Am 17.12.2007 ist das erste Gesetz zur Änderung des Bundes-Naturschutzgesetzes vom 12.12.2007 im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht worden (BGBl. I, S. 2873). Mit der Novelle werden die Bestimmungen zum Schutz von NATURA-2000-Gebieten und die Artenschutzvorschriften nachgebessert, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer Entscheidung vom 10.01.2006 das deutsche Gebiets- und Artenschutzrecht in wesentlichen Teilen beanstandet und für europarechtswidrig erklärt hatte. Während die artenschutzrechtlichen Änderungen bereits seit dem 18.12.2007 zu beachten sind, treten die Änderungen zum Gebietsschutz erst Mitte Juni 2008 in Kraft.
Schutz von NATURA-2000-Gebieten
In besagter Entscheidung vom 10.01.2006 hatte der EuGH zunächst bemängelt, dass nach deutschem Recht für bestimmte Projekte außerhalb der geschützten Gebiete keine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden müsse unabhängig davon, ob diese Projekte ein geschütztes Gebiet beeinträchtigen können. Dieser Rüge trägt das Bundes-Naturschutzgesetz künftig Rechnung, indem es auf einen eigenständigen Projektbegriff (bisher § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG a. F.) verzichtet und stattdessen den Projektbegriff aus der FFH-Richtlinie unmittelbar in § 34 Abs. 1 BNatSchG n. F. übernimmt. Zwischen Projekten innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten wird nicht mehr unterschieden. Mit der Einführung eines neuen § 34 Abs. 1a BNatSchG n. F. wird im Übrigen gewährleistet, dass eine FFH-Verträglichkeitsprüfung auch dann durchgeführt wird, wenn für ein Projekt keine Zulassung (Planfeststellung, Genehmigung usw.) erforderlich ist.
Zudem wird § 36 BNatSchG a. F. ersatzlos gestrichen. Die Vorschrift enthielt eine Sonderregelung für nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlagen, wonach die FFH-Verträglichkeitsprüfung für solche Anlagen auf den immissionsschutzrechtlich definierten Einwirkungsbereich der Anlage begrenzt war. Diese vom EuGH ebenfalls für europarechtswidrig erachtete Beschränkung der FFH-Verträglichkeitsprüfung entfällt künftig.
Artenschutz
Die vom EuGH weiterhin beanstandeten Artenschutzbestimmungen lehnen sich in Wortlaut und Systematik künftig deutlich enger an die europäischen Vorgaben (Artikel 5 und 9 Vogelschutzrichtlinie, Artikel 12 und 16 FFH-Richtlinie) an. Die Verbotstatbestände (Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote) finden sich weiterhin in § 42 BNatSchG. Es fällt auf, dass das Verbot, wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten zu stören, nicht mehr einen örtlichen Bezug (Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtsstätten) aufweist, sondern künftig an bestimmte Jahreszeiten (Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten) anknüpft. Ausweislich der Amtlichen Begründung soll damit keine Verschärfung des Störungsverbotes verbunden sein.
Die zuvor in § 43 Abs. 4 BNatSchG a. F. geregelten Ausnahmen für die der guten fachlichen Praxis entsprechende Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie nach § 19 BNatSchG zulässige Eingriffe in Natur und Landschaft finden sich nun in § 42 Abs. 4 und 5 BNatSchG n. F. Danach sind die der guten fachlichen Praxis entsprechende Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie nach § 19 BNatSchG zugelassene Eingriffe nicht mehr ohne Weiteres von den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen ausgenommen, sofern „europäische Arten“ (Anhang IV FFH-Richtlinie, europäische Vogelarten) betroffen sind.
Weitere praktisch wichtige Ausnahmen, die allerdings nicht Kraft Gesetzes bestehen, sondern von den nach Landesrecht zuständigen Behörden „zugelassen“ werden müssen, sind in § 43 Abs. 8 BNatSchG n. F. geregelt. Diese Ausnahmezulassung tritt künftig an die Stelle der Befreiung, mit der sich Rechtsprechung und Vollzug nach dem EuGH-Urteil beholfen hatten. Die Ausnahmezulassung setzt – wie zuvor die Befreiung durch den Verweis auf die europäischen Ausnahmevorgaben – ein besonderes öffentliches Interesse, das Fehlen einer zumutbaren Alternative und die Stabilität des Erhaltungszustands der Population voraus. Die Befreiung nach § 62 BNatSchG dient künftig nur noch als „Notanker“ für Fälle einer unzumutbaren Härte.
Bewertung
Ob mit der Novelle sämtliche vom EuGH geäußerten europarechtlichen Bedenken, insbesondere gegen das deutsche Artenschutzrecht, ausgeräumt werden können, bleibt abzuwarten. Mit Schreiben vom 27.06.2007 hat die Europäische Kommission den ihr vorgelegten Regierungsentwurf in mehrfacher Hinsicht beanstandet. Nicht allen Einwänden hat der Gesetzgeber Rechnung getragen. Tatsächlich werfen insbesondere die Ausnahmetatbestände des § 42 Abs. 4 und 5 sowie des § 43 Abs. 8 BNatSchG n. F. Fragen auf. So kann nach § 43 Abs. 8 BNatSchG n. F. beispielsweise eine Ausnahme von einem artenschutzrechtlichen Verbotstatbestand im Hinblick auf europäische Vogelarten aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses sozialer oder wirtschaftlicher Art zugelassen werden, obwohl die Vogelschutz-Richtlinie eine solche Ausnahme nicht ausdrücklich vorsieht.
Vor diesem Hintergrund ist ungewiss, ob es dem Gesetzgeber mit der Novelle gelungen ist, nach einem annährend zwei Jahre andauernden Schwebezustand wieder für Rechtssicherheit in den fraglichen Bereichen zu sorgen. Besonders misslich ist die Situation für Vorhaben, die sich derzeit in Vorbereitung oder bereits im Zulassungsverfahren befinden. Hier kann sich die Notwendigkeit einer Anpassung der einschlägigen Fachgutachten ergeben.