zur Einheitspreisbildung enthalte, sei eine vorkalkulatorische Preisfortschreibung ohne ausdrückliche oder zumindest stillschweigende Einigung der Parteien hierüber nicht möglich. Die Lücke im Vertrag sei im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen.
Aufgrund des gleichen Wortlauts spreche, so das OLG Brandenburg, einiges dafür, dass diese Grundsätze auf die Regelung des § 2 Abs. 5 VOB/B (Preisänderung infolge Änderung des Bauentwurfs) angewendet werden könnten.
Im Ergebnis ergebe sich jedoch auch im Hinblick auf die Bestimmung des neuen Einheitspreises bei zusätzlichen Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 6 VOB/B nichts anderes. Zwar sei in § 2 Abs. 6 Nr. 2 Satz 1 VOB/B eine Regelung zur Bestimmung der Vergütung dahingehend getroffen worden, dass diese sich „nach den Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung“, also der Urkalkulation, richte. Allerdings schließe die Regelung weder eine anderweitige Vereinbarung der Parteien aus noch sei der ergänzenden Vertragsauslegung der Boden entzogen. So sei trotz der Bezugnahme auf die Urkalkulation nicht ausschließlich auf diese abzustellen. Dies ergebe sich bereits aus dem weiteren Wortlaut der Vorschrift des § 2 Abs. 6 Nr. 2 Satz 1 VOB/B, wonach auch die „besonderen Kosten der geforderten Leistung“ zu berücksichtigen seien. Zwar bleibe offen, was damit gemeint sei und auf welcher Grundlage ihre Berechnung erfolgen solle. Allerdings werde dadurch zum Ausdruck gebracht, dass hier – wie bei allen Leistungsänderungen – das Äquivalenzprinzip gelten solle. Daher sei in Anlehnung an die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B entscheidend, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Im Ergebnis seien daher bei mangelnder Vereinbarung für die Bemessung des neuen Einheitspreises für zusätzliche Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 6 VOB/B – wie bei Mehrmengen nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B – die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich. Diese könnten durchaus mit denen der Vorkalkulation identisch sein, aber ebenso abweichen.
Dem OLG Brandenburg zufolge haben sich die Parteien spätestens im Rechtsstreit über bestimmte Elemente zur Berechnung des neuen Einheitspreises geeinigt. So sei zwischen den Parteien unstreitig, dass zunächst die in der Ursprungskalkulation herangezogenen Elemente Gegenstand der Berechnung für die Nachträge sein sollten. So seien für die verschiedenen Leistungen übereinstimmend vergleichbare Vertragspositionen zuzüglich eines Dieselzuschlags zur Berechnung genutzt worden. Insoweit liege der Schluss nahe, dass – soweit die Einigung erfolgt ist – die tatsächlich erforderlichen Kosten den aus der Urkalkulation ermittelten Preisen entsprechen.
Lediglich die Einbeziehung der Rückvergütung stehe im Streit. Allerdings erfassten die tatsächlich erforderlichen Kosten – mit den vom LG Neuruppin angestellten Erwägungen – auch die Rückvergütungen aufgrund der erfolgten Verwertung des geschlagenen Holzes durch die Klägerin. Daher habe die Beklagte in Anlehnung an die Ursprungsberechnung zu Recht den jeweiligen Abzug vorgenommen. Ein weitergehender Anspruch auf Werklohn für die Nachträge stehe der Klägerin somit nicht zu.
Fazit
Dogmatisch durchaus überzeugend hat das OLG Brandenburg in seinem Urteil hergeleitet, dass die vom BGH im vergangenen Jahr für die Bestimmung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B aufgestellten Grundsätze auch bei der Ermittlung des neuen Einheitspreises bei zusätzlichen Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 6 VOB/B heranzuziehen sind. Insoweit kommt es auch hier maßgeblich auf die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich eines angemessenen Zuschlags an.
Ferner hat das OLG Brandenburg in seiner Entscheidung ganz nebenbei durchblicken lassen, dass die entsprechenden Grundsätze auch bei der Ermittlung des neuen Einheitspreises in den Konstellationen des § 2 Abs. 5 VOB/B Anwendung finden sollen. Mithin sollen sie auch in Fällen gelten, in denen die Grundlagen des Preises für eine im Vertrag vorgesehene Leistung durch Änderungen des Bauentwurfs oder andere Anordnungen des Auftraggebers geändert werden.
Im Ergebnis ergibt sich in einer Zusammenschau der Rechtsprechung des BGH sowie dem Urteil des OLG Brandenburg, dass bei allen Leistungsänderungen im Sinne von § 2 VOB/B für die Bestimmung des neuen Einheitspreises – sofern nicht ausdrücklich oder stillschweigend eine anderweitige Einigung erfolgt ist – die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich eines angemessenen Aufschlags maßgeblich sein sollen.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Preisanpassung bzw. -bestimmung auf Grundlage von Verträgen, insbesondere solchen unter Einbeziehung der VOB/B? Wir beraten Sie gerne!