Mit Urteil vom 07.05.2013 hat das Landgericht Köln wichtige Fragen zur Verpackungsverordnung („VerpackV“) und der Funktion der dualen Systeme entschieden.
Zum Hintergrund:
Die Entsorgung von Verkaufsverpackungen nach der VerpackV („VerpackV“) erfolgt durch mittlerweile neun duale Systeme. Hersteller und Vertreiber verpackter Waren sind verpflichtet, ihre Verkaufsverpackungen, die typischerweise beim Endverbraucher anfallen, bei einem oder mehreren dualen Systemen zu lizenzieren. Eine Ausnahme von dieser Lizenzierungspflicht bieten sogenannte Branchenlösungen nach § 6 Abs. 3 VerpackV oder sogenannte Eigenrücknahmen nach § 6 Abs. 1 Satz 5 VerpackV. Eine Eigenrücknahme liegt vor, wenn ein Hersteller oder Vertreiber die am Abgabeort zurückgegebene Verkaufsverpackung zurücknimmt und auf eigene Kosten verwertet. Als Folge hat er einen Anspruch auf anteilige Rückzahlung seines Lizenzentgeltes gegen das duale System.
Alle dualen Systeme nutzen eine gemeinsame Infrastruktur für die Erfassung von Verkaufsverpackungen (gelbe Tonne, gelber Sack). Die entsprechenden Kosten werden anteilig getragen. Ferner gibt es Vereinbarungen zur Ermittlung von Lizenz- und Vertragsmengenanteilen, das Clearing von Nebenentgelten etc. Eigenrücknahmemengen bleiben dabei jeweils unberücksichtigt. Ein Vertragspartner, der höhere Eigenrücknahmemengen deklariert als die anderen dualen Systeme, muss nach dem Clearing-Ausgleich weniger Systemkosten übernehmen als die Systeme mit geringeren Eigenrücknahmemengen.
Die Meldungen der Planmengen und Ist-Mengen sind von einem sogenannten System-Wirtschaftsprüfer zu bestätigen und zu plausibilisieren. Die Systemwirtschaftsprüfer können von den dualen Systemen grundsätzlich frei gewählt werden.
Sechs Unternehmen haben sich auf die Beauftragung einer gemeinsamen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur gleichmäßigen Handhabung und Vermeidung von Umgehungsversuchen verständigt. Aus dieser Vereinbarung resultiert das „Zertifikat zur Sicherstellung der privatwirtschaftlich organisierten haushaltsnahen Verpackungsentsorgung durch duale Systeme“ („BDE-Zertifikat“). Der Marktanteil der am BDE-Zertifikat beteiligten Unternehmen beträgt 80 %.
Als der BDE-System-Wirtschaftsprüfer Planmengenmeldung eines Systems für 2012, insbesondere die Höhe der deklarierten Eigenrücknahmen, beanstandete, kündigte dieses duale System das BDE-Zertifikat fristlos aus wichtigem Grund und meldete grundsätzliche kartellrechtliche Bedenken gegen das BDE-Zertifikat an.
Zur fehlenden Kartellrechtswidrigkeit:
Nach Ansicht des Landgerichts Köln handelt es sich bei dem BDE-Zertifikat jedoch um eine wettbewerbsneutrale Vereinbarung, eine wettbewerbseinschränkende Praxis sei nicht ersichtlich. Das Landgericht Köln hebt hervor, dass das BDE-Zertifikat auf dem Clearing-System aufbaue, wonach die dualen Systeme im Hinblick auf die gemeinsamen Entsorgungseinrichtungen Ausgleichszahlungen vereinbart hätten. Das BDE-Zertifikat solle durch die Vereinbarung eines gemeinsamen System-Wirtschaftsprüfers sicherstellen, dass die Mengenmeldungen als Grundlage für die Ausgleichszahlung einheitlich und nach gleichen Grundsätzen ermittelt werden, um Umgehungen zu vermeiden. Diesbezüglich weist das Landgericht Köln darauf hin, dass die Mengenmeldungen für die jeweils anderen dualen Systeme nicht nachprüfbar seien und aus diesem Grund den Plausibilisierungen und Prüfungen der System-Wirtschaftsprüfer als Grundlage für den von dem unabhängigen Dritten vorzunehmenden Clearing-Ausgleich hohe Bedeutung zukämen. Es sei daher im Interesse eines unverfälschten Wettbewerbs im Rahmen des Clearing-Ausgleichs sinnvoll und diene angesichts der Anonymität der Mengenmeldungen der Vertrauensbildung, wenn sich die dualen Systeme auf einen einheitlichen System-Wirtschaftsprüfer einigten. Das müsse jedenfalls dann gelten, wenn der System-Wirtschaftsprüfer, wie im BDE-Zertifikat vorgesehen, unabhängig entscheiden könne und nicht an Vorgaben der Zertifikatsteilnehmer, erst recht nicht an Mehrheitsentscheidungen, gebunden sei. Eine gegenüber den Vorschriften der Verpackungsverordnung einschränkende Auslegung der Eigenrücknahme konnte das Landgericht Köln im konkreten Fall nicht feststellen. Da eine unvereinbare Auslegung mit der VerpackV nicht hinreichend dargelegt worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass sich der BDE-System-Wirtschaftsprüfer im Rahmen seiner Prüfungskompetenz gehalten habe. Das Landgericht Köln hebt hervor, dass die übrigen Zertifikatsteilnehmer die Entscheidungsfindung des BDE-System-Wirtschaftsprüfers nicht beeinflussen wollten. Sie hätten zu Recht nicht auf eine Änderung der Beurteilung der Eigenrücknahmen durch den BDE-System-Wirtschaftsprüfer hingewirkt. Wäre Einfluss auf die Unabhängigkeit des System-Wirtschaftsprüfers genommen worden, hätte dies zur Beanstandung im Rahmen des Clearing-Ausgleichs durch außerhalb des BDE-Zertifikats stehende duale Systeme führen können.
Kein Recht zur fristlosen Kündigung
Des Weiteren befand das Landgericht Köln, dass die fristlose Kündigung des dualen Systems nicht wirksam war. Eine solche sei bereits nicht fristgemäß erfolgt und sei zudem unbegründet gewesen, da dem dualen System kein Kündigungsgrund zugestanden habe. Die von dem BDE-System-Wirtschaftsprüfer geänderte Beurteilung der Eigenrücknahmen, die bei den Planmengen berücksichtigt werden dürften, sei nicht zu beanstanden gewesen. Es war für das Landgericht nicht ersichtlich, dass die geänderte Beurteilung aus sachfremden Gründen oder in erkennbar unvertretbarer Weise, z. B. durch Beschränkung der in der VerpackV eingeräumten Möglichkeiten, geschehen war. Schließlich hob das Landgericht hervor, dass die anderen Zertifikatsteilnehmer zu Recht eine nicht vorgesehene Vorgabe an den BDE-System-Wirtschaftsprüfer abgelehnt hätten.
Möglichkeit der ordentlichen Kündigung
Das Landgericht hielt abschließend fest, dass eine ordentliche Kündigung des BDE-Zertifikats zum Jahresende 2012 möglich und wirksam war.
Auswirkungen dieses Urteils
Zunächst ist festzuhalten, dass das Urteil des Landgerichts noch nicht rechtskräftig ist. Das betroffene duale System hat angekündigt, gegen die Entscheidung des Landgerichts Köln Berufung einzulegen, um seine Auffassung über die wettbewerbsbeschränkende Wirkung des BDE-Zertifikats in der nächsthöheren Instanz bestätigen zu lassen. Demgegenüber verweisen die anderen dualen Systeme darauf, dass das Urteil die Qualität der Mengenmeldungen der dualen Systeme an die Clearing-Stelle und damit die verursachergerechte Verteilung der Entsorgungskosten auf Grundlage der tatsächlichen Marktanteile sichere.
Festzuhalten bleibt weiter, dass das Landgericht Köln ausführlich die Wettbewerbsneutralität des BDE-Zertifikats geprüft hat. Es hat insbesondere die Unabhängigkeit des BDE-System-Wirtschaftsprüfers hervorgehoben und des Weiteren darauf hingewiesen, dass das BDE-Zertifikat mit seiner einheitlichen Ermittlung der Mengenmeldung geeignet ist, Umgehungen der Vorgaben der Verpackungsverordnung zu vermeiden. Es hat auch dargelegt, welche wirtschaftlichen Interessen die unterschiedlichen Systeme an der Möglichkeit der Deklaration höherer Eigenrücknahmen haben können. Jedes System, das höhere Eigenrücknahmequoten melde als die übrigen Systeme, profitiere von dem Clearing-Ausgleich, der sich zu Gunsten dieses dualen Systems verschiebe.
In Anbetracht der steigenden Zahlen von Eigenrücknahmemeldungen bleibt abzuwarten, ob alsbald eine eindeutige und abschließende gesetzliche oder gerichtliche Klärung der Voraussetzungen für eine den Vorgaben der Verpackungsverordnung entsprechende Eigenrücknahme erfolgen wird.