Am 31.03.2021 hat die Bundesregierung einen Entwurf des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes beschlossen. Mit dem Gesetz sollen – vor dem Hintergrund der großen (und steigenden) Anzahl an betriebsratslosen Betrieben – insbesondere die Gründung und die Wahl von Betriebsräten gefördert und erleichtert sowie Fälle der Behinderungen von Betriebsratswahlen reduziert werden. Ferner soll auf die voranschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt reagiert werden. Der vorliegende Beitrag stellt die wesentlichen Regelungspunkte des Gesetzesentwurfs vor.
1. Verfahrenserleichterungen
Der Gesetzesentwurf sieht zunächst eine Abänderung der Wahlvorschrift des § 14 Abs. 4 BetrVG vor. In kleineren Betrieben mit regelmäßig bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern soll keine Unterzeichnung von Wahlvorschlägen erforderlich sein. Für Betriebe mit in der Regel 21 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern ist eine Mindestanzahl von zwei Unterzeichnern vorgesehen, während es in größeren Betrieben bei der bestehenden Regelung verbleiben soll, dass Wahlvorschläge von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer zu unterzeichnen ist.
Gleichzeitig soll das Vereinfachte Wahlverfahren gemäß § 14a BetrVG ausgeweitet werden. Die Pflicht zur Durchführung dieses Verfahrens wird auf Betriebe mit in der Regel 5 bis 100 (statt bisher 5 bis 50) wahlberechtigten Arbeitnehmern ausgedehnt. In Betrieben mit in der Regel 101 bis 200 (statt bisher 51 bis 100) wahlberechtigten Arbeitnehmern soll das Verfahren bei Vorliegen einer Vereinbarung zwischen Wahlvorstand und Arbeitgeber zur Anwendung gelangen.
2. Erweiterter Kündigungsschutz
Die Gründung und Wahl von Betriebsräten soll ferner dadurch gestärkt werden, dass der Kündigungsschutz nach § 15 KSchG ausgeweitet wird. Es ist insofern einerseits vorgesehen, dass der Kündigungsschutz der Wahlinitiatoren (d.h. Arbeitnehmer, die insbesondere zu einer Betriebs- oder Wahlversammlung einladen oder die Bestellung eines Wahlvorstandes beantragen) gemäß § 15 Abs. 3a Satz 1 KSchG a.E. für die ersten sechs (statt bisher drei) in der Einladung oder die ersten drei (wie bisher) in der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer gilt.
Andererseits sollen auch solche Arbeitnehmer besonderen Kündigungsschutz genießen, die Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats unternehmen und eine öffentlich beglaubigte Erklärung – im Sinne des § 129 BGB (notarielle Beglaubigung) – mit dem Inhalt abgegeben haben, dass sie die Absicht haben, einen Betriebsrat zu errichten. Solchen Arbeitnehmern soll nicht gekündigt werden dürfen, wenn die Kündigung aus personenbedingten oder verhaltensbedingten Gründen erfolgt, es sei denn, es liegen Tatsachen vor, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigen. Der Kündigungsschutz soll ab dem Zeitpunkt der Abgabe der öffentlich beglaubigten Erklärung bis zum Zeitpunkt der Einladung (insbesondere) zu einer Betriebs- oder Wahlversammlung, längstens jedoch für drei Monate, gelten.
3. Eingeschränktes Anfechtungsrecht bei Fehlern der Wählerliste
Die Anfechtung der Betriebsratswahl durch die Wahlberechtigten soll – aus Gründen der Rechtssicherheit – grundsätzlich ausgeschlossen sein, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist, und zuvor kein diesbezüglicher ordnungsgemäßer Einspruch gemäß § 4 Abs. 1 Wahlordnung (WO) gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt wurde. Ausnahmen sollen bestehen, wenn die anfechtenden Wahlberechtigten an der ordnungsgemäßen Einlegung des Einspruchs (etwa aus Gründen der Arbeitsunfähigkeit) gehindert waren.
Ferner soll der Arbeitgeber die Wahl nicht wegen Unrichtigkeit der Wählerlisten anfechten können, wenn die Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht. Diese Bestimmung trägt dem Umstand Rechnung, dass der Arbeitgeber gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 WO dem Wahlvorstand alle für die Anfertigung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen hat.
4. Betriebsratssitzungen im Wege der Video- oder Telefonkonferenz
Als Reaktion auf die pandemische Situation hatte der Gesetzgeber mit § 129 Abs. 1 BetrVG eine – bis zum 30.06.2021 – befristete Rechtsgrundlage für die Teilnahme an Betriebsratssitzungen sowie die Beschlussfassung mittels Video- oder Telefonkonferenz geschaffen. Mit Verweis auf die Digitalisierung der Betriebsratsarbeit soll diese Möglichkeit nunmehr fester Bestandteil des BetrVG werden, indem die §§ 30, 33, 34 BetrVG ergänzt werden. Es wird allerdings klargestellt, dass Betriebsratssitzungen vorrangig als Präsenzveranstaltungen abgehalten werden sollen. Ob und inwieweit die Möglichkeit der Video- oder Telefonkonferenz genutzt wird, soll nach der Entwurfsbegründung allein der Betriebsrat entscheiden; widerspruchsberechtig ist (lediglich) mindestens ein Viertel der Betriebsratsmitglieder. Der Arbeitgeber kann – im Einklang mit der (Instanz-)Rechtsprechung zu § 129 Abs. 1 BetrVG – nicht die Durchführung der Betriebsratssitzung auf diesem Wege verlangen. Die Regelung soll auch für andere Gremien gelten (z.B. Gesamt- und Konzernbetriebsrat oder die Jugend- und Auszubildendenvertretung). Für die Einigungsstelle gilt jedoch – mit Auslaufen der Regelung in § 129 Abs. 2 BetrVG – weiterhin eine Präsenzpflicht.
5. Elektronische Form für Beschlüsse der Einigungsstelle sowie Betriebsvereinbarungen
Beschlüsse der Einigungsstelle sollen – was bislang aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht möglich war – künftig auch in elektronischer Form niedergelegt und vom Vorsitzenden mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden können (Änderung des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG). Die elektronische Form des § 126a Abs. 1 BGB soll nach dem Gesetzesentwurf zudem bei Betriebsvereinbarungen ausreichen, wenn die Betriebsparteien dasselbe Dokument elektronisch signieren.
6. Datenschutz
Hinsichtlich des Themas Datenschutz bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat regelt der Entwurf (§ 79a BetrVG), dass der Arbeitgeber (auch dann) der Verantwortliche im Sinne der datenschutzrechtlichen Vorschriften ist, soweit die Verarbeitung der Erfüllung von Aufgaben dient, für die der Betriebsrat zuständig ist. Klarstellend wird festgehalten, dass der Betriebsrat die Vorschriften über den Datenschutz einzuhalten hat und dass sich die Betriebsparteien gegenseitig bei der Einhaltung der Bestimmungen des Datenschutzrechts zu unterstützen haben.
7. Künstliche Intelligenz
Im Hinblick auf die Beurteilung der Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz soll die Hinzuziehung eines Sachverständigen nach § 80 Abs. 3 BetrVG stets erforderlich sein. Zugleich sollen das Unterrichtungs- und Beratungsrecht des § 90 BetrVG im Hinblick auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz erweitert werden und das Mitbestimmungs- sowie das Initiativrecht des § 95 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG auch dann gelten, wenn bei der Aufstellung von Auswahlrichtlinien Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt.
8. Mobile Arbeit: neuer Mitbestimmungstatbestand
Die Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten sollen in § 87 Abs. 1 BetrVG um eine Nr. 14 ergänzt werden. Der Betriebsrat soll danach mitzubestimmen haben bei der Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird. Die Entscheidung über die Einführung mobiler Arbeit (das „Ob“) obliegt jedoch weiterhin dem Arbeitgeber. Ausweislich der Entwurfsbegründung soll das Mitbestimmungsrecht einen Auffangtatbestand bilden für alle Regelungen, mit denen mobile Arbeit ausgestaltet werden kann. Zudem soll der Mitbestimmungstatbestand nicht eröffnet sein, wenn sich die Mobilität – wie etwa bei Handelsvertretern oder Monteuren – bereits zwingend aus der Eigenart der zu erbringenden Arbeitsleistung ergibt.
9. Fazit
Insgesamt enthält der Gesetzesentwurf eine überschaubare Anzahl an Neuerungen. Es bleibt abzuwarten, ob diese – sollte das Gesetz in dieser Form verabschiedet werden – tatsächlich die ausgerufenen Ziele erreichen. Inwieweit Betriebsratsgründungen überhaupt das Mittel der Wahl für eine sachgerechte Vertretung der Arbeitnehmerinteressen sind, hängt von den jeweiligen (Einzelfall-)Umständen ab; es dürfte eine beträchtliche Anzahl an Betrieben geben, in denen die Interessen der Belegschaft auch ohne ein vermittelndes Gremium ausreichend zur Geltung kommen. Hier werden vermutlich auch der Wegfall bzw. die Einschränkung der Unterzeichnungspflicht von Wahlvorschlägen und die Ausweitung des Vereinfachten Wahlverfahrens nicht per se zu Betriebsratsgründungen führen. Die Erweiterung des Kündigungsschutzes birgt im Übrigen eine erhebliche Missbrauchsgefahr gerade im Falle einer drohenden Kündigung. Fraglich ist schließlich, ob der Mitbestimmungstatbestand zur mobilen Arbeit im Hinblick auf die bestehenden Tatbestände aus § 87 Abs. 1 BetrVG in der Praxis überhaupt eine große Rolle spielen wird.
Es bleibt abzuwarten, ob das Betriebsrätemodernisierungsgesetz – wie geplant – noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird oder ob es der im September bevorstehenden Bundestagswahl und dem bereits begonnenen Wahlkampf zum Opfer fällt.
Fragen hierzu? Fragen Sie uns!