Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen und Hessischer Verwaltungsgerichtshof zum Umweltrechtsbehelfsgesetz
Durch das Umweltrechtsbehelfsgesetz vom 07.12.2006 ist die Klagebefugnis der Verbände über das Naturschutzrecht hinaus auf alle Entscheidungen, für die eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann, sowie immissionsschutzrechtliche Genehmigungen, wasserrechtliche Erlaubnisse und Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien ausgedehnt worden. Streit besteht darüber, ob sich Umweltverbände dem Wortlaut des Gesetzes folgend nur auf sogenannte drittschützende Vorschriften, etwa Vorschriften zum Schutz vor Lärm und Luftverunreinigungen, berufen können oder weitergehend dem Schutz der Allgemeinheit dienende Vorschriften, etwa solche des Naturschutzrechts, für sich in Anspruch nehmen können.
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat die Frage, ob das deutsche Umweltrechtsbehelfsgesetz mit der europäischen Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie vereinbar ist, aus Anlass eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens für das Kohlekraftwerk Lünen durch Beschluss vom 05.03.2009 dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. Vergleichbare Zweifel hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine Abfallverbrennungsanlage im Industriepark Höchst nicht gehabt. Eine Befugnis zur Rüge von Rechtsgütern der Allgemeinheit durch Umweltverbände stehe der klare Wortlaut des Umweltrechtsbehelfsgesetzes als auch seine Entstehungsgeschichte eindeutig entgegen. Auch eine unmittelbare Anwendung der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie komme, wenn sie denn zu einer weitergehenden Rügebefugnis führen sollte, mangels klarer und präziser Vorgaben nicht in Betracht. Allerdings hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Revision gegen sein Urteil vom 16.09.2009 zugelassen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Bundesverwaltungsgericht zu dieser Frage verhält.
Sollte die Rügebefugnis der Umweltverbände entgegen dem Wortlaut des Umweltrechtsbehelfsgesetzes auf dem Schutz der Allgemeinheit dienende Vorschriften erweitert werden, hätte dies für Anlagenzulassungsverfahren durchgreifende Bedeutung. So könnte etwa im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren nicht nur der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen eingefordert werden, sondern auch die Einhaltung einschlägiger Vorsorgestandards sowie die Beachtung natur- und artenschutzrechtlicher Vorschriften. Letzteres war bislang Planfeststellungsverfahren vorbehalten, wie sie etwa für Fernstraßen und Flughäfen erforderlich sind.