Das sogenannte Reverse-Charge-Verfahren gilt ab dem 01.01.2011 auch für die Lieferung von bestimmten Abfällen, insbesondere Industrieschrott und Altmetallen sowie einzelnen Glas- und Kunststoffabfällen.
Mit dem Reverse-Charge-Verfahren ist die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger gemeint. Im Normalfall ist der Unternehmer, der eine Lieferung oder Leistung erbringt, Steuerschuldner. Er muss dem Leistungsempfänger eine Rechnung zuzüglich Umsatzsteuer stellen. Beim Reverse-Charge-Verfahren oder Steuerabzugsverfahren (§ 13 b UStG) ist Steuerschuldner nicht der leistende Unternehmer, sondern der Leistungsempfänger. Dies bedeutet, dass der leistende Unternehmer in seiner Rechnung keine Umsatzsteuer ausweisen darf. Vielmehr muss die Rechnung einen Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers enthalten. Dieser muss dann die Umsatzsteuer abführen und kann den entsprechenden Betrag als Vorsteuer geltend machen.
Welche Abfälle im Detail ab dem 01.01.2011 dem Reverse-Charge-Verfahren unterfallen, ist einer Liste (hier) zu entnehmen, die als „Anlage 3“ dem UStG zu § 13 b Nr. 7 UStG beigefügt ist. In der Liste werden die Abfälle bezeichnet und hinsichtlich ihrer Spezifikation auf einzelne Positionen des Zolltarifs verwiesen. Nur für solche Abfälle, die in der Liste enthalten sind und unter eine der dort genannten Zolltarifpositionen fallen, gilt das Steuerabzugsverfahren. Für andere Abfälle, die in der Liste nicht enthalten sind, gilt es nicht.
Für die Frage, ob in Fällen der Entsorgung werthaltiger Abfälle ein tauschähnlicher Umsatz vorliegt, ist das Reverse-Charge-Verfahren ohne Relevanz. Ob ein tauschähnlicher Umsatz vorliegt, richtet sich danach, ob der Preis für die Entsorgungsleistung durch die Überlassung des Abfalls bzw. der Preis für die Überlassung des Abfalls durch die Entsorgungsleistung beeinflusst wird. Ist dies der Fall, liegt ein tauschähnlicher Umsatz vor. Der Entsorger muss für seine Leistung eine Rechnung stellen und der Abfalllieferant eine Rechnung für seine Lieferung. Im Normalfall ist – soweit nicht das Reverse-Charge-Verfahren eingreift – in beiden Rechnungen Umsatzsteuer auszuweisen. Sollte es sich allerdings bei der Lieferung der Abfälle um solche Abfälle handeln, die unter das Reverse-Charge-Verfahren fallen, d. h. um solche Abfälle, die in der vorgenannten Liste enthalten sind, dann hat der Lieferant des Abfalls eine Rechnung ohne Umsatzsteuer auszustellen, aber mit dem Hinweis, dass der Leistungsempfänger der Steuerschuldner ist. Der Entsorger als der Leistungsempfänger muss dann die Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen. Unberührt davon bleibt die Verpflichtung des Entsorgers, über seine Entsorgungsleistung dem Abfalllieferanten eine Rechnung zuzüglich Umsatzsteuer zu stellen.
Zu großen praktischen Problemen führt die Frage, welche Abfälle konkret den in der Liste genannten Zolltarifpositionen zuzuordnen sind und namentlich welche Abfallschlüsselnummern insoweit betroffen sind. Problematisch ist auch die Frage, wie mit Abfallgemischen zu verfahren ist.
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nunmehr mit Datum vom 04.02.2011 ein Schreiben zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens u. a. bei der Lieferung bestimmter Abfälle veröffentlicht. Leider bringt das Schreiben nicht die für die praktische Rechtsanwendung gewünschte Erleichterung und Klarheit. So verhält sich das BMF-Schreiben beispielsweise mit keinem Wort zu der Frage, welche Abfallschlüsselnummern den jeweiligen Zolltarifpositionen zuzuordnen sind. Vielmehr werden die einzelnen in der Anlage 3 zu § 13 b Nr. 7 UStG genannten Abfälle erneut benannt und sodann näher erläutert, indem unter Bezugnahme auf den Zolltarif ausgeführt wird, welche konkreten Abfälle unter die einzelnen Zolltarifpostionen fallen sollen. Vereinzelt werden dabei allerdings auch nur schlicht Erläuterungen wiedergegeben, die schon selbst im Zolltarif enthalten sind. Für die praktische Zuordnung bzw. Abgrenzung sind die (auch sprachlich oftmals nur schwer verständlichen) Ausführungen – mit gebotener Zurückhaltung formuliert – in vielen Fällen unbrauchbar.
Ebensowenig hilfreich dürfte in der Praxis der Hinweis in dem BMF-Schreiben sein, dass in Zweifelsfällen die Möglichkeit bestehe, eine „unverbindliche“ Zolltarifauskunft einzuholen. Wenn Zweifel bestehen (was vermutlich eher die Regel als die Ausnahme sein dürfte), wäre es aus der Sicht der betroffenen Unternehmen sinnvoll, wenn eine eingeholte Zolltarifauskunft auch verbindlich wäre.
In der praktischen Umsetzung problematisch dürften darüber hinaus die fast realsatirisch anmutenden Ausführungen im BMF-Schreiben zu Abfallgemischen sein. Sind in Abfallgemischen sowohl Abfälle enthalten, die unter das Reverse-Charge-Verfahren fallen, als auch solche Abfälle, die nicht darunter fallen, so sollen die Bestandteile grundsätzlich getrennt beurteilt werden. Wenn eine getrennte Beurteilung nicht möglich ist, dann sollen die Abfälle nach dem Stoff oder Bestandteil beurteilt werden, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht. Handelt es sich bei dem Stoff oder dem Bestandteil, der den Abfallgemischen ihren wesentlichen Charakter verleiht, um einen solchen, der unter das Reverse-Charge-Verfahren fällt, ist dieses für die ganze Lieferung anzuwenden. Bei nicht mehr gebrauchsfähigen Maschinen, Elektro- und Elektronikgeräten sowie Heizkesseln ist nach Ansicht des BMF davon auszugehen, dass sie unter die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers fallen. Die vorgenannten Regelungen sollen jedoch dann nicht gelten, wenn für die zu beurteilenden Gegenstände eine eigene Zolltarifposition existiert. Denn diese Gegenstände sollen auch dann in eine eigene Zolltarifposition eingereiht werden, wenn sie unbrauchbar geworden, aber noch als solche erkennbar sind. In der Praxis dürften auch diese Erläuterungen des BMF zu mehr Fragen als Antworten führen. Zunächst dürfte nicht immer zweifelsfrei zu entscheiden sein, ob bei Gemischen noch eine getrennte Beurteilung „möglich“ ist. Sodann stellt sich die Frage, auf welche Weise und nach welchen Kriterien zu ermitteln ist, ob ein Stoff oder Bestandteil eines Gemisches dem Gegenstand seinen „wesentlichen“ Charakter verleiht. Doch selbst wenn er alle diese Fragen sicher beantwortet hat, bleibt es dem Rechtsanwender nicht erspart, sich durch 887 (!) Seiten Zolltarifpositionen durchzuarbeiten, um herauszufinden, ob es für den maßgeblichen Gegenstand nicht doch noch eine eigene Zolltarifposition gibt. Dieses vom BMF ausersonnene Verfahren ohne Sarkasmus zu kommentieren, fällt ernsthaft schwer....
Das BMF-Schreiben ist hier abrufbar.
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