Die Untersagung einer gewerblichen Altpapiersammlung ist rechtswidrig, wenn die grundsätzlich zuständige untere Abfallbehörde zugleich in eigener Sache „beteiligt“ ist. Eine Beteiligung in diesem Sinne liegt bereits vor, wenn der Rechtsträger der Behörde parallel maßgeblichen Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, d. h. die kommunale Sammlung, nimmt und das wirtschaftliche Risiko der kommunalen Sammlung trägt. Dies hat das VG Hannover mit Urteil vom 24.09.2013 (4 A 1163/10) entschieden.
Der Fall
Im zugrunde liegenden Fall wandte sich ein privates Entsorgungsunternehmen gegen einen Bescheid der Region Hannover (im Folgenden: Region). Darin untersagte die untere Abfallbehörde dem Unternehmen gemäß § 18 Abs. 5 KrWG, künftig Altpapier aus privaten Haushaltungen in der Region Hannover zu sammeln. Das Unternehmen berief sich unter anderem darauf, dass die Region sachlich nicht für die Untersagungsverfügung zuständig und der Bescheid daher bereits formell rechtswidrig sei. Die Region befinde sich in einer Interessenkollision. Sie sei zwar (derzeit) nicht öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger für die Sammlung von Altpapier im Gebiet der Region, weil sie die Aufgabe mit befreiender Wirkung auf den Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover (im Folgenden: Zweckverband) übertragen habe. Als Zweckverbandsmitglied übe sie jedoch nach wie vor maßgeblichen Einfluss auf die kommunale Altpapiersammlung aus und trage zudem ein wirtschaftliches Risiko.
Interessenkollision
Das Verwaltungsgericht Hannover hat sich der Auffassung des privaten Entsorgungsunternehmens angeschlossen und eine Interessenkollision der Region bejaht.
Dies begründet das VG Hannover, wie folgt: Vorliegend seien eigene Interessen der Region betroffen, so dass ein objektives Verwaltungsverfahren nicht gewährleistet sei. Soweit die Region ihre Untersagungsverfügung auf den Schutz der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers stütze, sei sie in eigenen Interessen betroffen. Denn sie treffe die maßgeblichen Entscheidungen für den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, namentlich den Zweckverband, und trage zudem dessen wirtschaftliches Risiko hinsichtlich der Aufgabe der Abfallentsorgung.
Als Verbandsmitglied des Zweckverbandes übe die Region erheblichen Einfluss auf die kommunale Sammlung aus. Dass mit der Landeshauptstadt Hannover ein weiteres Verbandsmitglied existiere, führe zu keinem anderen Ergebnis. Maßgeblich sei, dass die Region bei Aufgaben der Abfallentsorgung, für die sie ausschließlich zuständig sei, nach wie vor entscheidenden Einfluss auf den Zweckverband nehmen könne. Insoweit sei sie nicht nur allein stimmberechtigt. Darüber hinaus müsse sie auch finanziell einstehen, soweit die sonstigen Einnahmen des Zweckverbandes für die Abfallentsorgung nicht ausreichen sollten. Zuletzt beschließe die Region allein über sämtliche Satzungen des Zweckverbandes im Zusammenhang mit der Abfallentsorgung.
Nach Auffassung des VG Hannover führt diese Interessenkollision zur sachlichen Unzuständigkeit der unteren Abfallbehörde im Sinne des § 42 Abs. 4 Niedersächsisches Abfallgesetz („NAbfG“) mit dem Ergebnis, dass die Untersagung der gewerblichen Sammlung rechtswidrig und damit aufzuheben sei.
Verstoß gegen Neutralitätspflicht
Zudem stützt das Gericht seine Entscheidung auf einen Verstoß gegen die rechtsstaatlich gewährleistete Neutralitätspflicht. Danach habe die Region zumindest behördenintern für eine organisatorische und personelle Trennung der Aufgabenbereiche sorgen müssen. Diese Trennung habe jedoch offensichtlich nicht stattgefunden. So sei der für die Entscheidungen der unteren Abfallbehörde zuständige Dezernent zugleich entscheidender Vertreter in der Verbandsversammlung des Zweckverbandes. Diese fehlende Trennung habe sich vorliegend auch konkret ausgewirkt: Denn vor der Untersagungsverfügung habe der zuständige Dezernent der unteren Abfallbehörde den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger – namentlich den Zweckverband, dessen Verbandsversammlung er faktisch selbst bildet – eigentlich zu einer Stellungnahme auffordern müssen. Da er selbst die Verbandsversammlung sei, habe er hiervon allerdings abgesehen. Vor diesem Hintergrund sei auch ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht gegeben.
Bestätigung der Rechtsprechung des OVG Lüneburg
Mit seiner Entscheidung bestätigt das Verwaltungsgericht Hannover die aktuelle Rechtsprechung des OVG Lüneburg zu Interessenkollisionen bei der Untersagung gewerblicher Altpapiersammlungen. Das OVG vertrat zuletzt in zwei aktuellen Entscheidungen die Auffassung, dass eine Behörde sachlich unzuständig sei, sobald ihr Eigenbetrieb ein eigenes Sammelsystem für die maßgeblichen Abfälle bereit halte. Die untere Abfallbehörde sei nicht nur dann gemäß § 42 Abs. 4 NAbfG sachlich unzuständig, wenn ihr Rechtsträger zugleich auch öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger sei. Der Sinn und Zweck der Vorschrift ziele vielmehr – über formale Aspekte hinaus - auf ein insgesamt faires und objektives Verwaltungsverfahren ab. Davon ausgehend müssten bereits Interessenkollisionen vermieden werden.
Das VG Hannover schließt sich nunmehr der Sichtweise des OVG Lüneburg an und erweitert dessen Rechtsprechung zum Eigenbetrieb auf einen weiteren Fall, nämlich den zum Zweck der Abfallentsorgung gegründeten Zweckverband. Im Gegensatz zu einem Eigenbetrieb sei ein Zweckverband zwar eine eigene juristische Person. Dies allein rechtfertige aber nicht, die Fallkonstellation anders zu beurteilen.