Die Krisensituation
Spätestens seit Mitte März 2020 trifft die Corona-Epidemie auch den deutschen Gewerberaummietmarkt wie ein Tsunami. Von einem Tag auf den nächsten ist nichts mehr so, wie es einmal war.
Sowohl Vermieter, die gegebenenfalls den Kapitaldienst für ihre Finanzierungen zu erbringen haben, als auch Mieter, denen aufgrund von behördlich verfügten Schließungen der Umsatz vollständig wegbricht, sind mit erheblichen, teils existenziellen Folgen konfrontiert. Insbesondere bereits aus anderen Gründen angeschlagenen Marktteilnehmern droht das schnelle Aus in Gestalt einer Insolvenz.
Vermieter stellen sich die bange Frage, ob und in welchen Fällen die Gewerberaummieter nach wie vor zur Mietzahlung verpflichtet sind. Spiegelbildlich liegt für die Mieter, deren anderweitige Kosten zumindest größtenteils trotz wegbrechender Erlöse weiterhin auflaufen, die Prüfung nahe, ob und welche Rechte sie aufgrund der gegenwärtigen Situation gegenüber ihren Vermietern geltend machen können.
Das Primat wirksamer vertraglicher Regelungen
Vordringlich ist in allen einschlägigen Fällen zunächst einmal der Mietvertrag mit seinen Nachträgen zu konsultieren. Finden sich dort einschlägige Regelungen für den eingetretenen Krisenfall, stellt sich die Frage, ob die getroffenen Vereinbarungen insoweit wirksam sind. Handelt es sich um individualvertragliche Regelungen, sind diese in den sehr weit gesteckten Grenzen der allgemeinen Gesetze (insbesondere §§ 134, 138 BGB) in aller Regel wirksam.
Sehr viel komplizierter ist die Situation bei den in der Praxis sehr häufig anzutreffenden formularvertraglichen Regelungen. Stammen im jeweiligen Vertrag die einschlägigen Klauseln aus der Feder des Vermieters/wurden sie von ihm „gestellt“, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob die Regelungen den strengen Anforderungen der §§ 305 ff. BGB standhalten. Auch wenn sich Generalisierungen verbieten, kann man davon ausgehen, dass eine Unwirksamkeit entsprechender Klauseln in einer Vielzahl von Fällen gegeben sein dürfte.
Welche Rechtsfolgen sieht das Gesetz vor?
Ist keine vertragliche oder keine wirksame vertragliche Regelung vorhanden, gelten die gesetzlichen Regelungen. Hier sind unterschiedliche Konstellationen zu beachten:
Faktische Beeinträchtigungen
Liegen nur faktische Beeinträchtigungen, wie bei nach wie vor möglicher Öffnung nebst erheblichem Umsatzeinbruch oder (teilweise) fehlender Nutzung, z.B. von Büroraum, aufgrund von Erkrankung der Belegschaft bei nach wie vor bestehender Nutzungsmöglichkeit vor, spricht manches dafür, dass dieses Risiko allein dem Mieter zu Last fällt. So hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2000 für Einkaufscenter, denen es an der Besucherfrequenz mangelt, für den Regelfall entschieden, dass dem Mieter auch bei ausbleibenden Umsätzen und zu verzeichnenden Verlusten grundsätzlich keine Rechte gegen den Vermieter zustehen. Eine persönliche Verhinderung in Bezug auf die Nutzung der Mietsache ist schon nach dem Gesetz, § 537 Abs. 1 BGB, kein Grund für eine Herabsetzung der Miete.
Rechtliche Einschränkungen und Schließungen
Ein Präjudiz des BGH fehlt für das Mietrecht
Deutlich schwieriger ist die Beurteilung der Situation, die sich durch erhebliche, vor allen Dingen auf Allgemeinverfügungen beruhenden Beschränkungen der Nutzung der Mietsache oder durch die nunmehr für weite Teilbereiche des Einzelhandels bestehenden flächendeckenden Zwangsschließungen ergibt. Eine einschlägige Entscheidung des Bundesgerichtshofes als höchstem deutschen Fachgerichts für eine vergleichbare Situation liegt aus der jüngeren Vergangenheit für den Bereich der Gewerbemiete nicht vor. Auch die Entscheidung des XII. Zivilsenats zu den Nichtraucherschutzgesetzen aus dem Jahr 2011 betrifft keine entsprechende Konstellation und die tragenden Erwägungen der Entscheidung des BGH erscheinen nicht ohne Weiteres übertragbar.
Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
Man muss schon sehr weit zurückgehen, um zu Urteilen zu ähnlichen Sachverhalten aus dem Bereich Miete/Pacht zu gelangen: Das Reichsgericht hatte sich im 1. Weltkrieg und in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen mehrfach mit vergleichbaren Situationen zu befassen. Es liegen einschlägige Entscheidungen zu dem Verbot von Tanzveranstaltungen im 1. Weltkrieg und den Rechtsfolgen für Pachtverträge über Tanzcafés sowie zu den Auswirkungen gesetzlicher Regelungen auf Mietverträge vor, die im Ergebnis einer Nutzung der angemieteten Sache zum vorgesehenen Zweck entgegenstanden. Das Reichsgericht ist mitunter von einem Mangel der Mietsache und/oder einer (vorübergehenden) Unmöglichkeit der Überlassung der Mietsache zum Vertragszweck ausgegangen. Beide Annahmen würden im Falle der Schließung z.B. von Ladenlokalen aufgrund der gegenwärtigen Situation im Zusammenhang mit der Coronaepidemie dazu führen, dass der Mieter für die Dauer des Entfalls der Nutzung weder Miete, noch Nebenkosten zu zahlen hätte.
Aussagen der Fachliteratur
Ob diese Jahrzehnte (oder in den meisten Fällen besser: rund ein Jahrhundert) alte Rechtsprechung des Reichsgerichts heute noch Anwendung finden soll, ist in der juristischen Fachliteratur umstritten. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH zur Mangelhaftigkeit der Mietsache spricht manches dafür, anders als das Reichsgericht ehedem nicht von einem Mangel der Mietsache bei generell wirkenden Nutzungsverboten, die keinen Bezug zur konkreten Mietsache oder deren Lage aufweisen, auszugehen. Teilweise wird von den Fachautoren nach wie vor für ähnliche Situationen von einer vorübergehenden Unmöglichkeit ausgegangen. Folgt man dieser Auffassung, schuldet der Mieter nach dem Gesetz während der Schließungsphase weder Miete, noch Betriebskosten. Andere Stimmen sehen einen Fall des § 313 BGB/Wegfalls der Geschäftsgrundlage als gegeben an. Diese juristische Feinheit/Unterscheidung hat durchaus praktische Relevanz. Denn anders als im Falle der Unmöglichkeit, die zum Entfall des Mietzahlungsanspruches und der Verpflichtung zur Zahlung von Nebenkosten zu Gunsten des Mieters führt, besteht die Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in einem Anspruch auf angemessene Anpassung des betroffenen Vertrages für die Dauer der Störung. Wie eine solche Anpassung von im Streitfall hierzu berufenen Gerichten vollzogen würde, lässt sich kaum prognostizieren. Manches spricht dafür, dass zumindest keine vollständige Reduzierung der laufenden Zahlungsverpflichtungen des Mieters im Rahmen einer solchen Vertragsanpassung erfolgt. Schließlich sind auch Stimmen zu finden, die das einschlägige Risiko zumindest weitestgehend dem Mieter aufbürden und grundsätzlich von einem Fortbestand der Zahlungsansprüche des Vermieters ausgehen.
Vorübergehender Ausschluss der Vertragspflichten gemäß § 134 BGB?
Die einschlägigen von den Bundesländern erlassenen Regelungen zum Schutz vor der unkontrollierten Ausweitung der Pandemie sehen für weite Bereiche des Einzelhandels, Gaststätten, Sportstätten etc. ein vorübergehendes Öffnungsverbot vor. Man kann daher mit guten Argumenten vertreten, dass Mietverträge für entsprechende Gewerberäume temporär gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. Daher könnte § 134 BGB mit der Folge eingreifen, dass vorübergehend eine Nichtigkeit des Mietvertrags kraft Gesetzes eintritt und weder Miete noch Betriebskosten für die Dauer des Bestehens des Verbotes geschuldet sind. Für andere Bereiche des Wirtschaftslebens, etwa für Konzessionsabgaben, Preisänderungsklauseln ist der BGH von einer vorübergehenden Nichtigkeit der vertraglichen Bestimmungen für die Dauer des Bestands des jeweiligen Verbots ausgegangen. Auch wenn dieser Gesichtspunkt bisher in der Fachdiskussion keine Rolle gespielt hat, liegt es nahe, diese Rechtsprechung in der aktuellen Situation auf Gewerberaummietverträge zu übertragen, wenn die vermieteten Räume gegenwärtig aufgrund der erlassenen Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen nicht mehr zum vertragsgemäßen Zweck genutzt werden dürfen. Eine solche Übertragung/Annahme der vorübergehenden Nichtigkeit ist jedoch alles andere als gesicherte Erkenntnis.
Da für alle der genannten Lösungsansätze durchaus Ansatzpunkte in gesetzlichen Regelungen zu finden sind, besteht gegenwärtig eine erhebliche Rechtsunsicherheit.
Handlungsvarianten
Auf Mieterseite wird man angesichts dieser Unsicherheit vor allen Dingen bei unternehmenswichtigen Verträgen Vorsicht walten lassen müssen. Denn sollte sich später herausstellen, dass die Zahlungsverpflichtungen ungemindert fortbestanden haben und der Mieter längere Zeit die Miete nicht gezahlt hat bzw. angekündigt hat, seine Zahlungen trotz bestehender Zahlungsfähigkeit vorläufig einzustellen, drohen berechtigte Kündigungen wegen Zahlungsverzugs. Für Teilbereiche hat das jüngst verabschiedete Gesetzespaket zumindest insoweit Klarheit erbracht, dass auch dem Mieter von Gewerberaum vorläufig nicht außerordentlich gekündigt werden kann, wenn er fällige Mieten nicht leistet und die Nichtleistung auf den Auswirkungen der aktuellen Pandemie beruht.
Zahlungen des Mieters können unter Umständen losgelöst von der Frage des Bestehens einer entsprechenden Verpflichtung oder einer drohenden Kündigung wegen Zahlungsverzugs erforderlich sein, wenn man ansonsten befürchten muss, dass der Vermieter die Krise nicht übersteht und das langfristig angemietete Objekt entweder im Wege der Zwangsversteigerung oder nach Eintritt einer Insolvenz des Vermieters vom Insolvenzverwalter freihändig veräußert einen neuen Eigentümer findet. Denn in beiden Fällen steht dem Erwerber ein außerordentliches Kündigungsrecht mit den gesetzlichen Fristen zu. Der vermeintlich langfristige Mietvertrag ist dann Makulatur.
Wenn gegenwärtig Miet- und Nebenkostenzahlungen mieterseits erbracht werden, sind sie ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Zurückforderung zu stellen. Denn sollte sich später herausstellen, dass der Vermieter doch keinen Zahlungsanspruch oder keinen Anspruch in voller Höhe der geleisteten Zahlungen hatte, kann der Mieter nach Maßgabe des § 814 BGB mit Rückzahlungsansprüchen ausgeschlossen sein, wenn er in Kenntnis der Situation die Zahlungen ohne Vorbehalt geleistet hat.
Rein faktisch wird sich für viele Vermieter die Frage stellen, ob man angesichts der ungesicherten Rechtslage gegenwärtig tatsächlich oder vermeintlich bestehende Mietzahlungsansprüche gerichtlich durchsetzt. Denn aufgrund der oben geschilderten Situation wird eine Reihe von Mietern nicht in der Lage sein, entsprechende Zahlungen zu leisten. Im Zusammenhang mit Stundungsvereinbarungen oder Vereinbarungen zur vorübergehenden Mietreduktion etc. sind auch die Folgen bei einer später nachfolgenden Insolvenz des Mieters zu berücksichtigen. Denn es liegt nahe, dass einem späteren Insolvenzverwalter des in der Folgezeit doch noch in Insolvenz geratenen Mieters Rückforderungsansprüche in Hinblick auf nach Ablauf der Stundung gezahlte Mieten nach Anfechtung zustehen.
Wir sollten miteinander sprechen
In vielen Fällen kann es sich angesichts der gewaltigen Herausforderung, vor der nunmehr alle stehen, als deutlich sinnvoller herausstellen, einen Interessenausgleich herzustellen, anstatt wechselseitig auf Maximalpositionen zu bestehen oder vor Gericht juristisch die Klingen zu kreuzen. Sicherlich wird der eine oder andere die Situation und die anstehenden notwendigen Korrekturen an vertraglichen Vereinbarung dazu nutzen, bekannte oder vom Vertragspartner noch nicht erkannte Schriftformmängel zu heilen. Zumindest an dieser Stelle kann in der Katastrophe auch ein Korn Vorteilhaftes liegen.
Haben Sie Fragen zu den rechtlichen Auswirkungen des Coronavirus? Sprechen [oder mailen] Sie uns gerne an!