Immer wieder kommt es in Schwellen- und Entwicklungsländern aufgrund drastisch schlechter Arbeitsbedingungen zu tragischen Arbeitsunfällen, die oftmals tödlich enden. Besonders betroffen sind dabei die Textil- (sog. „fast fashion“) und Technikbranche. Menschenrechtsverletzungen sowie die Missachtung von Arbeitnehmer- und Umweltschutz bleiben in den jeweiligen Staaten regelmäßig ohne jegliche Konsequenzen. Die Komplexität und Intransparenz der Lieferketten darf nicht als Ausrede für eine mangelnde Überwachung der Einhaltung international anerkannter Menschenrechte entlang der Lieferkette verstanden werden. Vielmehr trägt jedes Glied der (Liefer-)Kette die Verantwortung für angemessene Arbeitsbedingungen und Einhaltung der Menschenrechte.
Auch die Bundesrepublik Deutschland ist mit ihren volkswirtschaftlich bedeutenden Branchen stark international verflochten und importiert Produkte aus der ganzen Welt. Damit stehen auch die deutschen Unternehmen in der Verantwortung, Menschenrechte entlang der Lieferketten zu gewährleisten und die Globalisierung mit Blick auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sozial zu gestalten.
Das neue Sorgfaltspflichtengesetz bzw. „Lieferkettengesetz“
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung am 03.03.2021 den Entwurf für ein neues „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ verabschiedet. Beschlossen wurde das Gesetz bisher noch nicht, eine parlamentarische Befassung wird aber in dieser Legislaturperiode erwartet.
Ziel des geplanten Gesetzes ist die Einführung und Gewährleistung von Mindeststandards bzw. gewissen Sorgfaltspflichten in der gesamten Lieferkette. Unternehmen sollen einen klar definierten, verhältnismäßigen und zumutbaren gesetzlichen Rahmen zur Erfüllung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten erhalten.
Die Regelungen des Sorgfaltspflichtengesetzes sollen laut Regierungsentwurf ab dem 01.01.2023 für Unternehmen mit Hauptverwaltung, Hauptniederlassung oder Sitz in Deutschland mit mehr als 3.000 Mitarbeitern gelten. Derzeit würde dies ca. 600 Unternehmen in Deutschland betreffen. Eine Herabsetzung des Schwellenwerts auf deutsche Unternehmen mit in der Regel 1.000 Mitarbeitern ist für 2024 geplant, so dass hiervon dann ca. 2.800 Unternehmen in Deutschland betroffen wären.
Die betroffenen Unternehmen werden durch das Gesetz grundsätzlich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, in ihren weltweiten Lieferketten die international anerkannten Menschenrechte zu gewährleisten.
Ein Schwerpunkt soll hierbei auf der Schaffung und Einhaltung von fairen Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer jeglicher Lieferanten liegen, d. h., das Arbeitsumfeld muss entsprechend abgesichert sein und Gesundheitsschädigungen jeglicher Art durch entsprechende Schutzvorkehrungen ausgeschlossen werden. Auch die Einhaltung des Verbots von Kinder- und Zwangsarbeit sowie der Ungleichbehandlung in der Beschäftigung aufgrund von Abstammung, sozialer Herkunft, Gesundheitsstatus, Behinderung, sexueller Orientierung, Alter oder Geschlecht sollen hierdurch sichergestellt werden. Hierdurch sollen die Interessen der Arbeitnehmergemeinschaft gestärkt und gefördert werden.
Auch der Umweltschutz wird im Gesetzesentwurf berücksichtigt werden zur Vermeidung von Umweltschäden innerhalb der Lieferkette, wie durch schädliche Bodenveränderungen, Gewässer- und Luftverunreinigungen oder übermäßigen Wasserverbrauch. Kritisch zu sehen ist jedoch der Aspekt, dass dies nicht etwa als absolute Pflicht zur schonenden und nachhaltigen Nutzung der Umwelt ausgestaltet worden ist, sondern sich auch diese Sorgfaltspflichten an der Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen durch eben solche Umweltschäden orientieren sollen.
Unterteilung der Lieferkette
Die neuen Sorgfaltspflichten erstrecken sich grundsätzlich auf die gesamte Lieferkette, können jedoch nach Art. 1 § 2 Abs. 5 des Entwurfs in drei Stufen unterteilt werden:
Demnach sind die Anforderungen an die unternehmerischen Sorgfaltspflichten geringer, je verzweigter und umfangreicher die Lieferkette ist.
Klar definierte Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten
Zu den Sorgfaltspflichten der Unternehmen zählen nach Art. 2 § 3 Abs. 1 des Entwurfs insbesondere die
Grundsätzlich sollen die Sorgfaltspflichten laut der Entwurfsbegründung „nur Bemühens- und keine Erfolgspflicht“ begründen. Gleichzeitig soll jedoch das Aussetzen von Geschäftsbeziehungen als letztmögliche Handlungsperspektive bei schwerwiegenden Verstößen in Betracht gezogen werden, wenn sich vorherigen Abhilfemaßnahmen als erfolglos oder aussichtslos erwiesen haben. Dies könnte im Rahmen der praktischen Umsetzung des Gesetzes vermehrt problematisch für Unternehmen in Deutschland sein.
Kontrollmechanismen
Um die Einhaltung dieser Sorgfaltspflichten durchsetzen zu können, soll die Verhängung von Zwangs- und Bußgelder und ein etwaiger temporärer Ausschluss von der Vergabe von öffentlichen Aufträgen als Sanktionsmittel gegen die betroffenen Unternehmen möglich sein. Bei schweren Verstößen kann der Bußgeldrahmen sogar bis zu zwei Prozent des weltweiten Konzernumsatzes betragen. Eine zivilrechtliche Haftung des Unternehmens ist in dem Gesetzesentwurf nicht ausdrücklich vorgesehen.
Dennoch ist eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einer gesetzlich statuierten konkret menschenrechtsschützenden Sorgfaltspflicht nicht von vorneherein ausgeschlossen. Zudem kommt eine (persönliche) Organhaftung des jeweiligen Leitungsorgans im Innenverhältnis zu dem sanktionierten Unternehmen in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre, dass deutsches Recht auf den jeweiligen konkreten Fall anwendbar ist. Nach aktueller Rechtslage haben die deutschen Gerichte grundsätzlich dasjenige Recht des Staates anzuwenden, in dem die jeweilige Menschenrechtsverletzung des Geschädigten eingetreten ist, was in der Regel ausländisches Recht wäre.
Für die Kontrolle der Einhaltung der Sorgfaltspflichten und die Durchsetzung von Sanktionen ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zuständig.
Eine weitere Durchsetzungsmöglichkeit ist in § 11 des Sorgfaltspflichtengesetzes geregelt. Danach ist möglich, dass derjenige, der geltend macht, durch einen Verstoß gegen eine unternehmerische Sorgfaltspflicht in einem seiner Menschenrechte verletzt worden zu sein, eine inländische Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation zur Prozessführung vor deutschen Gerichten ermächtigt (sog. besondere Prozesslandschaft). Doch auch hier wird vorausgesetzt, dass deutsches Recht Anwendung findet, was die Erfolgsaussichten eines Prozesses nicht verbessert.
Kritik am Sorgfaltspflichtengesetz
Kritisiert wird zunächst die Anknüpfung des gesetzlichen Anwendungsbereichs an die Arbeitnehmerzahl des Unternehmens. Es erschließt sich nicht, warum allein die Anzahl der Arbeitnehmer ein aussagekräftiges Kriterium für die Bedrohung der Menschenrechte in der Lieferkette darstellen soll. Die Verantwortung für eine menschenrechtskonforme Lieferkette sollte unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur großen Unternehmen, sondern auch kleinen Unternehmen übertragen werden, sofern sich diese hierdurch Vorteile des internationalen Handels und Produktionsraums zu eigen machen. Angemessen erscheint somit, Kriterien wie Bilanzsumme, Umsatzerlöse, Produktionsregionen und Beschäftigtenanzahl zu erwägen.
Problematisch ist zudem möglicherweise die Staffelung der anzuwendenden Sorgfaltspflichten. Je verzweigter die Lieferkette, desto geringer die anzuwendenden Sorgfaltspflichten des deutschen Unternehmens. Dies hat zur Folge, dass gerade die Lieferanten mit Sitz in Entwicklungs- und Schwellenländern nur bei einem dem Unternehmen bekannten konkreten Anlass und substantiierter Kenntnis von etwaigen Menschenrechtsverletzungen kontrolliert werden können. Dies könnte in Einzelfällen dazu führen, dass betroffene Unternehmen dazu verleitet werden, bei möglichen bzw. eingetretenen Menschenrechtsverletzungen „wegzuschauen“ und somit gar nicht zu einer „anlassbezogenen substantiierten Kenntnis“ zu erlangen. Hierdurch würde das Gesetz sein Ziel verfehlen und sogar den gegenteiligen Effekt verstärken.
Ein weiterer Angriffspunkt ist die fehlende zivilrechtliche Haftungsmöglichkeit. Ohne eine ausdrücklich geregelte zivilrechtliche Haftung besteht keine realistische Möglichkeit für Opfer, ihren entstandenen Schaden vor deutschen Gerichten tatsächlich einzuklagen. An dieser Stelle ist auf das französische „Loi de Vigilance“ und die bisherigen Pläne für eine EU-Regelung hinzuweisen, welche hinsichtlich der Haftungsfrage deutlich weiter gehen.
Grundsätzlich greift ein rein deutscher Ansatz zu kurz: Regelungen, die allein große deutsche Unternehmen betreffen, können nicht gewährleisten, dass in Deutschland nur noch menschenrechts- und umweltstandardkonforme Produkte bzw. Dienstleitungen angeboten werden. Vielmehr könnten für deutsche Unternehmen durch Wegfall bestimmter Produktionsregionen erhebliche Nachteile im globalen Wettbewerb entstehen. Um eine globale Einhaltung der Menschenrechte in den Lieferketten gewährleisten zu können und ein internationales Fairplay zwischen den Unternehmen aufrechtzuhalten, sollten die unternehmerischen Verpflichtungen von globaler bzw. zumindest europäischer Wirkung sein. Um einen effektiven Schutz von Menschenrechten und Umwelt zu bewirken, muss Deutschland auf Ebene der Europäischen Union auf eine rasche Entwicklung und Umsetzung eines europäischen Sorgfaltspflichtenrahmen für Unternehmen hinwirken.
Fazit
Mit dem Entwurf des Sorgfaltspflichten- bzw. Lieferkettengesetzes greift die Politik eine in der Bevölkerung immer stärker werdende Sensitivität für Menschenrechte und Umweltschutz auf. Unternehmen, die nicht nur sog. „green washing“ betreiben, sondern das Thema nachhaltiges Wirtschaften engagiert und konsequent angehen, könnten sich somit einen Vorteil im inländischen Wettbewerb aneignen. Die Komplexität einer dauerhaft funktionierenden und fairen Globalisierung spiegelt sich in einem deutschen Monitoring aus dem Jahr 2020 wider, wonach nur 20 % der Unternehmen die im „Nationalen Aktionsplan Menschenrechte“ festgelegten Sorgfaltspflichten erfüllen. Ein Gesetz, welches - wie es der Regierungsentwurf vorsieht - einen klaren Rechtsrahmen für Unternehmen aufstellt, kann als durchaus überfällig bezeichnet werden. Durch die neuen Regelungen werden Unternehmensleitungen verpflichtet, ihre unternehmerischen Entscheidungen nicht nur rein wirtschaftlich, sondern auch unter Wahrung der Menschenrechte bedacht zu treffen, wobei für diese noch einige Fragen zu klären wären, wie: Ab wann müssen konkrete Abhilfemaßnahmen ergriffen werden? Was ist unter „angemessenen“ Maßnahmen zu verstehen? Welche konkreten Haftungsrisiken bestehen, wenn nicht rechtzeitig oder unzureichend eingegriffen wird?
Für die Unternehmensleitung bedeuten die neuen Sorgfaltspflichten zukünftig erhebliche Umstellungen und Mehraufwand, sodass der Gesetzgeber ihnen großzügige Übergangsfristen gewähren sollte, um ein individuell zugeschnittenes und effektives Supply Chain Compliance Konzept zu entwickeln. Welche weiteren Probleme sich im Gesetzgebungsverfahren bzw. bei der Umsetzung des Gesetzes in der Praxis ergeben werden und wo Nachbesserungsbedarf bestehen könnte, bleibt abzuwarten. Der Grundstein für eine menschenrechtskonforme(re) und umweltschonende(re) globale Wirtschaft ist nun jedoch gelegt.
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