An die Prüfung der Vereinbarkeit von Vorhaben mit den Schutzzwecken und Erhaltungszielen europäischer FFH- und Vogelschutzgebiete (sogenannte FFH-Verträglichkeitsprüfung) sind hohe Anforderungen zu stellen. Dies bestätigt einmal mehr die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zum Trianel-Kohlekraftwerk in Lünen vom 01.12.2011 (Az.: 8 D 58/08 AK). Das Gericht hat den für das Kraftwerk erteilten Vorbescheid und die erste Teilgenehmigung auf die Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz e. V. (BUND) hin aufgehoben.
Hauptsacheentscheidung nach Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH
Öffentliche Aufmerksamkeit hatte das Verfahren im Vorfeld bereits dadurch erregt, dass das Oberverwaltungsgericht eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu der Frage eingeholt hatte, ob eine Naturschutzvereinigung wie der BUND Verstöße gegen Vorschriften zum Schutz von FFH-Gebieten auf der Grundlage des Umweltrechtsbehelfsgesetzes im gerichtlichen Verfahren geltend machen kann. In seiner Entscheidung vom 12.05.2011 hatte der EuGH entschieden, dass eine solche Rügebefugnis der Umweltvereinigungen gegeben ist und das deutsche Umweltrechtsbehelfsgesetz die europarechtlichen Vorgaben insoweit unzureichend umsetzt. Der EuGH hat die Rechte von Umweltvereinigungen damit erheblich gestärkt.
Mängel in der FFH-Verträglichkeitsprüfung
Im nunmehr fortgeführten Hauptsacheverfahren hat das Oberverwaltungsgericht die FFH-Verträglichkeitsprüfung des Vorhabenträgers beanstandet. Diese hatte der Vorhabenträger während der Aussetzung des Verfahrens bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH nachgereicht, nachdem die Antragsunterlagen ursprünglich lediglich eine FFH-Vorprüfung (sogenanntes „Screening“) enthalten hatten und das Oberverwaltungsgericht unmissverständliche Zweifel daran geäußert hatte, dass eine solche Vorprüfung ausreiche. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht die nachträgliche Heilung durch Nachholung der fehlenden FFH-Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich für möglich erachtet. Es hat jedoch insbesondere die gutachterliche Bewertung von Schwefeldioxid-Immissionen in einem FFH-Gebiet kritisiert. Die Bagatellschwelle in Höhe von 3 % der Grenzbelastung (sogenannter critical load) sei lediglich auf die für das verfahrensgegenständliche Vorhaben prognostizierte Zusatzbelastung angewendet worden. Die FFH-Richtlinie gebiete jedoch eine kumulative Betrachtung, weshalb zusätzliche Verursachungsbeiträge der geplanten Kraftwerke Datteln und Herne hätten berücksichtigt werden müssen.
Zutreffendes Verständnis der Bagatellschwellen
Ob das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung insoweit ein zutreffendes Verständnis der Bagatellschwellen zugrunde gelegt hat, ist fraglich. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Bagatellschwellen im Zusammenhang mit dem Konzept der critical loads ergibt sich, dass die Anwendung von naturschutzfachlich abgeleiteten Bagatellschwellen gerechtfertigt ist, weil insoweit kein relevanter Verursachungsbeitrag vorliegt. Eine kumulative Betrachtung mehrere Vorhaben könnte diesem Grundgedanken gerade widersprechen. Insoweit darf man auf die schriftliche Begründung der Entscheidung, die derzeit noch nicht vorliegt, gespannt sein.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen. Um etwaige Zweifelsfragen dennoch einer abschließenden Klärung zuzuführen, müsste von Seiten der Behörde oder dem Vorhabenträger daher Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden.