Öffentliche Kritik von Unternehmen durch Presse und Verbraucherschutzorganisationen ist üblich und häufig auch wichtig – ein am Pranger ausgetragener Produktboykott durch eine große Einzelhandelskette ist demgegenüber außergewöhnlich.
Erst vor wenigen Tagen machte eine skurrile Pressemittteilung die Runde: Die Drogeriekette dm hat die Zahncreme Dentagard der Firma Colgate aus dem Sortiment genommen. Der angebliche Grund: Colgate hat eine deutliche Reduzierung des Verpackungsinhaltes von 100 ml auf 75 ml vorgenommen, ohne den Preis (gegenüber dem Handel) zu senken. dm belässt es jedoch nicht bei der „Auslistung“ des Produktes, sondern schlachtet seinen Produktboykott auch noch werbewirksam aus. Vor dem leeren Dentagard-Regal winkt auf einem Flyer ein Bieber, der stark an den Dentagard- oder Blendi-Bieber von Colgate erinnert, mit einem Streiktransparent und verkündet selbstbewusst „Da streiken wir!“. Gleichzeitig wird der Kunde darüber informiert, dass dm nicht dazu bereit ist, die (durch die Verringerung des Tubeninhaltes) entstehende Preiserhöhung weiterzugeben. Als Alternative empfiehlt dm ausdrücklich seine Eigenmarke. Es folgen viele Reaktionen der Internetgemeinde, die den Produktboykott von dm loben – Colgate steht am Pranger.
So ärgerlich Preiserhöhungen „durch die Hintertür“ – nämlich durch eine Verringerung von Verpackungsinhalten – immer sind und so wichtig eine transparente Information der Verbraucher auch ist. Das Verhalten von dm erscheint aus rechtlicher – und vielleicht auch aus moralischer Sicht – in manchen Punkten angreifbar.
So bleibt z.B. unklar, ob der Dentagard-Kunde hinsichtlich des Produktvolumens überhaupt in die Irre geführt worden wäre. Wird die neue Dentagard in derselben Tubengröße verkauft oder erkennt der Verbraucher vielleicht sogar schon auf den ersten Blick, dass die Tube weniger Inhalt hat, als die anderen Tuben im dm-Regal? In diesem Fall stünde zumindest der Aspekt der Täuschung der Kunden nicht im Vordergrund. Der Kunde würde vielmehr sofort erkennen, dass er hier möglicherweise für viel Geld wenig Inhalt erhält.
Unklar bleibt auch, ob eine mögliche Preissenkung durch dm für den Drogeriemarkt tatsächlich unzumutbar gewesen wäre. Der Handel ist in der Festlegung seiner Preise frei. Eine Vorgabe von Preisen durch die Hersteller ist rechtlich nicht zulässig. Ob eine Preissenkung durch dm möglich gewesen wäre, hängt somit auch maßgeblich von der beim Verkauf von Dentagard zu erzielenden Marge ab. War der bisher von Colgate verlangte Handelspreis für die Zahncreme bislang möglicherweise vergleichsweise niedrig, so dass eine Erhöhung (etwa durch eine Mengenreduzierung) vielleicht sogar gerechtfertigt erscheint? Dies alles mag unwahrscheinlich sein, wir wissen es aber nicht. Der Pranger von dm erweckt jedenfalls den Eindruck, dass Colgate in der Absicht der Täuschung der Verbraucher Geldschneiderei betreibt.
Einen faden Beigeschmack erhält die Aktion von dm jedoch spätestens durch die ausdrückliche Empfehlung der Eigenmarke Dontodent. Die Empfehlung wirft Fragen auf. Geht es dm vielleicht gar nicht um den Schutz der Kundeninteressen? Steht möglicherweise die Absicht der Steigerung des eigenen Absatzes im Vordergrund? Soll hier vielleicht nur ein wichtiges Wettbewerbsprodukt „aus dem Rennen genommen“ werden? Nutzt dm den öffentlichen Pranger um zukünftig bessere Verhandlungsergebnisse mit Colgate zu erzielen? Durch die Empfehlung der Eigenmarke konterkariert dm seine eigene Kampagne und macht sich selbst unglaubwürdig. So zweifelhaft der Werbeerfolg der Kampagne scheint, so problematisch erscheint die Kampagne auch in rechtlicher Hinsicht. dm ist eine der größten Drogerieketten in Deutschland mit einem nicht unerheblichen Marktanteil. Es ist davon auszugehen, dass für Kunden in einigen Regionen Deutschlands wenig Ausweichmöglichkeiten auf andere Drogeriemärkte bestehen. Das Produkt „Dentagard“ ist für diese Menschen dann nicht mehr verfügbar. Dentagard wird in diesen Gegenden erheblich in seinem Verkauf behindert. Abhängig von der Marktstärke von dm könnte sich hier die Frage stellen, ob eine kartellrechtwidrige Behinderung der Firma Colgate vorliegt.
dm ist aber nicht nur Einzelhändler, sondern mit seiner Eigenmarke Dontodent auch unmittelbarer Wettbewerber von Colgate. Anders als dem „Normalbürger“ oder Verbraucherschutzorganisationen etc. ist es einem Wettbewerber nicht bedingungslos gestattet, sich negativ über den Konkurrenten zu äußern. Selbst wahre Tatsachenbehauptungen über einen Wettbewerber können im Einzelfall unzulässig sein. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein sachliches Interesse an der Informationserteilung nicht im Vordergrund steht und die Äußerung für den Wettbewerber erhebliche Nachteile mit sich bringen kann. Auch insoweit begeht dm hier eine Gratwanderung. Spätestens durch die ausdrückliche Empfehlung der Eigenmarken könnte diese Gratwanderung rechtlich zum Sturz führen. Es bleibt spannend…