In seinem Urteil vom 03.07.2020 – VII ZR 144/19 – hat der BGH sich mit der Frage, ob und mit welchem Inhalt ein Bauvertrag im Falle eines verzögerten Zuschlags in einem öffentlichen Vergabeverfahren zustande kommt, beschäftigt. Diese Frage war bereits Gegenstand mehrerer früherer Entscheidungen des BGH (vgl. BGH, Urteil vom 11.05.2009 – VII ZR 11/08; Urteil vom 22.107 2010 – VII ZR 213/08; Urteil vom 25.11.2010 – VII ZR 201/08; Urteil vom 06.09.2012 – VII ZR 193/10).
Das aktuelle, für die Vergabepraxis äußerst relevante Urteil stellen wir Ihnen im Folgenden vor.
Der Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Bauvertrag über Bauleistungen für die Erhaltung und Fahrbahnerneuerung einer Bundesstraße zustande gekommen ist. Diese Leistungen waren Gegenstand einer öffentlichen Ausschreibung nach Abschnitt 1 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A 2016). Bestandteil der Vergabeunterlagen waren die auf der Grundlage des Formulars Besondere Vertragsbedingungen aus dem Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau („HVA B-StB“) (Stand: 04/16) vorgegebenen Vertragsbedingungen, die als frühesten Beginn der Ausführung den 05.04.2018 und als spätestes Datum der Vollendung den 11.07.2018 festlegten. Die Bindefrist war bis zum 09.03.2018 bestimmt.
Am 14.02.2018 gab die Klägerin ihr Angebot ab, das sich als das wirtschaftlichste erwies. Die Bindefrist wurde wegen Verzögerungen bei der Schaffung der bautechnischen Voraussetzungen einvernehmlich bis zum 04.05.2018 verlängert.
Am 05.04.2018 teilte die Vergabestelle der Klägerin mit, es sei beabsichtigt, ihr den Zuschlag zu erteilen. Am 13.04.2018 schrieb die Vergabestelle die Klägerin mit dem entsprechenden Formblatt aus dem HVA B-StB an und erklärte den Zuschlag auf das Hauptangebot. Gleichzeitig wurden als Vertragsfristen gemäß der Besonderen Vertragsbedingungen der Beginn der Ausführung frühestens am 04.05.2018 und die Vollendung der Ausführungen spätestens am15.08.2018 neu festgelegt. Weiter enthielt das Schreiben die Aufforderung, dass sich die Klägerin gemäß § 18 Abs.2 VOB/A unverzüglich über die Annahme des vorliegenden Zuschlagsschreibens erklären sollte.
Die Klägerin bedankte sich mit Schreiben vom 16.04.2018 für die Zuschlagserteilung und teilte mit, dass der gewünschte Realisierungszeitraum derzeit nicht bestätigt werden könne.
Sie führte aus
„Vorbereitend zur Bauanlaufbesprechung am 24.04.2018 sind wir dabei die erforderlichen Kapazitäten zu prüfen. Wir werden unsere Kapazitäten nach der verspäteten Vergabe neu ordnen und Ihnen dann möglichst am 24.04.die möglichen Termine bekannt geben.
Vorsorglich möchten wir es jedoch nicht versäumen, Ihnen schon jetzt erforderliche Mehrkosten infolge der verspäteten Vergabe und den damit verbundenen geänderten Ausführungsfristen anzukündigen. Die Grundlage dazu ist der § 2 Abs. 5 der VOB/B."
Die Klägerin pflegte die neu vorgegebenen Termine in einen Bauzeitenplan ein und verlangte zugleich eine Mehrvergütung infolge der zeitlichen Verzögerung.
Die Vergabestelle teilte daraufhin der Klägerin mit, dass kein Vertrag zustande gekommen sei. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Klage auf Feststellung, dass im Rahmen des Vergabeverfahrens nach öffentlicher Ausschreibung zwischen den Parteien ein Vertrag zustande gekommen sei; hilfsweise begehrte sie Schadensersatz wegen der Aufhebung der Ausschreibung.
Die Entscheidung
Der BGH folgt der Argumentation des öffentlichen Auftraggebers. Vorliegend sei kein Vertag zustande gekommen.
Enthalte das Zuschlagsschreiben wegen der Verzögerung des Vergabeverfahrens eine neue Bauzeit und bringe der Auftraggeber darin eindeutig und klar zum Ausdruck, dass er den Vertrag mit diesen Fristen zu dem angebotenen Preis abschließen wolle, könne das Schreiben nicht dahin ausgelegt werden, dass der Zuschlag auf eine Leistung zur ausgeschriebenen Bauzeit erteilt worden sei. Die Erteilung des Zuschlags stelle in einem solchen Fall eine Ablehnung des im Vergabeverfahren unterbreiten Angebots des Bieters dar und beinhalte zugleich ein neues Angebot des Auftraggebers.
Zwar kann nach der Rechtsprechung des BGH ein Zuschlag selbst dann zu den angebotenen Fristen erfolgen, wenn diese nicht mehr eingehalten werden können. Das gilt aber nur dann, wenn der Zuschlag erfolgt, ohne dass er ausdrückliche Erklärungen zur Anpassung der vorgesehenen Regelungen zur Bauzeit und/oder zur hiervon abhängigen Vergütung enthält.
Wolle der Auftraggeber von dem Vertragswillen des Bieters abweichen, und bringe er dies in der Annahmeerklärung klar und unzweideutig zum Ausdruck, .so sei indessen für eine solche Auslegung kein Raum, so der BGH in seiner aktuellen Entscheidung. Dem Bieter bliebe dann nur die Möglichkeit, die neue Bauzeit als Vertragsbestandteil anzunehmen oder das so geänderte Angebot – eventuell verbunden mit einem eigenen Vorschlag – abzulehnen. Im Sinne dieser letztgenannten Variante habe sich die Klägerin vorliegend verhalten.
Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht daraus, dass das Vorgehen des Auftraggebers möglichweise vergaberechtswidrig sei, weil es gegen den Grundsatz des Nachverhandlungsverbotes verstoßen könne (vgl. § 15 Abs. 3 VOB/A 2016).Es gebe keinen allgemeinen Grundsatz, dass sich ein öffentlicher Auftraggeber stets vergaberechtskonform verhalte. Die Vorschriften des BGB – und nicht die der VOB/A – seien für die Frage des Zustandekommens eines auf der Grundlage einer öffentlichen Ausschreibung zu schließenden Vertrags maßgeblich.
Fazit und Praxishinweise
Für den Auftraggeber gilt, dass er in seinem Zuschlagsschreiben klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen muss, dass er den Vertrag nur mit den geänderten Fristen zum angebotenen Preis abschließen will.
Der Bieter hat dann zwei Möglichkeiten. Er kann entweder das hinsichtlich der Bauzeit modifizierte Angebot uneingeschränkt annehmen, dann hat er das Vertragsangebot zu den vom Auftraggeber vorgegebenen Fristen angenommen. Der Bieter hat in diesem Fall keinen Anspruch auf Mehrvergütung wegen geänderter Ausführungsfristen. Oder er kann dem Auftraggeber in Bezug auf die Termine ein Änderungs- oder Ergänzungsangebot unterbreiten, das der Auftraggeber seinerseits annehmen kann, aber nicht annehmen muss.
Akzeptiert der Bieter die – wie hier – vom Auftraggeber verbindlich vorgegebene neue Bauzeit nicht, gilt seine „Annahmeerklärung“ als Ablehnung des Angebots verbundenen mit einem neuen Antrag (§ 150 Abs. 2 BGB).
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit Vergabeverfahren nach der VOB/A und/oder dem Abschluss und der Abwicklung von Bauverträgen? Wir beraten Sie gerne!