Keine entgegenstehenden öffentlichen Interessen
Ausgehend von der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg sind die Untersagungsverfügungen rechtswidrig. Nach Auffassung der Richter haben die Kreise jedenfalls überwiegende öffentliche Interessen, die eine Untersagung der privaten gewerblichen Sammlung möglicherweise gerechtfertigt hätten, nicht ausreichend dargelegt. Überwiegende öffentliche Interessen könnten nur bestehen, sofern ohne die Überlassung der Abfälle zur Verwertung an den öffentlichen Entsorgungsträger die Funktionsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgung gefährdet wäre. Rein fiskalische Belange seien allenfalls nachrangig zu berücksichtigen. Entscheidend komme es auf die Umstände des Einzelfalls an. Allgemeine Befürchtungen, gewerbliche Sammlungen unterliefen die grundsätzlich bestehende Überlassungspflicht, könnten nicht genügen. Die abfallrechtlichen Grundpflichten, konkret das Prinzip der Verursacherverantwortung, konstituierten kein Vorrang- oder Regel-/Ausnahmeverhältnis zu Lasten gewerblicher Sammlungen. Vielmehr spreche die Gestaltung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes dafür, dass die bestehende Rechtslage im Sinne einer Zulässigkeit gewerblicher Altpapiersammlungen grundsätzlich festgeschrieben werden sollte. Dem Gesetzgeber seien zugleich die damit zusammenhängenden (wirtschaftlichen) Risiken – zu Lasten der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger – bewusst gewesen. Aus solchen Erwägungen heraus könnten sich daher keine durchgreifenden Bedenken gegen die Zulässigkeit gewerblicher Abfallsammlungen herleiten. Auch die hierdurch bedingte Reserve-/Auffangfunktion der Kommunen stehe der Zulässigkeit gewerblicher Sammlung nicht entgegen. Der Umstand, dass der gewerbliche Abfallsammler ein flächendeckendes Erfassungssystem aufbaue, reiche ebenfalls nicht aus. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG sehe gewerbliche Sammlungen allgemein und nicht nur in örtlich beschränkter Form vor. Konkret konnten die betroffenen Landkreise keine Beeinträchtigung bestehender öffentlicher Abfallentsorgungseinrichtungen darlegen. Insoweit wies das Gericht darauf hin, dass – anders als das private Entsorgungsunternehmen – die Landkreise keine Investitionen für die Altpapierentsorgung getätigt hätten. Die Landkreise ließen diese vielmehr selbst durch ein privates Entsorgungsunternehmen durchführen. Etwas anderes gelte auch dann nicht, wenn die bisher durchgeführte „Bündelsammlung“ mangels Rentabilität eingestellt werden müsste. Der Gesetzgeber mute dem öffentlichen Entsorgungsträger eine gewisse Flexibilität bei Aufbau und Unterhaltung der Abfallentsorgungsstrukturen zu. Dies schließe ein, das eigene Abfallerfassungssystem zur Vermeidung von Gebührensteigerungen ggf. umzustellen. Nicht ausreichend sei ebenfalls ein Verweis auf ein etwaiges Ausweichverhalten der Abfallbesitzer und dementsprechend einen vermeintlichen Anstieg illegaler Müllablagerungen oder die Behauptung, das Kommunikationskonzept zur Altpapiererfassung sei „ernsthaft gestört“. Schließlich handele es sich bei der Behauptung des Kreises, sein „Organisationsermessen“ für eine künftige Umstellung des Altpapierentsorgungssystems auf ein haushaltsnahes eigenes Holsystem sei verletzt, allein um ein rein abstraktes Interesse, nicht um eine Gefährdung konkret bestehender öffentlicher Interessen. Auch die nach der Verpackungsverordnung bestehende Verpflichtung gegenüber dem Dualen System Deutschland, die eine Mitbenutzung des kommunalen PPK-Systems vorsehe, vermag eine Untersagung der gewerblichen Sammlung nicht zu rechtfertigen.
Konsequenzen für Niedersachsen
Obwohl das OVG Lüneburg im Rahmen von Eilverfahren zu entscheiden hatte, haben die zuständigen Richter alle Argumente umfänglich beleuchtet – damit ist die Frage der Zulässigkeit gewerblicher Sammlungen für Niedersachsen wohl zunächst weitestgehend abschließend beurteilt. Überwiegende öffentliche Interessen, die eine Untersagung der gewerblichen Sammlung rechtfertigen könnten, sind nach der Auffassung des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nur noch ganz eingeschränkt denkbar. Dies könnte beispielsweise im Hinblick auf etwaige Gebührenveränderungen anzunehmen sein, wobei dieses Argument – angesichts der betonten Flexibilität öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger – wohl eher theoretischer Natur sein dürfte. Außerdem seien entgegenstehende öffentliche Interessen dann denkbar, wenn die betroffene Kommune über eine eigene Anlage verfüge, die ansonsten nicht ausgelastet wäre. Interessant ist in diesem Zusammenhang zudem, dass das Oberverwaltungsgericht die Frage, ob in dem Fall, in dem Privathaushalte einen Dritten in die Verwertung von Altpapier einschalten, eine Eigenverwertung vorliegt und damit keine Überlassungspflicht besteht, immerhin offen gelassen hat.
BVerwG zur gemeinnützigen bzw. gewerblichen Altpapiersammlung
In diesem Zusammenhang ist zudem eine aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2007 (BVerwG 7 B.55.07) interessant, in der die obersten Verwaltungsrichter zur Abgrenzung von gemeinnütziger und gewerblicher Sammlung Stellung zu nehmen hatten. Hintergrund des Beschlusses ist ein Rechtsstreit zwischen dem Landkreis Bamberg und SULO/NBS Nordbayerische Städtereinigung Altvater. Der Landkreis hatte gegenüber SULO/NBS eine Untersagungsverfügung erlassen, da SULO/NBS in einer Gemeinde des Landkreises die Sammlung von Altpapier über bestehende Depotcontainer angeboten hat, vor allem um Mengen aus der Altpapiersammlung gemeinnütziger Vereine zu erfassen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (23 BV 07.240 v. 12.07.2007) hatte die Untersagung der gewerblichen Altpapiersammlung durch den Landkreis wegen Unbestimmtheit für unzulässig erklärt. Gegen das Urteil wurde eine Revision nicht zugelassen. Der Landkreis erhob Nichtzulassungsbeschwerde, die das Bundesverwaltungsgericht nunmehr mit seinem Beschluss zurückgewiesen hat. Bedeutsam erscheint der Beschluss – unabhängig von seinen Hinweisen zur Abgrenzung von gemeinnütziger und gewerblicher Sammlung – da das Bundesverwaltungsgericht das gegenständliche Verfahren nicht zum Zwecke sachdienlicher Hinweise im Hinblick auf die Problematik der Zulässigkeit gewerblicher Sammlungen genutzt hat. Damit ist selbstverständlich keine abschließende höchstrichterliche Entscheidung zu Gunsten oder zu Lasten gewerblicher Altpapiersammlungen getroffen. Es lässt sich allerdings nicht des Eindrucks verwehren, dass die obersten Richter zwischen den Zeilen möglicherweise ein Zeichen zugunsten gewerblicher Altpapiersammlungen setzen wollten.