Europarechtliche Grundlagen sind die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 vom 08. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft („SE-VO“) sowie die Richtlinie 2001/86/EG vom 08. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer („SE-RL“). Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben der SE-VO sowie der SE-RL nicht ganz rechtzeitig in nationales Recht umgesetzt: Erst am 29. Dezember 2004 trat das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft („SEEG“) in Kraft.
Regelungsdefizite
Dafür, dass die SE nach langem Ringen doch wahr wurde, hat der europäische Gesetzgeber einen dreifachen Preis gezahlt: Weite Bereiche des Gesellschaftsrechts blieben zu Gunsten der (politisch Konsens fördernden) subsidiären Anwendung der nationalen Rechte und damit einhergehenden Rechtsunsicherheit ungeregelt. Die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer erhielten einen Stellenwert, der in den meisten europäischen Ländern bislang unbekannt ist und dazu führen könnte, dass Länder mit traditionell hohem Mitbestimmungsstandard – z. B. Deutschland – bei internationalen SE-Gründungen mit Vorsicht betrachtet werden. Schließlich sind die steuerlichen Folgen bis heute nicht durchgehend harmonisiert. Diese Themenkomplexe mögen zu einiger Skepsis gegenüber der SE führen; sie verlangen jedenfalls nach sorgfältiger, einzelfallbezogener Beratung. Soweit nicht ausdrücklich geregelt, bleiben die allgemeinen Vorschriften des jeweiligen nationalen Gesellschafts- und Aktienrechts ergänzend anwendbar, d. h., zur Zeit kann es 25 verschiedene „nationale“ SE-Rechtsformen geben.
Die Charakteristika der europäischen AG
Charakteristika der SE sind ein auf Aktien aufgeteiltes Stammkapital in Höhe von mindestens € 120.000,00, wobei die Haftung der Aktionäre auf die Höhe des gezeichneten Kapitals begrenzt ist. Sitz der SE ist der EU-Mitgliedstaat, in dem sie ihren Hauptverwaltungssitz hat. Die SE ist in Deutschland einer laufenden Besteuerung als Kapitalgesellschaft unterworfen. Die Gesellschaft muss ihrer Firma den Zusatz „SE“ voran- oder nachstellen; Eintragungen und Löschungen der Gesellschaft erfolgen im Amtsblatt der Europäischen Union.
Eine SE kann durch Verschmelzung, Gründung einer Holding-SE, Gründung einer Tochter-SE oder formwechselnde Umwandlung bestehender Gesellschaften in eine SE gegründet werden. Eine SE kann dabei entweder nach dem dualistischen System (das dem System der deutschen Aktiengesellschaft mit seiner Aufteilung in Aufsichtsrat und Vorstand neben der Hauptversammlung ähnelt) oder nach dem monistischen System (welches sich an das anglo-amerikanische „board“-System bzw. das französische Konzept mit Hauptversammlung und Verwaltungsrat anlehnt) organisiert werden.
Vorteile der SE
Vorteile der SE sind insbesondere die einfache Sitzverlegung, die Möglichkeit, grenzüberschreitende Verschmelzungen vornehmen zu können, der Gesichtspunkt eines einheitlichen europäischen Erscheinungsbildes (Corporate Identity), die Vereinfachung grenzüberschreitender Akquisitionen in Einzelfällen, die Attraktivität der SE bei der Gründung eines Joint-Venture, die Möglichkeit, neue Regelungen der Unternehmensmitbestimmung und die Vereinheitlichung der Konzernstruktur vorantreiben zu können, mögliche Kostensenkungen im Hinblick auf die Gründung von Zweigniederlassungen in verschiedenen Mitgliedstaaten sowie eine Erhöhung der Kreditwürdigkeit der Gesellschaft aufgrund der zu erbringenden Stammeinlage.
Gegründete SEs
Trotz aller Skepsis gegenüber der SE, insbesondere in Deutschland, gibt es bereits eine Reihe von SE-Neugründungen, z. B. die MPIT Structure Financial Services SE (ein Finanzdienstleistungsunter-nehmen, an dessen Gründung Gesellschaften aus Belgien, Luxemburg, Dänemark und den Niederlanden beteiligt sind; Hauptsitz in Amsterdam, gegründet am 08. Oktober 2004); die Bau Holding Strabag SE (Bauunternehmen mit Sitz in Österreich und 500 Standorten weltweit; umgewandelt am 12. Oktober 2004); die Elcoteq Network SE (ein Elektronikproduzent mit Sitz in Finnland und Standorten in Estland, Ungarn, Deutschland und Schweden) sowie die Brenner Basis Tunnel BBT SE (ein Unternehmen mit Sitz in Österreich, das die Finanzierung, Planung sowie Ausschreibungsvergabe für den Bau des weltweit längsten Eisenbahntunnels im Auftrag von Österreich, Tirol und Italien betreibt).
Ob sich die SE als eine Alternative zu den nach dem Gesellschaftsrecht der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten bisher gegründeten Aktiengesellschaften durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.