Die ersten behördlichen und gerichtlichen Auseinandersetzungen über den Umfang der Befugnisse der Europäische Agentur für chemische Stoffe (im Folgenden „ECHA“) und die Auslegung der europäischen Verordnung 1907/2006/EG zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (im Folgenden „REACH“) haben begonnen. Während ein Widerspruch gegen die Zurückweisung eines Registrierungsdossiers wegen Unvollständigkeit erfolgreich war, wurde die erste Klage gegen eine Registrierungspflicht nach REACH abgewiesen. Auch ein Antrag im einstweiligen Rechtschutz gegen die Aufnahme eines Stoffes in die Kandidatenliste wurde zurückgewiesen. Weitere Klageverfahren sind anhängig.
Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend ein kurzer Überblick die Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen nach REACH gegeben. Der Rechtsweg hängt zunächst davon ab, von welcher nationalen oder europäischen Institution die entsprechende Maßnahme getroffen wurde. Zwar werden auch die nationalen Behörden im Vollzug von REACH tätig. Zentrale Aufgaben im Rahmen von REACH übernehmen jedoch die ECHA und die Europäische Kommission.
1. Nationaler Rechtsschutz
Die nationalen Behörden wirken bei der Vorbereitung von Entscheidungen der ECHA mit. Die Bundesbehörden, wie z. B. die BAuA, das Umweltbundesamt und das Bundesinstitut für Risikobewertung, haben Aufgaben bei der Bewertung und Zusammenarbeit mit der ECHA für die Entgegennahme und Weiterleitung von Informationen und sonstigen Mitwirkungsakten. Bedeutsamer ist die Aufgabe der Mitgliedstaaten für den Vollzug von REACH. Maßgebend für die Durchführung von REACH in Deutschland sind in erster Linie die Vorschriften des Chemikaliengesetzes („ChemG“) . Zuständig für die Überwachung sind demnach grundsätzlich die Länderbehörden. Ihnen obliegen insbesondere die Kontrolle der Einhaltung der Bestimmung der REACH-Verordnung bei den jeweiligen Unternehmen und die Verhängung von Sanktionen gegen Verstöße gegen REACH (vgl. z. B § 27 b ChemG).
Maßnahmen der deutschen Behörden, z. B. die Verhängung von Bußgeldern nach dem ChemG, können weiterhin vor deutschen Gerichten angegriffen werden. Nationale Gerichte sind zudem zuständig für Entscheidungen über Ansprüche auf anteilige Kostenerstattung, die Studieninhaber haben, soweit sie aufgrund von REACH ihre Studien im Rahmen eines substance information exchange forum („SIEF“) zur Verfügung stellen müssen.
2. Europäischer Rechtsschutz
Die ECHA besitzt eine zentrale Stellung im Rahmen der Durchführung des Registrierungsverfahrens. Registrierungsanträge werden bei ihr gestellt und von ihr auf Vollständigkeit überprüft. Falls beispielsweise nachgeforderte Unterlagen nicht eingereicht werden, hat die ECHA die Registrierung zurückzuweisen.
Der Kommission werden ebenfalls zentrale Aufgaben durch REACH eingeräumt. Sie trifft die Entscheidung über die Erteilung einer Zulassung von besonders besorgniserregenden Stoffen. Die Kommission entscheidet (unter Beteiligung der Mitgliedstaaten) außerdem über die Einstufung eines Stoffes als besonders besorgniserregend und die Aufnahme in die Liste der zulassungspflichtigen Stoffe. Die ersten Vorschläge der ECHA liegen bereits vor und wurden zuletzt am 18.06.2010 um 8 weitere Stoffe auf insgesamt 38 Stoffe ergänzt.
Der Rechtsschutz gegen Maßnahmen bei der Zulassung und Registrierung von Stoffen wird daher zukünftig zunehmend auf europäischer Ebene zu suchen sein. Er unterscheidet sich aufgrund des vorgesehenen Widerspruchsverfahrens vom Rechtsschutz gegen sonstige europäische Maßnahmen und erlaubt eine Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle bestimmter Entscheidungen der ECHA.
2.1 Widerspruchsverfahren bei der Widerspruchskammer der ECHA
Ein Widerspruch mit aufschiebender Wirkung gegen einzelne Entscheidungen der ECHA ist in Art. 88 ff. REACH vorgesehen. Daher beginnt der Rechtsweg gegen viele Entscheidungen der ECHA mit Einlegung eines Widerspruchs bei der Widerspruchskammer. Nur soweit ein Widerspruch nicht statthaft ist, kann direkt beim Europäischen Gerichtshof geklagt werden. Die Widerspruchsfrist läuft drei Monate nach der Bekanntgabe einer Entscheidung der ECHA ab. Widerspruchsberechtigt sind die Adressaten einer Entscheidung der ECHA.
Die Widerspruchskammer kann Widersprüche selbst bescheiden oder zur Neubescheidung an die ECHA zurückverweisen. Ihr ist eine umfassende Nachprüfung der Entscheidungen der ECHA möglich, insbesondere kann sie bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und Ermessensspielräume zu einem anderen Ergebnis kommen als die ECHA. Sie kann nicht nur rechtswidrige, sondern auch unzweckmäßige Entscheidungen der ECHA aufheben und neu bescheiden oder zur Neubescheidung zurück verweisen. Verschiedene Durchführungsvorschriften enthalten weitere, detaillierte Vorschriften zum Widerspruchsverfahren.
2.2 Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof
Gegen Entscheidungen der Widerspruchskammer und gegen Entscheidungen der ECHA, bei denen kein Widerspruch statthaft ist, eröffnet Art. 93 REACH den Rechtsweg zum Gerichtshof. Über Art. 263 Abs. 4 AEUV hinaus werden somit Klagen gegen Maßnahmen der ECHA bzw. der Widerspruchskammer zugelassen, soweit die übrigen Voraussetzungen des Art. 263 AEUV gewahrt werden. Zudem können Fragen von REACH von den nationalen Gerichten dem EuGH vorgelegt werden. Da eine Klage im Gegensatz zum Widerspruch keine aufschiebende Wirkung entfaltet, ist gegebenenfalls auch vor dem Gerichtshof ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu stellen (Art. 278, 279 AEUV). Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung werden zukünftig sowohl das Vorsorge- und Verhältnismäßigkeitsprinzip als auch die grundrechtlichen geschützten Interessen der Verbraucher, Belange der Umwelt und die Grundrechte der betroffenen registrierungs- und zulassungspflichtigen Unternehmen eine herausragende Rolle spielen.
Gegenwärtig sind verschiedene Verfahren vor dem Gerichtshof anhängig, mit denen die Einstufungen von verschiedenen Stoffen (Anthracenöl/Athracenpaste; Pech, Kohlenteer, Hochtemperatur) als besonders besorgniserregend durch die ECHA angegriffen werden. Gerichtlich wurden bereits Fragen zur Registrierungspflicht von Monomeren entschieden. Bei dem ersten gerichtlichen Rechtsstreit handelte es sich um einen Vorabentscheidungsverfahren, das vom britischen High Court of Justice dem europäischen Gerichtshof vorgelegt wurde. Der Gerichtshof hat die Verhältnismäßigkeit der Registrierungspflicht für Monomerstoffe in gebundener Form, die in Polymeren enthalten sind, bestätigt. Hervorzuheben ist, dass der Gerichtshof sich sowohl bei der Auslegung des Begriffs der „Monomerstoffe“ als auch bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Registrierungspflicht an den Zielen der REACH-Verordnung orientiert hat und als Hauptziel der Registrierungspflicht die Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt betont hat.