In ihrem lesenswerten Beschluss vom 23.06.2020 hat die VK Rheinland (VK 15/20-K, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) in Anknüpfung an die bisherige Rechtsprechung der Vergabenachprüfungsinstanzen entschieden, dass aus einer einseitig verbindlichen Rahmenvereinbarung keine Abnahmeverpflichtung des öffentlichen Auftraggebers folgt. Besonders bemerkenswert ist aber, dass sie – soweit ersichtlich als erste vergaberechtliche Nachprüfungsinstanz in Anknüpfung an eine starke Literaturansicht – in aller Deutlichkeit festgehalten hat, dass dem öffentlichen Auftraggeber in solchen Fällen die Durchführung gesonderter Einzelvergaben „an der Rahmenvereinbarung vorbei“ nicht untersagt ist.
An der auf das Wesentliche reduzierten Entscheidung der VK Rheinland und deren tragenden Erwägungen wollen wir Sie im Folgenden teilhaben lassen…
Was war passiert?
Die Auftraggeberin schrieb eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Flächendesinfektionsmitteln im Wege eines offenen Verfahrens europaweit aus. Die Antragstellerin erhielt den Zuschlag für die Rahmenvereinbarung, die sie als einzigen Vertragspartner vorsah und zugleich bereits alle Details für den Einzelabruf festlegte. Die Antragstellerin rügte nach einiger Zeit gegenüber der Auftraggeberin, dass diese sich aufgrund des unterbleibenden Abrufs von Flächendesinfektionsmitteln nicht an die geschlossene Vereinbarung halte. Die Auftraggeberin sei zur Abnahme des vertragsgegenständlichen Desinfektionsmittels verpflichtet; insbesondere dürfe sie einen entsprechenden Bedarf nicht anderweitig decken. Da die Auftraggeberin nicht einlenkte, verfolgte die Antragstellerin ihren vermeintlichen Abnahmeanspruch sodann mit einem bei der VK Rheinland eingelegten Vergabenachprüfungsantrag fort.
Ohne Erfolg!
Entscheidung der VK Rheinland: Die Auftraggeberin ist nicht verpflichtet, im Bedarfsfall Flächendesinfektionsmittel ausschließlich bei der Antragstellerin zu beziehen!
Ob sich aus der Rahmenvereinbarung eine Abnahmepflicht des Auftragsgebers ergebe, so die VK Rheinland, hänge von der Ausgestaltung der Rahmenvereinbarung ab.
In diesem Sinne werden grundsätzlich drei verschiedene Arten von Rahmenvereinbarungen unterschieden: Ist in der Rahmenvereinbarung vorgesehen, dass der Auftragnehmer zur Leistung verpflichtet ist, der Auftraggeber diese jedoch nicht abrufen muss, handelt es sich um eine einseitig verbindliche Rahmenvereinbarung. Bei einer beidseitig verbindlichen Rahmenvereinbarung besteht dagegen neben der Leistungspflicht des Auftragnehmers auch eine korrespondierende Pflicht des Auftraggebers zum Abruf der Leistungen. Daneben gibt es die Konstellation, dass weder eine Abrufpflicht des Auftraggebers noch eine Leistungspflicht des Auftragnehmers besteht. Diese wird als beidseitig unverbindliche Rahmenvereinbarung bezeichnet.
Im Regelfall entschieden sich, so die VK Rheinland, die öffentlichen Auftraggeber für die einseitig verbindliche Rahmenvereinbarung, bei der der Auftragnehmer zur Leistung verpflichtet sei, jedoch keine Abnahmeverpflichtung des öffentlichen Auftraggebers bestehe. Im Ergebnis entfalle bei dieser Konstellation eine Abnahmepflicht ganz. Damit werde dem Auftragnehmer ein deutlich höheres Vertragsrisiko auferlegt, da er damit rechnen müsse, dass in der zweiten Stufe der Rahmenvereinbarung, kein Vertrag über konkrete Leistungen zustande komme. Aufgrund der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit seien solche einseitig verpflichtenden Verträge jedoch statthaft. Es obliege der Entscheidungsfreiheit des Auftragnehmers, ob er ein solches Risiko übernehmen wolle.
So liegt der Fall nach Ansicht der VK Rheinland auch hier. Es sei eine einseitig verbindliche Rahmenvereinbarung zwischen den Parteien zustande gekommen. Die Auftraggeberin habe im Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung, zuletzt noch im Schreiben zur Zuschlagserteilung, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich für sie kein Abnahmezwang aus der Rahmenvereinbarung ergebe. Dies bedeute, so die VK Rheinland weiter, dass die Auftraggeberin zwar berechtigt sei, im Bedarfsfall von der Antragstellerin Flächendesinfektionsmittel zu den in der Rahmenvereinbarung festgesetzten Preisen zu beziehen. Sie sei jedoch nicht verpflichtet, diese Produkte im Bedarfsfall bei der Antragstellerin zu bestellen. Mithin habe die Antragstellerin aus freier Entscheidung das Risiko übernommen, dass sie mit der Auftraggeberin einen zusätzlichen Abnehmer für ihre Produkte erhalte oder aber im schlechtesten Fall keinen „zählbaren“ Kunden rekrutieren könne. Im Ergebnis habe die Antragstellerin daher keinen Anspruch darauf, die Auftraggeberin dazu zu verpflichten, im Bedarfsfalle ausschließlich ihre Produkte unter den Bedingungen der Rahmenvereinbarung zu beziehen.
Auch einer einseitig verbindlichen Rahmenvereinbarung müsse allerdings eine möglichst genaue Bedarfsermittlung vorausgehen. Unzulässig sei es, eine Rahmenvereinbarung auszuschreiben und zu bezuschlagen, wenn kein konkreter Bedarf für die Liefer- oder Dienstleistung bestehe, denn in diesem Fall erfolge die Ausschreibung für vergabefremde Zwecke und mithin missbräuchlich. Hier habe die Auftraggeberin aber mitgeteilt, dass es sich bei den angegebenen Mengenangaben um Schätzmengen handele, die auf den Umsatzzahlen der vergangenen Jahre basierten.
Den Paukenschlag hat sich die VK Rheinland aber bis zum Schluss ihrer Entscheidung aufgespart. In diesem Sinne führt sie aus, dass vorliegend bei dem Abschluss der Rahmenvereinbarung auch kein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot des § 21 Abs. 1 Satz 3 VgV vorliege. Das daraus folgende Verbot der Mehrfachvergabe beziehe sich auf den Abschluss weiterer Rahmenvereinbarungen bei einer bereits bestehenden Rahmenvereinbarung über denselben Beschaffungsgegenstand. Dem öffentlichen Auftraggeber sei es hingegen nicht untersagt, unabhängig von einer bestehenden Rahmenvereinbarung, eine gesonderte Einzelvergabe durchzuführen. Dies folge aus dem Erwägungsgrund 61 der Richtlinie 2014/24/EU. Dieser besagt, dass der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet ist, Lieferungen unter der abgeschlossenen Rahmenvereinbarung zu beschaffen. Dieser Gedanke habe, so die VK Rheinland weiter, zudem in dem Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Beschaffung Niederschlag gefunden.
Fazit
Aus der Entscheidung der VK Rheinland folgt damit dreierlei:
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung? Wir beraten Sie gerne!