In der Sache gründete eine österreichische Kommune im Mai 1999 zunächst eine 100 %ige Eigengesellschaft (GmbH). Im Juni 1999 übertrug die Kommune der GmbH dann die Erfüllung bestimmter Aufgaben der kommunalen Abfallwirtschaft. Schließlich beschloss die Kommune im Oktober desselben Jahres, 49 % ihrer Anteile an der GmbH auf ein Privatunternehmen zu übertragen. Dem Privaten wurde gleichzeitig ein Vetorecht bei wesentlichen Entscheidungen eingeräumt. Darüber hinaus stellte der Private einen von zwei Geschäftsführern, die die Geschäftsführung und Vertretung der GmbH gemeinsam wahrnahmen. Die Tochtergesellschaft nahm ihre operative Tätigkeit erst Anfang Dezember 1999 und damit zu einem Zeitpunkt auf, als das Privatunternehmen bereits Mitgesellschafterin war.
Drei vergaberechtsfreie Vorgänge oder ein ausschreibungspflichtiger Auftrag?
Die Europäische Kommission war der Auffassung, dass die Beauftragung der Tochtergesellschaft durch die Kommune hätte ausgeschrieben werden müssen und leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich ein. Die österreichische Regierung argumentierte dagegen, dass der Abschluss des Vertrages zwischen der Kommune und ihrer Tochtergesellschaft ein vergaberechtsfreies Inhouse-Geschäft sei. Die Gründung der Gesellschaft, der Abschluss der Entsorgungsvereinbarung und der Verkauf der 49 %-Beteiligung seien zudem drei gesonderte Vorgänge, die dem Vergaberecht nicht unterfielen. Schließlich habe die Kommune auch nach der Anteilsveräußerung über die Tochtergesellschaft eine vergleichbare Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle im Sinne des Teckal-Urteils des EuGH (Rs. C-107/98) ausgeübt.
EuGH: „Künstliche Konstruktion“ verschleiert Auftragsvergabe
Der Gerichtshof weist diese Argumentation ausdrücklich zurück. Unter den besonderen Umständen des Falls sei für die Anwendbarkeit des Vergaberechts nicht wie sonst der Zeitpunkt der tatsächlichen Auftragsvergabe maßgeblich. Vielmehr müsse auch die Tatsache berücksichtigt werden, dass die Abtretung von 49 % der Anteile an der Tochtergesellschaft kurz nach dem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem dieser Gesellschaft das ausschließliche und unbefristete Recht zur Sammlung und Behandlung von Abfällen übertragen worden sei. Zudem habe die Tochtergesellschaft ihre operative Tätigkeit erst dann aufgenommen, als das Privatunternehmen einen Teil ihrer Anteile übernommen hatte. Damit stehe aber fest, dass es sich um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag handele, der – so der EuGH wörtlich – über „eine mehrere gesonderte Schritte umfassende künstliche Konstruktion“ an ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen vergeben worden sei, an dem ein privates Unternehmen 49 % der Anteile halte. Nicht die rein zeitliche Abfolge sei insoweit entscheidend, sondern die Gesamtheit der Einzelschritte und ihrer Zielsetzung.
Ausnahmen sind eng, Vorhaben funktional zu betrachten – der EuGH bleibt seiner Linie treu
Erwartungsgemäß verwarf der Gerichtshof gleichfalls das Argument der österreichischen Regierung, wonach die Kommune auch nach der Anteilsveräußerung eine Kontrolle über ihre Tochtergesellschaft wie über eine eigene Dienststelle ausgeübt habe. Bereits im Verfahren „Stadt Halle“ (Rs. C-26/03) hatte der Gerichtshof entschieden, dass eine – auch nur minderheitliche – Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, es auf jeden Fall ausschließt, dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausüben kann wie über seine eigenen Dienststellen. Auch ein vollständiger Anteilsbesitz der Kommune an ihrer Eigengesellschaft begründet nicht ohne Weiteres eine derartige Kontrolle – wie der EuGH in der jetzt ergangenen Entscheidung in einem Nebensatz bedeutet. Der Gerichtshof bleibt damit seiner Linie treu: Ausnahmen vom Vergaberecht sind eng und das jeweilige Vorhaben funktional, nicht formal zu verstehen. Freiräume sollten öffentliche Auftraggeber daher vor allem bei der Gestaltung ihrer Ausschreibung nutzen, nicht bei der Umgehung derselben.