Matrix-Führungskräfte können in mehreren Betrieben wahlberechtigt im Sinne des § 7 Satz 1 BetrVG sein. Dies hat das BAG mit Beschluss vom 22.05.2025 (Az.: 7 ABR 28/24) entschieden.
Der Arbeitgeber, der IT-Dienstleistungen erbringt und IT-Produkte vertreibt, hat mehrere Betriebe mit jeweils einem Betriebsrat. Die Arbeit ist so organisiert, dass Arbeitnehmer aus verschiedenen Organisationseinheiten in Teams zusammenarbeiten und von Führungskräften geführt werden, die einem anderen Betrieb angehören und keine leitenden Angestellte sind (sog. Matrix-Führungskräfte). Diese Führungskräfte haben fachliche, nicht jedoch disziplinarische Weisungsbefugnisse. Bei der letzten Betriebsratswahl sah der Wahlvorstand eines der Betriebe diejenigen Matrix-Führungskräfte, die Vorgesetzte der diesem Betrieb angehörigen Arbeitnehmer sind, als wahlberechtigt an. Der Arbeitgeber betrachtete die Matrix-Führungskräfte dagegen nicht als wahlberechtigt und focht die Wahl an.
Eine Betriebsratswahl kann nach § 19 Abs. 1 BetrVG insbesondere angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht verstoßen worden ist. Die Teilnahme nicht wahlberechtigter Arbeitnehmer an einer Betriebsratswahl stellt einen Verstoß gegen eine solche wesentliche Vorschrift über das Wahlrecht in diesem Sinne dar. Wahlberechtigt sind nach § 7 Satz 1 BetrVG alle Arbeitnehmer des Betriebes, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG sind Arbeitnehmer in diesem Sinne solche, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen und in die Betriebsorganisation eingegliedert sind.
Im Jahr 1958 hatte das BAG (vgl. BAG Beschl. v. 12.06.2019, Az.: 1 ABR 5/18) zu den damals geltenden gesetzlichen Vorschriften zwar angenommen, dass eine Mehrfachwahlberechtigung möglich ist. Ob dies (auch) für die aktuelle Regelung im Betriebsverfassungsgesetz gilt, war indes höchstrichterlich nicht geklärt. Zu dem Mitbestimmungstatbestand betreffend die Einstellung gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG – die (ebenfalls) an eine Eingliederung des Arbeitnehmers in dem Betrieb anknüpft – hatte das BAG angenommen, dass eine Matrix-Führungskraft in mehrere Betriebe eingegliedert sein kann. Ob dies zwangsläufig auch zur Folge hat, dass der betroffene Arbeitnehmer in mehreren Betrieben wahlberechtigt ist, hatte das BAG bislang jedoch offengelassen. Landesarbeitsgerichte in anderen Verfahren hatten im vergangenen Jahr die Eingliederung und damit die Wahlberechtigung in mehreren Betrieben angenommen (vgl. LAG München Beschl. v. 22.05.2024, Az.: 11 TaBV 86/23; LAG Hessen Beschl. v. 22.01.2024, Az.: 16 TaBV 98/23).
Das LAG Baden-Württemberg hatte als Vorinstanz in dem nun vom BAG entschiedenen Verfahren dagegen angenommen, dass die Matrix-Führungskräfte, die Arbeitnehmer in mehreren Betrieben führen, nur ihrem „Stammbetrieb“ zugeordnet und nur dort wahlberechtigt seien.
Dieser Rechtsauffassung widersprach das BAG und entschied, dass der Umstand, dass ein Arbeitnehmer bereits in einem Betrieb eingegliedert und damit dort wahlberechtigt sei, seiner Eingliederung und Wahlberechtigung in einem weiteren Betrieb nicht entgegenstehe. Es sei vielmehr möglich, in mehreren Betrieben wahlberechtigt zu sein.
Die Eingliederung in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers erfordert nach bisheriger Rechtsprechung des BAG zu § 99 BetrVG nicht, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit auf dem Betriebsgelände verrichtet. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck seines Betriebs verfolgt. Dies sei regelmäßig (auch) für den Betrieb, in dem die weisungsempfangenden Arbeitnehmer tätig seien, der Fall, wenn die Führungskraft ihre fachlichen Weisungsbefugnisse tatsächlich wahrnehme. Es ist davon auszugehen, dass das BAG diese Maßstäbe in den Entscheidungsgründen der bislang nur als Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung bestätigt. Es bleibt aber abzuwarten, ob sie noch eine Konkretisierung erfahren.
Unternehmen mit Matrixstrukturen müssen bei den Betriebsratswahlen im kommenden Jahr nach alledem beachten, dass Führungskräfte in dem genannten Sinne nicht nur in ihrem „Stammbetrieb“, sondern auch in anderen Betrieben wahlberechtigt sein können, in denen die Arbeitnehmer tätig sind, die von ihnen Weisungen erhalten. Je nach den Umständen des Einzelfalles kann es sich dabei um mehrere Betriebe handeln. Die Nichtaufnahme wahlberechtigter Arbeitnehmer in die Wählerliste bzw. die Aufnahme nicht wahlberechtigter Arbeitnehmer macht eine Betriebsratswahl nicht unwirksam, sondern – wie erwähnt – „nur“ anfechtbar. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Fehler das Wahlergebnis beeinflussen konnte.
Sind Matrix-Führungskräfte in einem weiteren Betrieb aktiv wahlberechtigt, so dürfte dies auch zur Folge haben, dass ihnen regelmäßig auch dort das passive Wahlrecht nach § 8 BetrVG zusteht, da dieses im Wesentlichen an die Wahlberechtigung anknüpft. Insofern wären – zumindest theoretisch – auch Mehrfachmitgliedschaften in Betriebsräten denkbar. In der Entscheidung aus dem Jahre 1958 hatte das BAG eine „Doppelmitgliedschaft“ für zulässig erachtet. Eine solche Konstellation würde wiederum mit weiteren rechtlichen Besonderheiten einhergehen, etwa einem mehrfachen besonderen Kündigungsschutz.
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