OLG Schleswig: Mindestbedingungen nur bei unklarer Sachlage
Einer separaten Festlegung von technischen Mindestbedingungen bedürfe es nicht, wenn die Anforderungen bereits durch technische Normen (z.B. DIN) und die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung festgelegt seien. Die Angabe von Mindestbedingungen sei nur dort erforderlich, wo Nebenangebote nicht klar aus dem Kontext (den Verdingungsunterlagen) heraus erkennbar seien. So zuletzt das OLG Schleswig in seinem Beschluss vom 15. Februar 2005 (6 Verg 6/04). Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Vergabestelle Erd-, Kanal- und Straßenbauleistungen ausgeschrieben und dabei Nebenangebote zugelassen, ohne speziell für diese technische Mindestanforderungen festzulegen. Den Zuschlag erteilte sie auf das Angebot eines Bieters in Verbindung mit drei Nebenangeboten. Der ansonsten mit seinem Hauptangebot erfolgreiche Bieter hat daraufhin Nachprüfungsantrag erhoben mit der Begründung, die Nebenangebote seien mangels Angabe von Mindestbedingungen nicht zu werten. Nach Auffassung des OLG Schleswig ist dagegen die Wertung der Nebenangebote nicht zu beanstanden. Zwar seien Mindestbedingungen für die Nebenangebote nicht schon aus den allgemeinen Vorgaben an Nebenangebote zu entnehmen. Eine weitergehende Konkretisierung sei jedoch im konkreten Fall entbehrlich gewesen, da der jeweilige fachkundige Bieter dem Gesamtinhalt der Verdingungsunterlagen entnehmen könne, welche gleichwertigen bauseitigen und technischen Anforderungen an Nebenangebote zu stellen seien. Aus tatsächlichen Gründen bestehe daher ein Erfordernis für die Angabe von (besonderen) Mindestbedingungen nicht. Eine Vorlagepflicht an den BGH gemäß § 124 Abs. 2 GWB lehnt das OLG Schleswig trotz differierender obergerichtlicher Rechtsprechung mit der Begründung ab, es bestünden unterschiedliche Fallgestaltungen.
EuGH: Strenge Wahrung der Mindestbedingungen bei jeglichen Nebenangeboten
Damit ist die Entscheidung des OLG Schleswig in Abweichung von der bislang üblichen Europäischen und nationalen Rechtsprechung ergangen. Der Europäische Gerichtshof hatte zuvor mit Urteil vom 16.10.2003 (Rs. C-421/01) festgestellt, dass Nebenangebote immer nur dann wertbar seien, wenn sie die zwingend vom Auftraggeber aufzustellenden Mindestbedingungen erfüllten. Die Mindestbedingungen für Nebenangebote bzw. Änderungsvorschläge müssten in den Verdingungsunterlagen zum Ausdruck kommen. Allein der Verweis auf eine nationale Vorschrift, welche ohne nähere Konkretisierung auf die „Gleichwertigkeit“ des Nebenangebotes abstelle, erfülle diese Verpflichtung jedenfalls nicht. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung haben sowohl das OLG Rostock (Beschluss vom 24.11.2004 – 17 Verg 6/04) sowie das Bayerische Oberste Landesgericht (Beschluss vom 22.06.2004 – Verg 13/04) Nebenangebote ohne ausreichend bestimmte Mindestbedingungen in den Verdingungsunterlagen nicht zur Wertung zugelassen.
Gewisser Spielraum bei der Bestimmung von Mindestbedingungen
Die VK Bund hat mit Beschluss vom 14. 12. 2004 (VK 2-208/04) für den Fall, dass hinsichtlich der Nebenangebote/Änderungsvorschläge in den Verdingungsunterlagen ein Verweis auf „Konstruktionsprinzipien und den vom Auftraggeber vorgesehenen Planungsvorgaben“ erfolgt war, die aufgestellten Anforderungen als erfüllt angesehen. Die Anforderungen an Mindestbedingungen seien nicht zu hoch zu schrauben; Sinn eines Nebenangebotes sei es gerade, eine vom Hauptangebot abweichende und damit innovative Lösung anzubieten. Ähnlich hat nun das OLG Düsseldorf in einem Beschluss vom 07.01.2005 (VII-Verg 106/04) geurteilt, indem es die Verweisung auf einen einschlägigen Erlass des NRW-Umweltministeriums in der Baubeschreibung für Nebenangebote als ausreichende „weitere Kriterien“ gewertet und hierin nicht lediglich einen Verweis auf Rechtsquellen gesehen hat.
Fazit:
Der Beschluss des OLG Schleswig weicht in erheblicher Weise von vorerwähnter Rechtsprechung ab. Die doch sehr pragmatische Argumentation des OLG Schleswig erscheint kaum haltbar und wäre in der Praxis mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden. Eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof (Art. 234 EG) bzw. zum BGH (§ 124 Abs. 2 GWB) wäre daher – entgegen seiner Auffassung – sicherlich geboten gewesen. Angesichts der differierenden Rechtsprechung ist der kommunalen Praxis anzuraten, in den Vergabeunterlagen jeweils konkrete Mindestbedingungen für etwaige Nebenangebote zu bestimmen. Dabei besteht ein gewisser Spielraum. Nebenangebote ohne nachvollziehbar formulierte Mindestbedingungen, die zu einer Veränderung der Bieterreihenfolge führen, sollten bei der Wertung nicht berücksichtigt werden. Anderenfalls läuft der öffentliche Auftraggeber Gefahr, dass der im Hauptangebot erfolgreiche Bieter ein Nachprüfungsverfahren anstrengt.