Als „Meilenstein für die rechtsverbindliche Standardisierung naturschutzrechtlicher Vorgaben“ bezeichnete Bundesumweltministerin Svenja Schulze die am 03.06.2020 in Kraft getretene Verordnung über die Vermeidung und die Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft im Zuständigkeitsbereich der Bundesverwaltung – kurz: Bundeskompensationsverordnung („BKompV“). Die Neuregelung soll die Anwendung des Naturschutzrechts im Bereich der Bundesverwaltung transparenter und effektiver machen. Zugleich soll sie helfen, Genehmigungsverfahren – etwa im Bereich des Stromnetzausbaus – zu beschleunigen. Wir stellen die wesentlichen Bestimmungen vor.
Hintergrund und Anwendungsbereich der Regelungen
Ein zentraler Baustein des Naturschutzrechts ist die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung. Hieran knüpft die BKompV an und konkretisiert die Pflichten des Verursachers eines Eingriffs in Natur und Landschaft zu Vermeidung, Ausgleich und Ersatz sowie Ersatzzahlung (vgl. § 15 Bundesnaturschutzgesetz („BNatSchG“)). Allerdings gilt die BKompV nur für Vorhaben in der Zuständigkeit der Bundesverwaltung. Hintergrund ist, dass solche Vorhaben länderübergreifend oder grenzüberschreitend sein können. Die BKompV soll daraus resultierende unterschiedliche Kompensationsbedingungen für dasselbe Vorhaben verhindern. Sie umfasst insbesondere Vorhaben im Bereich der öffentlichen Infrastruktur, u. a. im Zuständigkeitsbereich der Bundesnetzagentur, der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, des Eisenbahn-Bundesamtes und des Fernstraßen-Bundesamtes (ab 2021).
Konkretisierungen der Vermeidungs- und Kompensationspflicht
Die BKompV stellt zunächst allgemeine Anforderungen an Vermeidung und Kompensation auf (§ 2 BKompV). Danach sind auf allen Stufen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung die Inhalte der Landschaftsplanung zu beachten. Bei der Prüfung, ob Beeinträchtigungen vermeidbar sind, soll berücksichtigt werden, inwieweit durch zumutbare Alternativen die Inanspruchnahme von Flächen verringert werden kann. Die Verringerung der Flächeninanspruchnahme haben auch weitere Bestimmungen zum Ziel, die u. a. die Möglichkeit einer „instrumentenübergreifenden Kompensation“ durch andere Maßnahmen des Verursachers, die Multifunktionalität von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen in Bezug auf mehrere beeinträchtigte Funktionen des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes sowie den Rückgriff auf bevorratete Kompensationsmaßnahmen vorsehen.
Neben diesen allgemeinen Anforderungen regelt die BKompV besondere Anforderungen an die Vermeidung (§ 3 BKompV). Der Begriff der Vermeidungsmaßnahmen soll weit zu verstehen sein. Praktische Bedeutung hat zudem, dass nach der BKompV eine zumutbare Alternative auch dann „am gleichen Ort“ zu erreichen sein kann, wenn diese z. B. auf demselben Grundstück oder auf eine unmittelbar angrenzende Fläche verlagert werden kann.
Erfassung und Bewertung von Biotopen und weiteren Schutzgütern
Die Ermittlung des Kompensationsbedarfs (hierzu sogleich) erfordert zunächst eine Erfassung bzw. Ermittlung und Bewertung des vorhandenen Zustandes von Natur und Landschaft im Einwirkungsbereich des Vorhabens und der zu erwartenden unvermeidbaren Beeinträchtigungen der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes (vgl. § 4 Abs. 1 BKompV). Der Einwirkungsbereich soll sich entsprechend § 2 Abs. 11 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung („UVPG“) bestimmen.
Stets im Rahmen einer „Grundbewertung“ zu erfassen und zu bewerten sind die im Einwirkungsbereich des Vorhabens liegenden Biotope. Hierfür sind die folgenden Schritte erforderlich (vgl. § 4 Abs. 2, § 5 BKompV):
Neben dieser Grundbewertung für Biotope sind für die weiteren Schutzgüter die folgenden Schritte zu beachten (vgl. § 4 Abs. 3, § 6 BKompV):
Ermittlung des Kompensationsbedarfs anhand der Erfassung und Bewertung
Bei Biotopen, bei denen eine erhebliche Beeinträchtigung zu erwarten ist, ist ein biotopwertbezogener Kompensationsbedarf zu ermitteln. Hierfür gilt bei (unmittelbaren) Flächeninanspruchnahmen die folgende Formel:
Für mittelbare Beeinträchtigungen gilt folgende Formel, wobei sich der Faktor 0,1 bis 1 auf die Stärke, Dauer und Reichweite der vorhabenbezogenen Wirkungen bezieht (siehe oben):
Die Ermittlung nach diesen Formeln erfolgt für jedes betroffene Biotop. Die Summe ergibt den biotopwertbezogenen Kompensationsbedarf (vgl. § 7 Abs. 1 BKompV).
Bei einer erheblichen Beeinträchtigung besonderer Schwere bzw. mindestens einer erheblichen Beeinträchtigung der weiteren Schutzgüter (vgl. oben) ist ein funktionsspezifischer Kompensationsbedarf zu ermitteln; dies allerdings nicht anhand einer Formel, sondern verbal-argumentativ (vgl. § 7 Abs. 2 BKompV).
Anforderungen an Ausgleich und Ersatz erheblicher Beeinträchtigungen
Der Ausgleich oder der Ersatz erheblicher Beeinträchtigungen von Biotopen setzt eine Aufwertung des Naturhaushaltes oder des Landschaftsbildes voraus, deren Biotopwert dem ermittelten biotopwertbezogenen Kompensationsbedarf entspricht. Der Biotopwert der Aufwertung ergibt sich grundsätzlich aus der folgenden Formel (vgl. § 8 Abs. 1 BKompV):
Durch die biotopwertbezogene Aufwertung werden auch erhebliche Beeinträchtigungen der Schutzgüter Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Klima und Luft ausgeglichen oder ersetzt (vgl. § 9 Abs. 1 BKompV). Insoweit müssen also keine konkret funktionsspezifischen Maßnahmen geplant und durchgeführt werden. Dies begründet der Verordnungsgeber damit, dass die Biotope für das Wirkungsgefüge im Naturhaushalt insgesamt repräsentativ seien. Biotopwertbezogene Aufwertungen hätten daher in aller Regel positive Auswirkungen für sämtliche Funktionen des Naturhaushalts.
Demgegenüber muss – vorbehaltlich näher geregelter Ausnahmen – die betroffene Funktion wiederhergestellt bzw. hergestellt werden oder eine landschaftsgerechte Neugestaltung erfolgen fürmindestens erhebliche Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes und erhebliche Beeinträchtigungen besonderer Schwere sonstiger Schutzgüter sowie für erhebliche Beeinträchtigungen besonderer Schwere von Biotopen
Konkretisierungen zur Ersatzzahlung
Schließlich konkretisiert die BKompV Voraussetzungen und Höhe der Ersatzzahlung (§§ 13, 14 BKompV). Die für die Höhe grundsätzlich maßgeblichen durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind nach der BKompV auf der Grundlage der Bodenrichtwerte nach § 196 BauGB festzustellen. Für den Fall, dass die Kosten nicht feststellbar sind, sieht die BKompV konkrete Beträge je nach Wertstufe (2 bis 6) des betroffenen Landschaftsbildes vor:
Fazit und Ausblick
Die BKompV gibt dem Rechtsanwender konkrete Leitlinien an die Hand. Zu einer Standardisierung und damit zu mehr Transparenz und Effektivität im Gesetzesvollzug dürften insbesondere die Vorgaben zur Ermittlung des Kompensationsbedarfs, zu Ausgleich und Ersatz und zur Ersatzzahlung führen. Die BKompV gilt zwar nur für Vorhaben im Zuständigkeitsbereich der Bundesverwaltung. Wahrscheinlich ist aber, dass die damit eingeführten Maßstäbe auch auf Landes- und kommunaler Ebene als Anhaltspunkte Berücksichtigung finden.
Von den einheitlichen Standards könnte insbesondere der ins Stocken geratene Stromnetzausbau profitieren, der ein zentraler Anlass für die Neuregelung war. Ob die BKompV aber tatsächlich – wie vom Verordnungsgeber erhofft – Investitionsentscheidungen erleichtern und eine höhere Akzeptanz von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen schaffen wird, bleibt abzuwarten.
Haben Sie Fragen zur Bundeskompensationsverordnung, im Zusammenhang mit Netzausbauprojekten oder generell zu naturschutzrechtlichen Themen? Wir beraten Sie gerne!