In dem zugrundeliegenden Sachverhalt ging es um ein Kartell verschiedener Unternehmen auf dem Markt für Lysin, das in Tierfutter zu Ernährungszwecken verwendet wird. Wegen Absprachen zur Festsetzung der Lysinpreise und der Zuteilung der Verkaufsmengen, u. a. auf dem amerikanischen Markt, wurden die betroffenen Unternehmen zunächst, u. a. von der amerikanischen Justiz, zu Geldbußen verurteilt. Die Kommission stellte nach entsprechenden Nachprüfungen einen Verstoß verschiedener Unternehmen, darunter die späteren Rechtsmittelführerinnen, gegen das europäische Kartellverbot fest, der in ihrer Teilnahme „an Vereinbarungen über Preise, Absatzmengen und den Austausch von Informationen über Verkaufsmengen von synthetischem Lysin für das Gebiet des gesamten EWR“ bestanden habe. Die Kommission ahndete diesen Verstoß mit einer Geldbuße in Höhe von 47.300.000,00 EUR.
Für Geldbuße „Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung“ maßgeblich
Den Grundbetrag der Geldbuße ermittelte sie dabei – entsprechend den Vorgaben der insoweit einschlägigen Verordnung Nr. 17 vom 06.02.1962 – anhand der Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung. Die Kommission stufte dabei den Verstoß der betroffenen Unternehmen als besonders schwer ein, da sie die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit besessen hätten, den Lysinmarkt im Europäischen Wirtschaftsraum spürbar zu schädigen und zudem die Notwendigkeit bestehe, die Geldbuße in einer Höhe festzusetzen, die eine ausreichend abschreckende Wirkung gewährleiste. Hierfür teilte die Kommission die Unternehmen nach ihrer Größe in zwei Gruppen ein. Der Vergleich erfolgte anhand des Gesamtumsatzes und des weltweiten Lysinumsatzes der betroffenen Unternehmen im letzten Jahr der Zuwiderhandlung. Nach Auffassung der Kommission eignete sich dieser Parameter am besten für die Beurteilung der tatsächlichen Ressourcen und der Bedeutung der Unternehmen auf den vom rechtswidrigen Verhalten betroffenen Märkten. Angesichts der Schwere der Zuwiderhandlung setzte die Kommission den Grundbetrag der Geldbuße auf 30 Mio. EUR fest. Die Dauer der Zuwiderhandlung wurde von der Kommission als „mittellang“ eingestuft, so dass sie den Grundbetrag für die Geldbuße um jährlich 10 % erhöhte.
Mildere oder erschwerende Umstände?
Als erschwerender Umstand kam für die Kommission hinzu, dass die späteren Rechtsmittelführerinnen „Anführer“ im Lysinkartell gewesen seien, so dass der Grundbetrag der Geldbuße um 50 % zu erhöhen gewesen sei. Der auf diese Weise bestimmte Betrag habe sich wiederum verringert, da die Rechtsmittelführerinnen das rechtswidrige Verhalten nach den ersten Ermittlungen der Kommission eingestellt und nach Erhalt der Mitteilung über die Beschwerdepunkte mit der Kommission zusammengearbeitet hätten.
Das europäische Gericht der ersten Instanz bestätigte die Entscheidung der Kommission im Wesentlichen. Gegen das Urteil des Gerichts wendet sich das Rechtsmittel der Rechtsmittelführerinnen. Sie sind der Auffassung, die Entscheidung der Kommission verletze das Rückwirkungsverbot, den Gleichbehandlungsgrundsatz, den Grundsatz „ne bis in idem“ sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zudem stütze sich das Urteil auf eine falsche Beweiswürdigung.
Kommission darf Bemessungspraxis ändern und Bußgelder erhöhen
Was die Verletzung des Rückwirkungsverbots angeht, meinen die Rechtsmittelführerinnen, dass die Kommission ihre Leitlinien zur Bußgeldbemessung nicht auf Handlungen hätte anwenden dürfen, die vor Inkrafttreten der Leitlinien begangen worden seien. Vor Erlass der Leitlinien habe die Kommission den Betrag der Geldbußen in einer gefestigten Praxis üblicherweise anhand des Umsatzes der Unternehmen auf dem relevanten Markt errechnet. Die Leitlinien hätten eine radikale Änderung dieser Praxis mit sich gebracht. Die Kommission ist dagegen der Auffassung, es habe vor Erlass der Leitlinien keine gefestigte Praxis gegeben und sie sei ohnehin berechtigt, nach ihrem Ermessen von einer gefestigten Praxis für Geldbußen abzuweichen, wenn dies für die Erreichung der Ziele der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft erforderlich sei. Der Generalanwalt stimmt dem zu. Zunächst ist er der Auffassung, dass sich die Leitlinien innerhalb der Grenzen des insoweit einschlägigen Art. 15 der Verordnung Nr. 17 halten. Zudem weist er auf die gefestigte Rechtsprechung des EuGH hin, wonach die Kommission die allgemeine Höhe der Geldbußen anheben kann, um ihre Wettbewerbspolitik wirkungsvoller zu gestalten. Zum Zeitpunkt der Begehung der geahndeten Zuwiderhandlungen sei eine Anhebung des Niveaus der Geldbußen für die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer überdies keineswegs unvorhersehbar gewesen, da der Gerichtshof der Kommission bereits ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt hätte, derartige Erhöhungen vorzunehmen. Damit erledigt sich nach Ansicht des Generalanwalts zugleich die Rüge einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.
Sanktionen von Nicht-EU-Behörden sind bei Geldbußen nicht zu berücksichtigen
Mit dem dritten Rechtsmittelgrund rügen die Rechtsmittelführerinnen, dass die Kommission den Betrag der u. a. bereits in den Vereinigten Staaten gegen die Unternehmen verhängten Geldbußen von der festgesetzten Geldbuße hätte abzuziehen müssen. Die Kommission sei wegen des Grundsatzes „ne bis in idem“ verpflichtet, eine Sanktion zu berücksichtigen, die Behörden eines Drittlandes wegen des gleichen rechtswidrigen Verhaltens verhängt hätten. Die Kommission widerspricht dieser Auffassung. Der EuGH habe die Tragweite des Grundsatzes zutreffend dahingehend bestimmt, dass sich die Anwendung dieses Grundsatzes in der internationalen Rechtsordnung nur aus eigens dafür vorgesehenen Vereinbarungen ergeben könne. Gegenwärtig gebe es jedoch keine derartige Vereinbarung, die die Kommission verpflichten würde, ausländische Sanktionen anzurechnen oder zu berücksichtigen. Dem stimmt der Generalanwalt zu und weist darauf hin, dass multilaterale Übereinkommen, die den Grundsatz „ne bis in idem“ zum Ausdruck bringen, dessen Geltung im Allgemeinen allein auf gerichtliche Entscheidungen desselben Staates beschränkten. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass dem Grundsatz allgemeine Geltung zukomme, hinge die Anwendung dieses Grundsatzes nach der Rechtsprechung des EuGH von der dreifachen Voraussetzung der Identität des Sachverhalts, des Zuwiderhandelnden und des geschützten Rechtsguts ab. In dem zu beurteilenden Fall sei die Identität des geschützten Rechtsguts jedoch offensichtlich nicht gegeben: Die von der Kommission einerseits und u. a. von den amerikanischen Behörden andererseits betriebenen Verfahren und verhängten Sanktionen hätten nicht denselben Zielen gedient. Während es im ersten Fall darum ging, im Gebiet der Europäischen Union oder im EWR einen nicht verfälschten Wettbewerb zu erhalten, bezog sich der zweite Fall auf den Schutz u. a. des amerikanischen Marktes. Der Gerichtshof habe insoweit überdies eine Verpflichtung der Kommission zur Berücksichtigung bereits verhängter Sanktionen nur im Zusammenhang mit Entscheidungen von Behörden der Mitgliedstaaten ausdrücklich anerkannt.
Unternehmensumsatz auf dem relevanten Markt ein Faktor unter vielen
Schließlich machen die Rechtsmittelführerinnen auch eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geltend. Sie sind insoweit der Auffassung, dass die Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen den Umsatz der Unternehmen auf dem relevanten Markt hätte berücksichtigen müssen. Die Kommission widerspricht dem; dieser Umsatz sei nur einer der Faktoren, denen die Kommission Rechnung tragen könne. Sie müsse vielmehr eine ganze Reihe von Gesichtspunkten berücksichtigen, um die Geldbußen so zu bemessen, dass sie hinreichend abschreckend seien. Der Generalanwalt stimmt dem zu. Er weist insoweit darauf hin, dass die Kommission nach ständiger Rechtsprechung über einen besonders weiten Ermessensspielraum bei der Wahl der Umstände verfüge, die für die Bemessung von Geldbußen zu berücksichtigen seien. Der Gerichtshof habe insoweit ausgeführt, dass die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand zahlreicher Gesichtspunkte zu ermitteln sei, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Sache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehörten, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gebe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten. Die Kommission sei daher nicht gehalten, den Umsatz des betreffenden Unternehmens auf dem relevanten Markt zu berücksichtigen, dieser sei vielmehr nur einer der Faktoren, denen die Kommission Rechnung tragen könne.