Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB – Tatsächliche Schranke
Kernfrage der Entscheidung ist die etwaige Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages. Entscheidend setzt sich das KG Berlin mit den Anforderungen des Tatbestandes der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB auseinander. Im konkreten Fall ließ es die Kenntnis sowohl des Auftraggebers als auch des Auftragnehmers über eine gleichgerichtete kurz zuvor ergangene Entscheidung des Kammergerichts (B. v. 06.02.2003, Az. 2 Verg 1/03) genügen, um eine Sittenwidrigkeit zu bejahen. Die Sittenwidrigkeit hätte nur verneint werden können, wenn alle Beteiligten nach einer sorgfältigen Prüfung zu dem Ergebnis gekommen wären, dass der Tatbestand einer gemeinschaftsweiten Ausschreibungspflicht eindeutig nicht gegeben sei oder wenn hätte angenommen werden können, dass der Senat seine Rechtsprechung aufgrund veränderter Umstände hätte aufgeben müssen. Das Kammergericht hat beide Alternativen abgelehnt. Die zuvor ergangene Rechtsprechung des Kammergerichtes wäre zu respektieren gewesen. Die Vertragsparteien hatten keine greifbaren Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung der Rechtslage. Die Vergabestelle und die Beigeladene handelten daher mutwillig, als sie sich gemeinsam und anwaltlich beraten über die Ausschreibungspflicht hinwegsetzten. Zuvor hat das KG Berlin eine mögliche Nichtigkeitsfolge aus § 13 S. 6 VgV analog abgelehnt und liegt damit im allgemeinen Trend (vgl. ebenso schon OLG Düsseldorf, B. v. 03.12.2003, Az. VII - Verg 37/03, S. 11 f.; 3. VK Bund, B. v. 30.09.2004, Az. VK 3 – 116/04). Die Frage nach einer etwaigen Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages über § 134 BGB in Verbindung mit den Vergabevorschriften hat es dagegen offen gelassen.
Entscheidung des KG Berlin zu begrüßen
Die Entscheidung ist unter verschiedenen Gesichtspunkten interessant. Das KG Berlin legt die Hürde des § 138 BGB niedriger als die bisherige Rechtsprechung und Literatur (vgl. insbesondere OLG Düsseldorf, B. v. 03.12.2003, Az. VII – Verg 37/03, S. 17; Burgi, NZBau 2003, S. 16, 20) und scheint damit eine Richtungsänderung für Fälle der de-facto Vergabe anzustreben. Der „sicheren“ de-facto Vergabe soll wohl auf diesem Wege ein Riegel vorgeschoben werden. Es bleibt für die Zukunft abzuwarten, ob der Meinung des Kammergerichts auch andere Gerichte folgen werden oder ob es bei dieser Einzelentscheidung bleibt. Darüber hinaus ist interessant, dass das KG Berlin die analoge Anwendung des § 13 S. 6 VgV abgelehnt hat, obwohl im vorliegenden Fall die Antragstellerin ihr Interesse an der Fortführung der Arbeiten rechtzeitig bekundet hatte. Bislang hat die Rechtsprechung in diesen Fällen wenigstens eine Art wettbewerbliches Verfahren und damit die Anwendbarkeit des § 13 S. 6 VgV bejaht (vgl. nur OLG Düsseldorf, B. v. 03.12.2003, Az. VII – Verg 37/03, S. 17; OLG Thüringen, B. v. 14.10.2003, Az. 6 Verg 5/03, VergabeR 2004, S. 113, 117). Begrüßenswert wäre eine Divergenzvorlage zum BGH nach § 124 Abs. 2 GWB gewesen, um den Charakter der Vergabevorschriften als gesetzliche Verbote i.S.d. § 134 BGB zu klären (ablehnend bislang 3. VK Bund, B. v. 12.10.2004, Az. VK 3 – 185/04). Sicherlich darf die Annahme eines gesetzlichen Verbotes nicht dazu führen, dass die Vorschrift des § 114 Abs. 2 GWB für jeden Vergabeverstoß entwertet würde, indem über die Hintertür der Nichtigkeit gemäß § 134 GWB die Bestandskraft des Vertrages ausgehebelt würde. Nichtsdestotrotz ist die Entscheidung des KG Berlin positiv zu bewerten, da sie für die Fälle der de-facto Vergabe einen gangbaren Weg aufzeigt. Darüber hinaus bestätigt das KG Berlin die Auffassung der Literatur, dass ein Nachprüfungsantrag nach unwirksamer Zuschlagserteilung zulässig ist (vgl. nur Burgi, NZBau 2003, S. 16, 20).