Mit Beschluss vom 20.03.2014 (X ZB 18/13) hat der BGH weiter konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen ein Vergabeverfahren rechtmäßig aufgehoben werden kann – mit erheblichen negativen Auswirkungen für Vergabestellen.
Die rechtlichen Grundsätze
Ein öffentlicher Auftraggeber ist nach ständiger Rechtsprechung niemals gezwungen, ein Vergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden. Hebt er ein Vergabeverfahren auf, ohne dass ihm ein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund zur Verfügung steht, können Bieter jedoch einen entsprechenden Vergaberechtsverstoß von den Vergabenachprüfungsinstanzen feststellen lassen und mit dieser Feststellung vor den Zivilgerichten Ansprüche auf Schadensersatz geltend machen. Diese Grundsätze lässt der BGH auch in seiner aktuellen Entscheidung unberührt. Er beschäftigt sich jedoch erstmals ausführlicher mit der Frage, wann dem Auftraggeber ein berechtigter „sonstiger schwerwiegender Grund“ im Sinne des § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A für eine Verfahrensaufhebung zur Verfügung steht.
Sachverhalt
Konkret hatte der BGH auf eine Vorlage des Oberlandesgerichts Karlsruhe über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung eines Beschaffungsverfahrens für Straßenbau-, insbesondere Fahrbahnerneuerungsarbeiten im Bereich des Autobahnkreuzes Heidelberg der Bundesautobahn A 5 zu entscheiden. Bei dieser Ausschreibung war zunächst der Bestbieter wegen vorgeblicher Änderungen der Vergabeunterlagen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen worden. Der Bieter wehrte sich bei der Vergabekammer gegen seinen Ausschluss mit dem Argument, er habe die Vergabeunterlagen nicht abgeändert; vielmehr sei die Leistungsbeschreibung des Auftraggebers mehrdeutig gewesen. Die Vergabekammer gab ihm insoweit Recht und ordnete daher an, das Angebot des Bieters bei der Wertung zu berücksichtigen. Dies kam für die Vergabestelle aber schon deshalb nicht in Frage, weil die von dem Bestbieter vorgeschlagene Art der Leistungsausführung nicht ihren eigentlichen Vorstellungen von der Leistungsdurchführung entsprach. Sie hob daher das Vergabeverfahren auf und verband dies mit der Ankündigung, zeitnah ein neues Verfahren einzuleiten. Hiergegen wandte sich der bereits im ersten Vergabenachprüfungsverfahren erfolgreiche Bieter mit einem weiteren Nachprüfungsantrag und beantragte die Aufhebung der Aufhebung, hilfsweise die Feststellung, dass die Aufhebung rechtswidrig war.
Die Entscheidung
Der BGH erkennt dem Bieter auf Vorlage durch das zweitinstanzlich zuständige OLG Karlsruhe zwar keinen Anspruch auf Aufhebung der Aufhebung zu. Wohl aber stellt er fest, dass die Aufhebung vorliegend rechtswidrig war und dem übergangenen Bieter daher Schadensersatzansprüche zustehen können. Denn letztlich resultiere der Aufhebungsgrund aus einem vergaberechtlichen Fehler der Vergabestelle, konkret: der Mehrdeutigkeit der Leistungsbeschreibung. Ein solcher Fehler sei aber nicht anerkennenswert als berechtigter Grund für eine schadensersatzlose Aufhebung des Vergabeverfahrens. Denn bei der Prüfung eines zur Aufhebung berechtigenden Grundes sei stets ein strenger Maßstab anzulegen. Berücksichtigungsfähig seien somit grundsätzlich nur Mängel, die die Durchführung des Verfahrens und die Vergabe des Auftrags selbst ausschlössen, wie etwa das Fehlen der Bereitstellung öffentlicher Mittel durch den Haushaltsgesetzgeber. Im Einzelnen bedürfe es für die Feststellung eines schwerwiegenden Grundes einer Interessenabwägung, für die die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls maßgeblich seien.
Fazit
Vergabestellen können bei unklaren Leistungsbeschreibungen, die zu unterschiedlichen Lösungen und damit weit auseinanderliegenden Preisen der Bieter führen, in einen letztlich aussichtslosen Konflikt geraten: Schließen sie den Bestbieter aufgrund einer Änderung der Leistungsbeschreibung aus, wird dieser sich – wie hier geschehen – erfolgreich zur Wehr setzen. Beabsichtigen sie stattdessen, dem Bestbieter (trotz möglicher Qualitätsrückstände) den Zuschlag zu erteilen, werden sich die anderen Bieter zur Wehr setzen mit dem Argument, sie hätten die Leistungsbeschreibung anders verstanden als der derzeitige Bestbieter und letztlich nur deshalb ein ungünstigeres Angebot abgegeben. Da Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung nicht zu Lasten der Bieter gehen dürfen, wäre auch solch ein Nachprüfungsantrag durchaus erfolgversprechend.
Bislang blieb daher in solchen Fällen als dritte – womöglich beste – Option noch der Ausweg über eine Verfahrensaufhebung und Neuausschreibung. Auch diese Möglichkeit hat der BGH den Vergabestellen nunmehr zumindest erheblich erschwert. Jedenfalls nämlich müssen sie dann zukünftig mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch die von der Aufhebung betroffenen Bieter rechnen. Zwar lässt der BGH offen, ob der bisherige Bestbieter dabei nur sein negatives Interesse oder darüber hinaus auch den aufgrund der Verfahrensaufhebung entgangenen Gewinn einklagen kann. Letzteres erscheint aber jedenfalls nicht ausgeschlossen. Mehr als je zuvor gilt deshalb: Eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung ist das A und O einer erfolgreichen Ausschreibung!