Der aktuellen Entscheidung der VK Nordbayern (Beschl. v. 31.07.2019 – RMF-SG21-3194-4-38, abrufbar unter folgendem Link) liegt folgende Fallgestaltung zugrunde: Ein Auftraggeber vergibt einen (zweifellos) unterhalb des maßgeblichen EU-Schwellenwertes liegenden Auftrag, macht diesen aber europaweit im EU-Amtsblatt bekannt und gibt in der EU-Bekanntmachung die Vergabekammer als für die Überprüfung der Vergabeentscheidung zuständige Stelle an. Ein (unterlegener) Bieter stellt sich die Frage, ob er für sein Rechtsschutzersuchen zulässigerweise bei der benannten Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag stellen oder vielmehr den Weg zu den ordentlichen Gerichten beschreiten muss.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin und spätere Antragsgegnerin schrieb zur Ausstattung ihres Gebäudes die Lieferung und Installation von EDV-Servern und dazugehöriger Infrastruktur mit Bekanntmachung im EU-Amtsblatt europaweit aus und gab die VK Nordbayern als für die Überprüfung der Vergabeentscheidung zuständige Stelle an. Geschätzter Gesamtwert des Auftrags waren 170.000 Euro (netto). Zwei Bieter, darunter die spätere Antragstellerin, gaben ein Angebot ab. Beide Angebote lagen deutlich unter 221.000 Euro (netto).
Die Auftraggeberin teilte der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot ausgeschlossen werde, weil ihr Angebot nicht den in der Leistungsbeschreibung aufgestellten Anforderungen entspreche.
Nach erfolgloser Rüge beantragte die Antragstellerin bei der VK Nordbayern die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
Entscheidung der VK Nordbayern: Auftraggeber kann Vergabekammer nicht für zuständig erklären und trägt als Verursacher die Kosten der Nachprüfung!
Nach der VK Nordbayern ist der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig, da der bei der vorliegenden Lieferleistung maßgebliche EU-Schwellenwert von 221.000 Euro (netto) nicht erreicht werde. Die Auftraggeberin habe einen Wert von 170.000 Euro (netto) geschätzt und vor dem Hintergrund, dass die beiden eingegangenen Angebote deutlich unter 221.000 Euro (netto) gelegen hätten, bestünden keine Zweifel an der Richtigkeit der Schätzung.
Der Nachprüfungsantrag sei auch nicht deshalb zulässig, weil die Bekanntmachung den ausdrücklichen Hinweis enthalte, dass die Vergabekammer für die Überprüfung der Vergabeentscheidung zuständig sei, da eine insoweit falsche Angabe des Auftraggebers die Zuständigkeit der Vergabekammer nicht begründen könne. Zwar könne die europaweite Ausschreibung eine Selbstbindung der Auftraggeberin zur Einhaltung der entsprechenden Vorschriften, nicht jedoch eine Anwendbarkeit des Vierten Teils des GWB mit den Rechtsschutzvorschriften begründen.
Schlussendlich weicht die VK Nordbayern vom Grundsatz ab, wonach die unterlegene Partei regelmäßig die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer zu tragen hat, und weist die Kosten des Nachprüfungsverfahrens der Auftraggeberin zu, weil diese Kosten im Sinne von § 182 Abs. 3 Satz 3 GWB durch Verschulden der Auftraggeberin entstanden seien. Die Auftraggeberin habe dadurch, dass sie die Ausschreibung nach Kartellvergaberecht durchgeführt habe, den Rechtsschein der Anwendbarkeit der Vorschriften des GWB gesetzt. Daher durfte sich die Antragstellerin im guten Glauben an die Richtigkeit des Vorgehens der Auftraggeberin des Nachprüfungsantrags bedienen.
Fazit
Die Entscheidung der VK Nordbayern macht für die Auftraggeberseite deutlich: Manchmal ist weniger mehr! Will meinen: Liegt der Auftragswert aufgrund einer belastbaren Schätzung unterhalb des maßgeblichen EU-Schwellenwertes, sollte eine EU-Bekanntmachung mit Benennung der Vergabekammer als zuständige Nachprüfungsstelle unterbleiben. Zumindest aber muss der Auftraggeber, sofern er sich denn im Einzelfall freiwillig den strengeren Kartellvergaberechtsvorschriften unterwerfen möchte, eindeutig in der EU-Bekanntmachung klarstellen, dass der Weg zur Vergabekammer nicht gegeben ist und auch durch die Verfahrensgestaltung nicht eröffnet wird. Ansonsten trägt er mit den Erwägungen der VK Nordbayern als diesbezüglicher Rechtsscheinverursacher die Kosten eines bieterseitigen Nachprüfungsantrags zur Vergabekammer.
Aus Bietersicht lautet die erfreuliche Nachricht, dass in einem solchen Fall kein Kostenrisiko besteht. Allerdings bringt der unzulässige Nachprüfungsantrag den Bieter in der Sache nicht weiter, sondern kostet ihn vielmehr wertvolle Zeit. Daher sollte der Bieter unmittelbar den Weg der einstweiligen Verfügung vor den ordentlichen Gerichten wählen, um seine Rechte aus der Selbstbindung des Auftraggebers an die Vorgaben des Kartellvergaberechts durchzusetzen.
Vorsicht ist allerdings dann geboten, wenn begründete Zweifel daran bestehen, dass der Auftragswert zutreffender Weise als unterhalb des maßgeblichen EU-Schwellenwertes liegend geschätzt wurde. Dann sollte (nach erfolgloser Rüge) die Vergabekammer angerufen werden verbunden mit der begründeten Argumentation, dass der EU-Schwellenwert erreicht bzw. überschritten und damit die Zuständigkeit der Vergabekammer begründet sei.
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