Mit Urteil vom 01.09.2020 hat das OVG Hamburg (Az.: 1 E 26/18) zum zweiten Mal entschieden: Die Erlaubnis zur Entnahme und Wiedereinleitung von Elbwasser für die Durchlaufkühlung des Kraftwerks Moorburg ist rechtswidrig. Der mehr als zehn Jahre andauernde Rechtsstreit dürfte damit ein Ende haben. Besiegelt scheint derweil auch das Ende des erst seit wenigen Jahren betriebenen Kraftwerks.
Bereits im kommenden Jahr dürfte das erst 2015 in Betrieb genommene Kohlekraftwerk Moorburg vom Netz gehen. Anfang Dezember hat der Betreiber Vattenfall bei der ersten Ausschreibungsrunde für Stilllegungsprämien nach dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz einen Zuschlag erhalten. Auch wegen des jüngsten Urteils des OVG Hamburg wäre ein Weiterbetrieb wohl unwirtschaftlich gewesen: Danach darf das Kraftwerk nicht mit der Durchlaufkühlung betrieben werden, bei der für jeden Kühlungsvorgang Wasser aus der Süderelbe entnommen und anschließend erwärmt wieder eingeleitet wird. Es bleibt nur die kostspielige Kreislaufkühlung mit dem vorhandenen Kühlturm.
Der Hintergrund der Entscheidung
Mit seiner Klage hatte sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegen die 2010 erteilte wasserrechtliche Erlaubnis gewandt. Das OVG Hamburg hatte die Erlaubnis in einer ersten Entscheidung im Jahr 2013 hinsichtlich der Durchlaufkühlung aufgehoben. Die beklagte Stadt Hamburg und die Beigeladene hatten hiergegen Revision eingelegt. Beim BVerwG ruhte das Verfahren jedoch zunächst bis zu einer Entscheidung des zwischenzeitlich mit der Sache befassten EuGH. Nach dessen Entscheidung hat das BVerwG das Urteil des OVG aufgehoben, soweit es der Klage stattgegeben hatte, und die Sache zurückverwiesen.
Die Entscheidung des OVG
Das OVG Hamburg hat nun erneut entschieden. Es hält die wasserrechtliche Erlaubnis für rechtswidrig und für nicht vollziehbar, soweit darin die Entnahme und die Wiedereinleitung von Elbwasser zum Zweck der Durchlaufkühlung des Kraftwerks erlaubt werden. Die Erlaubnis verstoße gegen wasserrechtliche Vorschriften. Zudem seien die habitatschutzrechtliche Prüfung und die Prüfung des besonderen Artenschutzrechts fehlerhaft.
Wasserrechtliches Verschlechterungsverbot wurde unzureichend geprüft
Ausführlich setzt sich das OVG mit den Anforderungen des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots auseinander und sieht dieses unter mehreren Gesichtspunkten verletzt. Unter anderem stellt es klar, dass eine ordnungsgemäße Prüfung des Verschlechterungsverbots sowohl eine Ermittlung des Ist-Zustands als auch eine Auswirkungsprognose für die einzelnen zu bewertenden Oberflächenwasserkörper voraussetze. Hinsichtlich der biologischen Qualitätskomponenten genügt nach Auffassung des OVG eine „verbal-argumentative Beschreibung“ von Ist-Zustand und Auswirkungen grundsätzlich nicht. Es müsse eine vergleichende Bewertung unter Anwendung des durch die Wasserrahmenrichtlinie vorgegebenen Zustands- bzw. Potenzialklassensystems erfolgen.
Nach diesen Maßstäben weise die Prüfung der maßgeblichen biologischen Qualitätskomponenten zwei wesentliche inhaltliche Defizite auf: Bei der Beurteilung des Ist-Zustands und der Auswirkungsprognose fehle es zum einen an dem gebotenen Bezug zu einem konkreten Oberflächenwasserkörper und zum anderen an der Einstufung in eine Potenzialklasse nach dem Potenzialklassensystem der Wasserrahmenrichtlinie.
Nachträgliche Gutachten hätten neue Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich gemacht
Weiter weist das OVG darauf hin, dass die Wasserrahmenrichtlinie nicht nur einen materiell-rechtlichen Prüfungsmaßstab enthalte, sondern auch die verfahrensrechtliche Vorgabe, dass das Verschlechterungsverbot bereits vor der Zulassungsentscheidung in einem dokumentierten behördlichen Verfahren geprüft werden müsse. Daher müsse die Öffentlichkeit neu beteiligt werden, wenn aufgrund von Ermittlungs- und Bewertungsdefiziten nach Erlass der behördlichen Entscheidung eine neue oder über die bisherigen Untersuchungen wesentlich hinausgehende Prüfung der Umweltbetroffenheiten vorgenommen werde. Etwas anderes soll nur gelten, wenn sich geänderte Unterlagen z. B. auf Detailänderungen beschränken. Daher konnten die Defizite bei der Ermittlung und Bewertung nach Auffassung des OVG nicht allein durch nachträglich im Prozess vorgelegte Gutachten aufgefangen werden. Stattdessen hätte die hier nach dem Hamburgischen Wassergesetz erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung erneut erfolgen müssen.
Habitatschutzrechtliche Prüfung war teilweise fehlerhaft
Daneben beanstandet das OVG in Teilen auch die habitatschutzrechtliche Prüfung. Es stellt zunächst fest, dass der Kläger mit seinen hierzu erhobenen Rügen nicht präkludiert sei. Den Anwendungsbereich des UmwRG hält das Gericht für eröffnet. Die wasserrechtlichen Erlaubnis sei mit einem Vorhaben nach der Industrieemissionsrichtlinie verbunden (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Var. 3 UmwRG). Die Verbindung habe entgegen der Ansicht der Beigeladenen auch nicht damit geendet, dass die immissionsschutzrechtliche Genehmigung bestandskräftig geworden sei.
Aus dem mithin anwendbaren UmwRG nimmt das OVG auf die Regelung in § 7 Abs. 4 UmwRG Bezug. Nach dessen Wortlaut finden die Präklusionsvorschriften zum Anhörungsverfahren im VwVfG keine Anwendung. Darin sieht das Gericht einen umfassenden Anwendungsausschluss von Präklusionsvorschriften bei verbundenen Verfahren, der sich auch auf die entsprechende Präklusionsvorschrift aus dem Hamburgischen Wassergesetz beziehe.
In der Sache urteilt das OVG, die Beklagte habe erhebliche Beeinträchtigungen der Meerneunaugenbestände in den niedersächsischen FFH-Gebieten durch die Kühlwasserentnahme und -wiedereinleitung zu Unrecht verneint. Maßgeblich sei der günstige Erhaltungszustand nach der FFH-Richtlinie. Dass keine Beeinträchtigungen auftreten, müsse gewiss sein. Nur wenn insoweit keine vernünftigen Zweifel verblieben, dürfe die Verträglichkeitsprüfung mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen werden. Die Beklagte habe solche vernünftigen Zweifel aufgrund der vorliegenden Fachgutachten nicht ausschließen können.
Artenschutzrechtliche Prüfung war rechtsfehlerhaft unterblieben
Die wasserrechtliche Erlaubnis genügt nach Auffassung des OVG auch nicht den Anforderungen des besonderen Artenschutzrechts. Eine artenschutzrechtliche Prüfung hätte hinsichtlich der vorhabenbetroffenen Arten Fluss- und Meerneunauge als besonders geschützte Arten und Nordseeschnäpel als besonders geschützte und überdies streng geschützte Art erfolgen müssen. Dabei stellt das OVG klar, dass auch Tiere aus einer Population, die sich nicht selbst reproduziert, den Zugriffsverboten unterfallen können. Dies gelte grundsätzlich selbst dann, wenn diese vollständig auf Besatzmaßnahmen beruhen sollte.
Die erforderliche artenschutzrechtliche Prüfung sei nicht erfolgt. Dies sei auch nicht dadurch geschehen, dass die Beklagte eine Prüfung der Gebietsverträglichkeit vorgenommen und in diesem Zuge auch die nach der FFH-Richtlinie relevanten Arten in den Blick genommen habe. Habitatschutz und Artenschutz seien trotz der gemeinsamen Zielrichtung zwei selbstständig nebeneinander stehende Rechtsbereiche.
Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit
Die festgestellten Mängel sind nach Ansicht des OVG in einem ergänzenden Verfahren behebbar und führen daher nach dem UmwRG nicht zur Aufhebung der angefochtenen Erlaubnis, sondern zur Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit.
Fazit und Ausblick
Das Urteil des OVG dürfte den jahrelangen Rechtsstreit um das Kraftwerk Moorburg beenden. Zwar hatte Vattenfall zunächst Revision eingelegt. Nach dem nun erhaltenen Zuschlag für eine Stilllegungsprämie scheint eine erneute Befassung des BVerwG aber unwahrscheinlich.
Über den entschiedenen Fall hinaus gibt das Urteil durch die Konkretisierung der Vorgaben von EuGH und BVerwG Anhaltspunkte für die Rechtsanwendung. Neben einer Vielzahl behandelter Einzelaspekte verdeutlicht das Urteil etwa für die Prüfung des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots die Bedeutung eines konkreten Bezugs zu einem Oberflächenwasserkörper und der Einstufung in das Zustands- bzw. Potenzialklassensystem der Wasserrahmenrichtlinie. Von allgemeiner Bedeutung sind auch die Ausführungen zum Anwendungsbereich des UmwRG bei verbundenen Vorhaben und zum Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung eines FFH-Gebiets.
Einmal mehr zeigt das Urteil des OVG Hamburg, dass im Planungsstadium und im Genehmigungsverfahren die wasser-, habitat- und artenschutzrechtlichen Anforderungen mit ihren Konkretisierungen durch die jüngere Rechtsprechung strikt zu beachten sind. Unterlaufen hierbei dennoch Fehler und werden zur „Behebung“ Gutachten nachgereicht, ist genau zu prüfen, ob die Öffentlichkeit erneut zu beteiligen ist.
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