Wird bei einem Bauauftrag der Vertrag mit dem Auftragnehmer gekündigt, nachdem bereits ein (Groß-)Teil der Leistungen erbracht und abgenommen ist, stellt sich die Frage, ob bei der Berechnung des Auftragswerts für die nochmals neu auszuschreibenden Restleistungen auch der Wert der bereits ausgeführten Leistungen einzubeziehen ist. Dazu hat sich nunmehr die VK Bund in ihrem Beschluss vom 04.07.2022 (VK 2-58/22, abrufbar unter folgendem Link), geäußert. Aber lesen Sie selbst…
Was war passiert?
Nach Durchführung eines offenen Verfahrens nach der VOB/A-EU beauftragte die Auftraggeberin die spätere Antragstellerin mit der Durchführung von Bauarbeiten in Gestalt einer Streckensanierung, deren Netto-Gesamtauftragswert den EU-Schwellenwert (5.382.000 Euro) überschritt. Die Antragstellerin führte daraufhin einen Großteil der Bauarbeiten aus. Nach Unstimmigkeiten über die Einhaltung des Bauzeitenplans kündigte die Auftraggeberin den Vertrag mit der Antragstellerin, nahm die ausgeführten Arbeiten ab, zahlte die auf die ausgeführten Arbeiten entfallende Vergütung und gab der Antragstellerin auf, die Baustelle zu räumen.
Anschließend nahm die Auftraggeberin eine erneute Kostenschätzung für die noch auszuführenden Restarbeiten vor, wobei der von ihr geschätzte Netto-Auftragswert (deutlich) unterhalb des für Baumaßnahmen maßgeblichen EU-Schwellenwertes lag.
Auf dieser Grundlage vergab die Auftraggeberin die noch ausstehenden Restleistungen im Wege eines Vergabeverfahrens nach der VOB/A, 1. Abschnitt.
Die Antragstellerin rügte zunächst die Vergabe der Restleistungen ohne ein neues EU-weites Vergabeverfahren gegenüber der Auftraggeberin. Ob der Auftragswert der noch nicht ausgeführten Restleistungen den EU-Schwellenwert erreiche oder überschreite, sei unerheblich. Denn auch der Wert der von ihr bereits vor der Kündigung erbrachten Arbeiten müsse zum maßgeblichen Auftragswert addiert werden, sodass der maßgebliche EU-Schwellenwert überschritten sei. Nachdem die Auftraggeberin der Rüge nicht abhalf, leitete die Antragstellerin bei der VK Bund ein Vergabenachprüfungsverfahren ein.
Ohne Erfolg!
Entscheidung der VK Bund: Der Nachprüfungsantrag ist unstatthaft und als unzulässig zu verwerfen, da der für die Eröffnung des Rechtsweges des Nachprüfungsverfahrens maßgebliche EU-Schwellenwert unterschritten wird!
Die von der Auftraggeberin vorgenommene Schätzung des Auftragswertes verbleibe deutlich unterhalb des für Baumaßnahmen maßgeblichen EU-Schwellenwertes von 5.382.000 Euro netto und sei insoweit nicht zu beanstanden. Insbesondere habe die Auftraggeberin auch – anders als die Antragstellerin meine – zu Recht den Wert der bereits von der Antragstellerin vor der Kündigung geleisteten Arbeiten nicht in die Kostenschätzung einbezogen.
Bereits nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 VgV sei prognostisch vom „Gesamtwert der vorgesehenen Leistung“ auszugehen, was begrifflich bereits vollständig erbrachte Leistungen ausschließe.
Auch nach Sinn und Zweck der Regelung beziehe sich diese, so die VK Bund weiter, nur auf aktuell bestehenden, zukünftig zu realisierenden Beschaffungsbedarf und nicht auf bereits in der Vergangenheit realisierte Beschaffungsvorgänge, denn nur für ersteren sei eine Schätzung möglich und erforderlich.
Dies werde auch durch Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU bestätigt, nachdem für die Kostenschätzung auf den Zeitpunkt der Absendung des Wettbewerbsaufrufs bzw. die Einleitung des Vergabeverfahrens abzustellen sei.
Der wesentliche Aspekt sei aber, dass sich die Kostenschätzung auf den Beschaffungsbedarf zu richten habe. Seien Teile eines Auftrags bereits abschließend abgearbeitet worden, so bestehe diesbezüglich kein Bedarf mehr und diese Leistungen würden nicht mehr Inhalt des abzuschließenden Vertrags. Die diesbezügliche Beschaffung liege abgeschlossen in der Vergangenheit.
Nichts anderes ergebe sich, so fährt die VK Bund fort, aus § 3 Abs. 7 und Abs. 8 VgV. Diese Vorschriften bezögen sich auf die losweise Vergabe eines Gesamtauftrags. Vorliegend liege aber keine losweise Aufteilung der Streckensanierung vor. Die Sanierungsarbeiten seien ursprünglich als Gesamtauftrag ohne Losaufteilung ausgeschrieben worden. Die teilweise Erfüllung des Beschaffungsbedarfs durch die bereits im Rahmen des gekündigten Bauauftrags seitens der Antragstellerin erbrachten Bauleistungen begründe keine nachträgliche De-facto Losaufteilung. Denn die Losaufteilung erfolge nach Sinn und Zweck zwingend vor Eröffnung der Ausschreibung, um den Bietern eine entsprechende Teilnahme am Wettbewerb zu ermöglichen. Dieser Zweck sei nach Auftragsvergabe nicht mehr erreichbar.
Fazit
Dogmatisch überzeugend leitet die VK Bund ihr Ergebnis her, dass bei der Auftragswertschätzung für die Vergabe von Restarbeiten nach Kündigung die bereits vor der Kündigung erbrachten Leistungen wertmäßig nicht zu berücksichtigen sind.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Auftragswertschätzung bei einem Beschaffungsvorhaben? Wir beraten Sie gerne!