Die darüber hinausgehenden tarifvertraglichen Möglichkeiten der Arbeitszeitverlängerung bei regelmäßig und in erheblichem Umfang anfallender Arbeitsbereitschaft habe die Einigungsstelle nach Auffassung des BAG nicht ausschöpfen dürfen. Dies gelte auch bei Alt-Tarifverträgen, die am 1. Januar 2004 bereits bestanden oder nachgewirkt hätten. Tarifvertragliche Regelungen, die dennoch eine 48 Wochenstunden im Jahresdurchschnitt überschreitende Arbeitszeit vorsähen, seien zwar nicht rechtswidrig, der Arbeitgeber dürfe von ihnen aber nur unter Beachtung der gesetzlichen Höchstgrenze Gebrauch machen.
Praxistipp:
Tarifverträge und – aufgrund tarifvertraglicher Öffnungsklausel geschlossene – Betriebsvereinbarungen dürfen von Unternehmen in der Praxis nicht mehr angewandt werden, soweit sie eine Verlängerung der Arbeitszeit bei regelmäßig und in erheblichem Umfang anfallender Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst über 48 Stunden wöchentlich im Jahresdurchschnitt hinaus zulassen. Andernfalls laufen Geschäftsleitung und Führungskräfte Gefahr, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen und sich unter Umständen sogar strafbar zu machen. Bestehende Schichtzeit- und Dienstplanmodelle sollten daher schnellstmöglich an die aktuelle Rechtsprechung des BAG angepasst und die personalverantwortlichen Mitarbeiter entsprechend unterrichtet und angewiesen werden.
Die Einzelheiten:
In dem zugrunde liegenden Verfahren verhandelten der Arbeitgeber – ein rechtlich selbständiger Unterverband des Deutschen Roten Kreuzes – und dessen Betriebsrat ergebnislos über ein betriebliches Dienstzeitmodell. Die von ihnen daraufhin angerufene Einigungsstelle fasste einen Beschluss, nach dem für die jeweiligen Einsatzkräfte in unterschiedlichem Turnus Schichtzeiten vorgesehen waren, die zwar in einzelnen Wochen bis zu 77 Stunden erreichten, im Jahresdurchschnitt aber 48 Wochenstunden nicht überschritten. Nach den Sonderregelungen des Tarifvertrages für die Beschäftigten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK-TV) in seiner Fassung vom 09.06.1999 hingegen kann die regelmäßige Arbeitszeit der Mitarbeiter im Rettungsdienst und Krankentransport ohne Ausgleich auf bis zu 54 Stunden verlängert werden, wenn in sie regelmäßig Arbeitsbereitschaft fällt bzw. der Arbeitnehmer lediglich an der Arbeitsstelle anwesend sein muss, um im Bedarfsfall vorkommende Arbeiten zu verrichten.
Nach Auffassung des BAG verstoßen diese durch den DRK-TV eröffneten Möglichkeiten einer Verlängerung der Arbeitszeit trotz ihrer Vereinbarkeit mit § 7 Abs. 1 Nr. 1 a ArbZG gegen § 3 Satz 2, § 7 Abs. 8 ArbZG. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 a ArbZG kann in einem Tarifvertrag in Abweichung von der in § 3 Satz 2 ArbZG vorgesehenen werktäglichen Höchstarbeitszeit von 10 Stunden eine Verlängerung über diesen Umfang hinaus zugelassen werden, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt. Wird von dieser Verlängerungsmöglichkeit Gebrauch gemacht, so darf die Arbeitszeit nach § 7 Abs. 8 ArbZG aber 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt von 12 Kalendermonaten nicht überschreiten. Sieht ein Tarifvertrag – wie der DRK-TV – einen solchen Ausgleich nicht vor, so hat dies nach dem Bundesarbeitsgericht zur Folge, dass die tarifvertraglichen Regelungen zwar nicht rechtswidrig seien, der Arbeitgeber von ihnen jedoch nur unter Beachtung der gesetzlichen Höchstgrenze einer jahresdurchschnittlichen Arbeitszeit von 48 Wochenstunden Gebrauch machen dürfe.
Auch aus der Übergangsregelung des § 25 ArbZG für Alt-Tarifverträge, so das BAG, ergebe sich kein anderes Ergebnis. Enthält ein am 1. Januar 2004 bestehender oder nachwirkender Tarifvertrag abweichende Regelungen nach § 7 Abs. 1 ArbZG, die den in diesen Vorschriften festgelegten Höchstrahmen überschreiten, bleiben diese tarifvertraglichen Bestimmungen nach § 25 ArbZG bis zum 31. Dezember 2006 unberührt. Zu den in § 25 ArbZG genannten gesetzlichen Höchstrahmen, von denen Alt-Tarifverträge noch bis Ende des Jahres 2006 abweichen dürfen, zählt nach Auffassung des BAG aber nicht die in § 3 Satz 2, § 7 Abs. 8 ArbZG normierte Grenze der höchstzulässigen Arbeitszeit.
Jede andere Auslegung der Vorschrift des § 25 ArbZG widerspräche europäischem Gemeinschaftsrecht. Nach der am 2. August 2004 in Kraft getretenen Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung komme eine Verlängerung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nur dann in Betracht, wenn der Mitgliedstaat die allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer einhalte und mit den erforderlichen Maßnahmen dafür sorge, dass kein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer verlange, im Durchschnitt eines Bezugszeitraums von 12 Monaten mehr als 48 Stunden wöchentlich zu arbeiten, es sei denn, der Arbeitnehmer habe sich dazu bereit erklärt. Ein entsprechendes Einverständnis müsse der Arbeitnehmer aber selbst erteilen. Es könne nicht in einem Tarifvertrag stellvertretend für die Arbeitnehmer von der Gewerkschaft erklärt werden. Eine Stellvertretung durch den Betriebsrat sei gleichermaßen ausgeschlossen.