Dieses Urteil dürfte nicht nur für Hannover 96-Fans interessant sein! In seinem Urteil vom 16.7.2024 (II ZR 71/23) hat sich der BGH insbesondere mit der Frage beschäftigt, inwieweit ein Geschäftsführer durch ein unzuständiges Organ abberufen werden kann und ob der entsprechende Beschluss wirksam ist.
Gegenstand des Verfahrens war die Frage, inwieweit die Abberufung des Klägers, Herrn Martin Kind, als Geschäftsführer der beklagten Hannover 96 Management GmbH im Juli 2022 wirksam erfolgte.
Nach der Satzung der Beklagten existierte bei dieser ein fakultativer Aufsichtsrat. Aufgabe des Aufsichtsrates war unter anderem die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer. Des Weiteren existierte ein wechselseitiger Vertrag zwischen den Gesellschaftern der Beklagten und außenstehenden Dritten (sog. „Hannover 96-Vertrag“). Nach dem Hannover 96-Vertrag durfte der Gesellschaftsvertrag der Beklagten nicht ohne Zustimmung bestimmter Beteiligter geändert werden.
Am 25.7.2024 wurde in einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung der Beklagten ein Beschluss über die sofortige Abberufung von Herrn Martin Kind als Geschäftsführer der Beklagten aus wichtigem Grund gefasst.
Nach dem Urteil des BGH verstößt der Abberufungsbeschluss nicht gegen § 241 Nr. 3 bzw. Nr. 4 AktG analog.
Nach § 241 Nr. 3 AktG ist ein Gesellschafterbeschluss insbesondere dann nichtig, wenn er mit dem Wesen der GmbH nicht zu vereinbaren ist. Das Wesen der GmbH ergebe sich dabei durch das GmbHG und die abstrakt-generellen Strukturmerkmale des GmbH-Rechts.
Ein Verstoß gegen die in der Satzung festgelegte Kompetenzverteilung könne nach dem BGH lediglich zur Anfechtbarkeit eines Beschlusses führen, nicht aber zu dessen Nichtigkeit. Der gefasste Beschluss sei insbesondere deshalb mit „tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts“ zu vereinbaren, da die Kompetenz zur Abberufung der Geschäftsführer grundsätzlich der Gesellschafterversammlung zugewiesen sei.
Auch ein Verstoß gegen den Hannover-96-Vertrag führe nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses, denn es gelte der sog. Trennungsgrundsatz, wonach zwischen schuldrechtlicher und kooperationsrechtlicher Ebene zu unterscheiden sei. Ein Vertrag binde grundsätzlich nur die Vertragsparteien. Folglich sei ein unter Verstoß gegen den Vertrag zustande gekommener Beschluss grundsätzlich wirksam und der Streit um die Rechtsfolgen des Verstoßes unter den Vertragsparteien auszutragen.
Auch aus prozesswirtschaftlichen Erwägungen, wie in der sog. „Kerbnägel“-Entscheidung aus dem Jahr 1983, ließe sich die Nichtigkeit des Beschlusses nicht ableiten. In dieser Entscheidung wurde eine abredewidrige Stimmabgabe als Anfechtungsgrund akzeptiert, in dem entscheidenden Fall waren jedoch, anders als in dem vorliegenden Fall, sämtliche Gesellschafter Parteien der Nebenabrede.
Die Nichtigkeit ergebe sich auch nicht daraus, dass das vertragswidrige Verhalten ansonsten „innergesellschaftlich sanktionslos“ bliebe. Es gebe keinen Rechtssatz, wonach eine Verletzung der Satzung stets gesellschaftsrechtliche Sanktionen zur Folge habe.
Nach § 241 Nr. 4 AktG ist ein Beschluss nichtig, wenn er durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstößt.
Eine sittenwidrige Schädigung sei nach dem BGH jedoch nicht gegeben. Insbesondere könne die innergesellschaftliche Risikozuweisung nicht durch die Annahme der Sittenwidrigkeit unterlaufen werden. Im Übrigen weist der BGH darauf hin, dass es der Alleingesellschafter letztlich selbst in der Hand gehabt habe, die Kompetenzverteilung in der Satzung entsprechend zu ändern. Auch die (vorsätzliche) Verletzung eines Stimmbindungsvertrages begründe keine sittenwidrige Schädigung Dritter. Der BGH begründet dies wiederum v.a. mit dem Trennungsgrundsatz.
Aus Sicht des BGH ist der Beschluss auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung nichtig.
Nach der Rechtsprechung ist eine Satzungsdurchbrechung auch ohne Einhaltung der formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung wirksam, wenn sie sich auf eine punktuelle Regelung beschränkt, bei der sich die Wirkung des Beschlusses in der betreffenden Maßnahme erschöpft. Dagegen sind Satzungsdurchbrechungen, die einen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand begründen, nichtig, wenn die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften (§ 53 Abs. 3 GmbHG) nicht eingehalten werden.
Vorliegend mussten daher nicht die Formvorschriften des § 53 Abs. 3 GmbHG eingehalten werden, da kein von der Satzung abweichender rechtlicher Zustand begründet wurde. Die im Handelsregister hinterlegte Satzung der Beklagten informiere den Rechtsverkehr nach wie vor zutreffend über die Verhältnisse der Gesellschaft, insbesondere die Kompetenzen des Aufsichtsrats. Aus dem Gesellschafterbeschluss ergebe sich lediglich, dass die Gesellschafterversammlung in der Vergangenheit einmalig (in Abweichung von der Satzungsregelung) die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers in Anspruch genommen habe. Eine für den Rechtsverkehr relevante und fortwirkende Regelung, auf die er sich einstellen können müsste, ergebe sich daraus hingegen nicht. Die Publizitätsfunktion des Handelsregisters schütze jedoch nicht das Vertrauen des Rechtsverkehrs, dass in der Vergangenheit ausschließlich Beschlüsse unter Beachtung der Vorgaben der Satzung gefasst worden seien.
Zuletzt führt der BGH in seiner Entscheidung aus, dass der Kläger sein Begehren nicht im Rahmen einer Anfechtungsklage geltend machen könne, da ihm insoweit die Anfechtungsbefugnis fehle. Eine Anfechtungsklage stehe allein dem nach § 16 Abs. 1 GmbHG zu bestimmenden rechtlichen, nicht auch dem wirtschaftlichen Gesellschafter oder dem Treugeber zu. Mit der allgemeinen Feststellungsklage könne sich der Geschäftsführer dagegen lediglich gegen einen nichtigen, also nicht nur anfechtbaren Beschluss wehren.
Mit der vorliegenden Entscheidung hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die Verletzung von nebenabredewidrigen Stimmabgaben gegenüber Nichtgesellschaftern grundsätzlich ohne Auswirkung auf die Wirksamkeit entsprechender Beschlüsse ist, und hat damit den Trennungsgrundsatz weiter gestärkt. Des Weiteren führt der BGH seine Differenzierung zwischen punktuellen und zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechungen im Grundsatz fort. Neu ist jedoch, dass aus Sicht des BGH nur noch solche Beschlüsse als zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung einzuordnen sind, die den Geltungsanspruch der Satzung für die Zukunft infrage stellen.