Mit Beschluss vom 02.01.2018 (Z3-3-3194-1-47-08/17, abrufbar unter folgenden Link) hatte die VK Südbayern entschieden, dass eine vollständige Übertragung der Angebotsöffnung auf einen externen Dienstleister unzulässig sei. Angesichts des Zwecks des § 55 Abs. 2 VgV, nämlich durch ein formalisiertes Verfahren mit Vier-Augen-Prinzip Manipulationen bei der Angebotsöffnung zu erschweren, sei die Öffnung von Angeboten vom Auftraggeber selbst durchzuführen. An externe Dienstleister dürften grundsätzlich nur solche Tätigkeiten im Vergabeverfahren übertragen werden, bei denen der Auftraggeber deren Handeln im Nachhinein nachvollziehen und sich zu eigen machen könne. Es sei jedoch schwer vorstellbar, wie sich der Auftraggeber das Vorgehen bei der Angebotsöffnung zu eigen machen, insbesondere von einer Manipulationsfreiheit ausgehen könne, wenn er dabei nicht zumindest mit einer/einem eigenen Mitarbeitenden beteiligt gewesen sei.
Nachdem sich zwischenzeitlich das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 14.11.2018, Verg 31/18, abrufbar unter folgendem Link) und die VK Lüneburg (Beschl. v. 08.05.2018, VgK-10/2018, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) konträr zur Rechtsprechung der VK Südbayern positioniert hatten, hatte nunmehr die VK Südbayern endlich selbst erneut Gelegenheit, sich zur Einbeziehung von externen Dienstleistern in die Angebotsöffnung zu äußern. Es bleibt die spannende Frage, wie sich die VK Südbayern in ihrem Beschluss vom 16.05.2022 (3194.Z3-3_01-21-62, abrufbar unter folgendem Link) positioniert hat…
Was war passiert?
Die Auftraggeberin führte ein EU-weites offenes Verfahren zur Vergabe von Apothekenleistungen zur Krankenhausversorgung nach der VgV durch.
Sowohl die spätere Antragstellerin als auch die spätere Beigeladene gaben ein Angebot ab. Nach dem Erhalt des Vorabinformationsschreibens rügte die Antragstellerin gegenüber der Auftraggeberin unter anderem, dass diese das Verfahren nicht eigenständig geführt habe. So habe diese einen externen Dienstleister bereits in der Bekanntmachung als Vergabestelle angegeben. Das Vorabinformationsschreiben sei vom externen Dienstleister im eigenen Namen versandt worden. Weiter sei die Angebotsöffnung vollständig auf den externen Dritten übertragen worden. Insgesamt stelle sich dies als unzulässige Delegation dar, da die Auftraggeberin die wesentlichen Maßnahmen und Entscheidungen nicht selbst und eigenverantwortlich durchgeführt bzw. getroffen habe.
Nachdem die Auftraggeberin auf ihre Rüge nicht abhalf, stellt die Antragstellerin bei der VK Südbayern einen Antrag auf Vergabenachprüfung.
Entscheidung der VK Südbayern
Nach Auffassung der VK Südbayern hat die Auftraggeberin das Verfahren in zulässiger Weise unter Einbeziehung eines externen Dienstleisters durchgeführt. Insbesondere durfte der externe Dienstleister die Angebote öffnen.
Ein Auftraggeber müsse sich als „Herr des Verfahrens" mit den im Vergabeverfahren getroffenen Entscheidungen ausreichend befasst haben. Um dies zu gewährleisten und um zu verhindern, dass die Entscheidungszuständigkeit nur formal bei der Vergabestelle verbleibe und zur leeren Hülle verkomme, könne der Auftraggeber nur bestimmte Aspekte an einen externen Beschaffungsdienstleister übergeben. Der Beschaffungsdienstleister dürfe lediglich rein verwaltungstechnische Tätigkeiten, wie beispielsweise das Zusammenstellen und Prüfen von Unterlagen und das Protokollieren des Vergabeverfahrens, durchführen. Unmittelbar das Vergabeverfahren betreffende Entscheidungen, wie beispielsweise die Fassung des Leistungsverzeichnisses und die Angebotswertung oblägen dagegen dem Auftraggeber selbst und könnten nicht vollständig auf den Beschaffungsdienstleister übertragen werden. Aus der eingereichten Vergabedokumentation gehe jedoch hervor, dass die Auftraggeberin die unmittelbar das Vergabeverfahren betreffenden Entscheidungen in ausreichendem Maße selbst getroffen und ihre Beschaffungsdienstleiterin (nur) die verwaltungstechnischen Tätigkeiten der Beschaffung übernommen habe.
Sodann führt die VK Südbayern aus, dass sie für mit elektronischen Mitteln nach § 10 und 11 VgV geführte Vergabeverfahren nicht mehr an ihrer im Beschluss vom 02.01.2018 zu einem in Papierform durchgeführten Vergabeverfahren geäußerten Rechtsauffassung festhalte. Vielmehr schließe sie sich der Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf an. Denn durch die inzwischen im absoluten Regelfall vorzunehmende elektronische Durchführung des Vergabeverfahrens, insbesondere durch die Nutzung von Vergabeplattformen zur Angebotsabgabe und Angebotseröffnung, sei aufgrund der umfassenden elektronischen Protokollierung der Angebotsschritte die Gefahr von Manipulationen verschwindend gering. Auch im vorliegenden Verfahren gebe es keinerlei Hinweise auf eine Manipulationsgefahr bei der Angebotseröffnung, so dass die Vertreter der Auftraggeberin im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV auch Mitarbeitende eines von der öffentlichen Auftraggeberin hierzu ermächtigten Beschaffungsdienstleisters sein könnten.
Fazit und Praxishinweis
Die VK Südbayern hat sich der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf angeschlossen, wonach der Auftraggeber die Angebotsöffnung ausschließlich durch Mitarbeitende eines externen Beschaffungsdienstleisters durchführen lassen darf. Da die VK Südbayern ihre frühere, gegenteilige Rechtsauffassung jedoch ausdrücklich nur für E-Vergaben aufgegeben hat, scheint sie ansonsten, d. h. insbesondere bei Vergabeverfahren mit schriftlicher Angebotsabgabe, an der Unzulässigkeit der vollständigen Delegation der Angebotsöffnung festhalten zu wollen. Insoweit ist – zumindest in Bayern – weiterhin Vorsicht geboten; das gilt vor allem bei Bauvergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte, bei denen Papierangebote noch regelmäßig vorkommen.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit Angebotsöffnung? Wir beraten Sie gerne!