Nicht selten entscheiden sich öffentliche Auftraggeber dazu, einen reinen Preiswettbewerb durchzuführen. Zu der praxisrelevanten Frage, ob dies auch bei einer Ausschreibung mit funktionalen Elementen zulässig ist, hat sich die VK Südbayern in ihrem Beschluss vom 28.04.2023 (Az.: 3194.Z3-3_01-22-57, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) geäußert. An den Erwägungen der VK Südbayern wollen wir Sie natürlich teilhaben lassen…
Der öffentliche Auftraggeber (im Folgenden „Antragsgegner“) schrieb mit Auftragsbekanntmachung vom 26.08.2022 einen Dienstleistungsauftrag über Streamingdienste für die Live-Übertragung aus dem Plenarsaal des Bayerischen Landtags mit Informationen in Gebärdensprache und Live-Untertitelung im Wege eines offenen Verfahrens, aufgeteilt auf zwei Lose, europaweit nach der VgV aus.
In Ziffer 5 der den Vergabeunterlagen beigefügten Ergänzenden Bewerbungsbedingungen wies der Antragsgegner darauf hin, dass „das wirtschaftlichste Angebot bei dieser Ausschreibung zu 100 % anhand der Angebotssumme inklusive Umsatzsteuer (Produkte/Leistungen) pro Los ermittelt“ werde. Weiterer Bestandteil der Vergabeunterlagen waren (funktionale) Leistungsbeschreibungen zu den jeweiligen Losen, in denen die Leistungen größtenteils über (Mindest-)Zielvorgaben des Antragsgegners festgelegt wurden. Daneben enthielten die Leistungsbeschreibungen jeweils ein Schaubild über die geplante Ziel-Architektur sowie einzelne Qualitätsvorgaben. Bestandteil der Vergabeunterlagen zu Los 1 war darüber hinaus der Entwurf eines EVB-IT Systemvertrags, in welchem die EVB-IT System-AGB sowie die VOL/B in der bei Versand der Vergabeunterlagen geltenden Fassung für anwendbar erklärt wurden.
Eine Bieterin, die Bestandsauftragnehmerin der Leistungen seit 2013, rügte mit Schreiben vom 29.09.2022 die Ausgestaltung des Vergabeverfahrens, insbesondere das isolierte Abstellen auf den Preis als einziges Zuschlagskriterium, als vergaberechtswidrig. Der Antragsgegner wies die Rügen mit Schreiben vom 06.10.2022 zurück und half nicht ab. Gleichwohl reichte die entsprechende Bieterin und spätere Antragstellerin neben weiteren Bietern innerhalb der bis zum 10.10.2022 laufenden Angebotsfrist ein Angebot auf beide Lose ein.
Am 20.10.2022 stellte die Antragstellerin bei der VK Südbayern einen Vergabenachprüfungsantrag. Diesen begründete sie im Wesentlichen damit, dass sie durch das alleinige Abstellen des Antragsgegners auf den Angebotspreis bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots bei zugleich funktionaler Beschreibung der Leistung ohne Vorgabe detaillierter, erschöpfender Leistungsanforderungen in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt sei.
Ohne Erfolg!
Der Antragsgegner habe, so die VK Südbayern, mit der Durchführung eines reinen Preiswettbewerbs nicht gegen geltendes Vergaberecht verstoßen. Insbesondere sei die Festlegung des Preises unter Ziffer 5 der Ergänzenden Bewerbungsbedingungen als alleiniges Kriterium zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots entgegen der Auffassung der Antragstellerin zulässig.
Gemäß § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB, § 58 Abs. 2 VgV können zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots im Sinne von § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden. Der Preis oder die Kosten, so hält es die VK Südbayern unter Verweis auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf fest, dürften grundsätzlich aber auch das alleinige Zuschlagskriterium sein – über die Zuschlagskriterien müsse der Auftraggeber im konkreten Fall im Rahmen der ihm zustehenden Ermessens- und Beurteilungsspielräume entscheiden.
In Anerkennung dieser grundsätzlichen Entscheidungsmöglichkeiten des Auftraggebers hatte die VK Südbayern sodann die Anschlussfrage zu prüfen, ob der Antragsgegner das ihm bei der Wahl der Zuschlagskriterien im Einzelfall zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt hatte. Eine solche Entscheidung ist durch die Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob der Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt wurde, Verfahrensgrundsätze eingehalten wurden, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind, die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte angemessen und vertretbar gewichtet wurden und der gesetzliche bzw. ein selbst von der Vergabestelle vorgegebener Rahmen bzw. Maßstab beachtet wurde.
Gemessen an diesen Maßstäben kam die VK Südbayern zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung des Antragsgegners keine Ermessensfehler aufweise.
Insbesondere seien die Erwägungen des Antragsgegners zur Durchführung eines reinen Preiswettbewerbs und damit zum sparsamen Umgang mit den in herausfordernden Zeiten zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln gegenüber einer qualitativ besonders hochwertigen Ausführung grundsätzlich sachgerecht und vertretbar. Würde man in einer solchen Situation vom Antragsgegner verlangen, eine konkret umzusetzende Ausführungsvariante vorzugeben oder durch die Festlegung nichtpreislicher Zuschlagskriterien qualitativ höherwertige Ausführungsvarianten im Wettbewerb zu begünstigen, würde dies dem Verlangen nach der Durchführung eines partiell anderen Vergabeverfahrens gleichkommen und damit in unzulässiger Weise mittelbar auf das dem Auftraggeber zustehende Leistungsbestimmungsrecht einwirken.
Dem Einwand der Antragstellerin, dass der Preis zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots vorliegend ungeeignet sei, da die überwiegend funktional gehaltene Leistungsbeschreibung den Bietern (zu) große Spielräume in der Ausgestaltung der Leistung gestatte, sodass eine Ermittlung des Angebots mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis ohne Berücksichtigung qualitativer Aspekte der angebotenen Leistung nicht möglich sei, folgte die VK Südbayern im Ergebnis nicht. Vielmehr verwies sie hierzu auf den Beschluss des BGH vom 10.05.2016 (Az.: X ZR 66/15, abrufbar unter folgendem Link), wonach der Auftraggeber den Preis als einziges Zuschlagskriterium festlegen könne, wenn nach dem Gegenstand des Auftrags und der Gesamtheit der Vergabeunterlagen erreicht werden könne, dass der Zuschlag dennoch auf das Angebot mit dem – aus Sicht des Auftraggebers – besten Preis-Leistung-Verhältnis erteilt werde. Soweit die Rechtsprechung zu Bauvergaben geurteilt habe, dass bei Ausschreibungen mit einer (teilweise) funktional gehaltenen Leistungsbeschreibung eine Vergabe nur nach preislichen Kriterien vergaberechtswidrig sei (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.06.2017 – Verg 2/17, abrufbar unter folgendem Link), sei dies auf die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen nicht ohne Weiteres übertragbar.
Gleichwohl erachtet die VK Südbayern die Festlegung nichtpreislicher Zuschlagskriterien für notwendig, wenn sich den Vergabeunterlagen ein bestimmtes, vom Auftraggeber bevorzugtes Qualitätsniveau entnehmen lasse, aber abweichende Lösungen, beispielsweise in Form von Nebenangeboten, zugelassen seien. Denn der vergaberechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz erfordere, über die Festlegung nichtpreislicher Zuschlagskriterien die Qualitätsunterschiede von Haupt- und Nebenangeboten bei der Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses hinreichend abzubilden, soweit hier nicht durch Mindestanforderungen gewährleistet werde, dass die anzubietenden Nebenangebote (qualitativ) mit dem „Amtsvorschlag“ gleichwertig seien.
Mit überzeugender Begründung hält die VK Südbayern in ihrer Entscheidung fest, dass der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium zumindest im Anwendungsbereich der VgV auch bei einem Vergabeverfahren mit funktionalen Elementen zulässig sein kann. Allerdings ist wichtig festzuhalten: Dies gilt nur dann, wenn über das einzige Zuschlagskriterium Preis tatsächlich sichergestellt ist, dass das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bezuschlagt wird. Das ist gerade bei (teil-)funktionalen Ausschreibungen und Ausschreibungen mit vielen „Soll“-Kriterien immer zu hinterfragen und im Zweifelsfall zu begründen. Schließlich fordern gerade solche Ausschreibungen die Bieter zur Abgabe von Angeboten mit unterschiedlichen Lösungswegen heraus, die sich nicht nur preislich, sondern auch qualitativ unterscheiden (können). Sollen solche qualitativen Unterschiede bei der Zuschlagswertung außer Betracht bleiben, fordert dies eine Begründung im Rahmen der Ermessens- und Beurteilungsspielräume des Auftraggebers.
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