Als erstes deutsches Gericht hat es damit eine Ausschreibungspflicht pauschal für alle Fälle interkommunaler Kooperationen angenommen, ohne Einschränkungen im Hinblick auf die Art der Kooperation vorzunehmen oder eine Ausschreibungspflicht an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen.
In der Sache wollte der Landkreis Bernburg dem Landkreis Schönebeck (Sachsen-Anhalt) bzw. dessen Eigenbetrieb auf Grundlage einer (delegierenden) Zweckvereinbarung die Aufgabe der Abfallentsorgung sowie den Betrieb der Mülldeponie/Müllumladestation ohne vorherige Ausschreibung übertragen und ihm zugleich das Recht einräumen, entsprechende Gebühren zu erheben. Auf diese Weise sollten die zuvor privat durchgeführten Entsorgungsaufträge dem Wettbewerb entzogen werden.
„Am Markt tätige Kommunen unterliegen den gesetzlichen Wettbewerbsregeln“
Das OLG Naumburg untersagte auf Intervention der von avocado rechtsanwälte vertretenen „Altauftragnehmer“ dieses Vorgehen. Immer dann, wenn eine Kommune beauftragt werden solle, die am Markt tätig werde – was für den Entsorgungsbereich unzweifelhaft anzunehmen sei – sei der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet – so das Gericht. Letztlich komme es allein darauf an, ob ein sich rechtlich von der beauftragenden Kommune unterscheidender (privater oder öffentlich-rechtlicher) Dritter mit bestimmten Leistungen beauftragt werden solle. Ein derart umfassendes Verständnis sei durch die Rechtsprechung des EuGH gefordert. Einzig die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben im Wege eines echten Verwaltungsmonopols unterfalle nicht dem Vergaberecht, da hier schon keine private Konkurrenz, also kein Wettbewerb um die Leistung bestünde. Im Übrigen – so dass Gericht wörtlich – unterlägen die Kommunen „selbstverständlich“ den gesetzlichen Wettbewerbsregeln, wenn sie sich am Markt betätigten. Die hierdurch bewirkte Bindung der Gebietskörperschaften an das Vergaberecht begründe auch keine Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten kommunalen Kooperationshoheit, wenn die Kommunen im wettbewerbsrelevanten Bereich tätig würden. Dann füge sich das Vergaberecht in die Reihe zulässiger gesetzlicher Beschränkungen der kommunalen Kooperationsfreiheit ein. Als (öffentlich-rechtlicher) Vertrag unterfalle die konkrete Zweckvereinbarung der beiden Landkreise damit dem Anwendungsbereich des Vergaberechts; gesetzlich vorgesehene Ausnahmen seien nicht einschlägig. Wegen der eingeräumten Befugnis zur Gebührenerhebung, die eine geldwerte Gegenleistung darstelle – so das Gericht – , sei die Vereinbarung auch „entgeltlich“ im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB – hieran ändere auch der Umstand nichts, dass die Gebühren nicht von dem Antragsgegner selbst, sondern von den Gebührenzahlern erbracht werden.
OLG Naumburg konsequent – spricht der EuGH das letzte Wort?
Als erstes deutsches Gericht fordert das OLG Naumburg damit vor dem Abschluss einer jeden interkommunalen Kooperation explizit die Durchführung eines der den §§ 97 ff. GWB entsprechenden Vergabeverfahrens. Der Beschluss des OLG Naumburg stellt damit eine echte Grundsatzentscheidung dar. Bislang hatten das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 05.05.2004) und das OLG Frankfurt (Beschluss vom 07.09.2004) die Anwendbarkeit des Vergaberechts allein für sogenannte mandatierende Zweckvereinbarungen bejaht, bei denen eine Kommune eine andere schlicht mit der Erfüllung bestimmter Leistungen beauftragt. Die Kontroverse um die Ausschreibungspflicht kommunaler Kooperationen hatte zugenommen, nachdem der Europäische Gerichtshof die pauschale Freistellung von „innerstaatlichen“ Beauftragungen als europarechtswidrig beanstandet hatte (vgl. Urteil vom 13.01.2005, Rs. C-84/03). Sollte ein anderes Oberlandesgericht zukünftig von der konsequenten Linie des OLG Naumburg abweichen wollen, muss hierüber letztlich der Bundesgerichtshof und über diesen Schritt hinaus ggf. abschließend der Europäische Gerichtshof entscheiden. Angesichts der eindeutigen Haltung des Europäischen Gerichtshofes zugunsten einer umfassenden praktischen Wirksamkeit des Vergaberechts spricht Vieles dafür, dass auch er sämtliche Formen interkommunaler Kooperationen dem Vergaberecht unterstellen wird. Interkommunalen Kooperationen wäre damit endgültig der Charakter vergaberechtsimmuner „innerstaatlicher Organisationsentscheidungen“ genommen und sie wären stattdessen dem Wettbewerb unterstellt.