In ihren Schlussanträgen vom 16.10.2010 in der Rechtssache C-115/09 (BUND ./. Bezirksregierung Arnsberg, Trianel Kohlekraftwerke Lünen) spricht sich die Generalanwältin Eleanor Sharpston für die Erweiterung der Klagerechte von Umweltorganisationen in Gerichtsverfahren aus.
Zum Hintergrund des Verfahrens: Der nordrhein-westfälische Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland („BUND“) hat Klage gegen das geplante Trianel-Steinkohlekraftwerk in Lünen erhoben. Das Oberverwaltungsgericht Münster zweifelte an der Klagebefugnis des BUND. Nach deutschem Recht ist eine Verletzung subjektiver Rechte des Einzelnen dafür erforderlich. Das Gericht fragte sich jedoch, ob diese Voraussetzung mit europäischem Recht vereinbar sei und legte diese Frage dem EuGH vor. Die Generalanwältin ist nun der Ansicht, dass Umweltverbände auch Klagen einreichen könnten, wenn keine Verletzung von subjektiven Rechten Einzelner vorliege.
Sollte diese Auffassung der Generalanwältin vom Europäischen Gerichtshof bestätigt werden, werden Umweltverbände zukünftig eine umfassende gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von umweltrelevanten Bauvorhaben und Industrieanlagen bewirken und insbesondere auch Verstöße gegen z. B. wasser- und naturschutzrechtliche Vorgaben rügen können. Die Auswirkungen des Urteils werden sich nicht nur auf das Trianel-Verfahren beschränken, sondern laufende Auseinandersetzungen um die geplanten Kohlekraftwerke in Datteln und Krefeld beeinflussen und auf zukünftige Vorhaben ausstrahlen.
Im Einzelnen argumentiert die Generalanwältin, wie folgt: Sie sieht es zunächst als zentrale Frage an, ob es mit der UVP-Richtlinie 2003/35/EG in Einklang stehe, dass ein Mitgliedstaat seine Verfahrensvorschriften über die Klagebefugnis aufrecht erhalte, die bewirkten, dass eine Klage wegen Verletzung einer nur den Schutz der Umwelt bezweckenden Rechtsvorschrift von niemandem erhoben werden könne. Zwar weist die Generalanwältin darauf hin, dass die Vorschrift über die Popularklage der Aarhus-Konvention gerade nicht in das Unionsrecht integriert worden sei und folglich keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung einer Popularklage bestehe. Artikel 10a Abs. 1 der UVP-Richtlinie verlange lediglich, dass die Mitgliedstaaten Personen, die entweder
- ein ausreichendes Interesse haben oder
- eine Rechtsverletzung geltend machen können
eine Klagebefugnis einräumten. Diese Alternativen in der UVP-Richtlinie seien erforderlich gewesen, um den unterschiedlichen Voraussetzungen der Klagebefugnis in den verschiedenen nationalen Rechtssystemen Rechnung zu tragen. Problematisch sei jedoch, welche Art von Recht eine Umweltorganisation als verletzt geltend machen könne, soweit ein Rechtssystem, so wie das deutsche, als Klagevoraussetzung eine Rechtsverletzung vorschreibe. Nach Ansicht der Generalanwältin räumt Artikel 10a UVP-Richtlinie den Mitgliedstaaten gerade nicht die Möglichkeit ein, die Rechte, deren Verletzung geltend gemacht werden können, auf eine Untergruppe von Rechten zu beschränken, z. B. lediglich auf subjektive Rechte des Einzelnen.
Zwar sei der Wortlaut des Artikel 10a UVP-Richtlinie mehr oder weniger neutral. Aus der Systematik des Artikel 10a der UVP-Richtlinie folge jedoch, dass das nationale Rechtssystem anerkennen müsse, dass Umweltorganisationen Träger eines Rechts seien, das verletzt werden könne. Dies gelte selbst dann, wenn dieses Recht in einem nationalen Rechtssystem, das sonst nur die Verletzung subjektiver Rechte Einzelner anerkenne, fingiert werden müsse. Zur Begründung stützt sich die Generalanwältin ferner auf eines der ausdrücklichen Ziele der Aarhus-Konvention: die Erweiterung des Zugangs zu den Gerichten für Umweltorganisationen. Den Umweltorganisationen werde in der Aarhus-Konvention und der UVP-Richtlinie eine besondere Rolle zugewiesen. Eine Umweltorganisation sei Ausdruck kollektiver Interessen und verfüge über einen Grad an technischer Sachkunde, die ein Einzelner nicht habe. Eine einzelne Klage von einer Umweltorganisation könne damit eine Vielzahl entsprechender Klagen ersetzen, die ansonsten von verschiedenen Einzelpersonen erhoben werden müssten. Damit werde das Verfahren rationalisiert, die Zahl gerichtlich anhängender Klagen verringert und die Effektivität der Rechtsprechung und des Rechtsschutzes, die mit beschränkten Gerichtsressourcen normalerweise erreicht werde, gesteigert.
Schließlich sei es wegen des Effektivitätsgrundsatzes erforderlich, mit der UVP-Richtlinie einen weiten Zugang zu den Gerichten zu schaffen. Eine effektive Umsetzung erfolge eindeutig nicht, wenn alle Klagen ausgeschlossen werden könnten, die auf Umweltvorschriften beruhten, die nicht auch subjektive Rechte Einzelner begründeten. In diesem Zusammenhang weist die Generalanwältin die Argumente der deutschen Regierung zurück, die eine Überlastung der Verwaltungsgerichte befürchtete, wenn die gegenwärtig sehr hohe Kontrolldichte eingeschränkt werden müsse, falls die Voraussetzungen der Klagebefugnis gelockert würden. Dem entgegnet die Generalanwältin, dass tatsächlich nur 0,1% der Umweltklagen von Umweltorganisationen stamme und somit eine Lockerung der Voraussetzungen der Klagebefugnis nicht befürchten lasse, dass es zu einem erheblichen Anstieg der Gesamtzahl an Rechtsstreitigkeiten komme.
Darüber hinaus ist die Generalanwältin der Ansicht, dass sich eine Umweltorganisation mangels vollständiger Umsetzung innerstaatlichen Rechts unmittelbar auf die Bestimmungen der UVP-Richtlinie berufen könne. Die UVP-Richtlinie, insbesondere ihr Artikel 10a, sei hinreichend bestimmt, genau und unbedingt, so dass eine unmittelbare Anwendung möglich sei.
Es bleibt abzuwarten, ob sich der EuGH diesen Schlussanträgen der Generalanwältin anschließt oder Mitgliedstaaten wie Deutschland ermöglicht, an ihren prozessualen Vorschriften zur Klagebefugnis festzuhalten.