Immer wieder beschäftigen verschiedene Fallgestaltungen, in denen von den Bietern verlangte Unterlagen nicht, fehlerbehaftet oder unvollständig beigebracht werden, zunächst die Auftraggeber und in vielen Fällen anschließend auch die Vergabenachprüfungsinstanzen. Im Zentrum steht dabei zumeist die Frage, ob eine Nachforderung der Unterlage möglich bzw. zwingend war. Das OLG München hat sich in seinem jüngst veröffentlichten Beschluss vom 17.12.2019 (Verg 25/19, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) mit der Nachforderung im Zusammenhang mit der Konstellation einer vorgelegten Bescheinigung, deren Gültigkeitsdauer jedoch ausdrücklich abgelaufen war, auseinandergesetzt.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin schrieb die Beschaffung von Kommunalhydrauliken für Lkw europaweit aus.
Unter anderem die spätere Antragstellerin gab ein Angebot ab. In ihrem Angebot kreuzte die Antragstellerin im Formblatt zum Nichtvorliegen von Ausschlussgründen an, dass sie Mitglied einer Berufsgenossenschaft sei, und verpflichtet sich für den Fall, dass ihr Angebot in die engere Wahl komme, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Berufsgenossenschaft des zuständigen Versicherungsträgers auf Verlangen der Vergabestelle vorzulegen. Des Weiteren bestätigte sie im Formblatt, dass ihr bekannt sei, dass die jeweils genannten Bestätigungen oder Nachweise auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt werden müssten und das Angebot ausgeschlossen werde, wenn die Unterlagen nicht vollständig innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt werden sollten.
Entsprechend forderte die Auftraggeberin die Antragstellerin mit Schreiben vom 25.09.2019 unter anderem zur Vorlage der Bescheinigung der Berufsgenossenschaft des zuständigen Versicherungsträgers binnen zwei Wochen auf. In der Aufforderung war der Hinweis enthalten, dass Angebote ausgeschlossen würden, sofern die geforderten Unterlagen nicht innerhalb der genannten Frist vorgelegt würden.
Daraufhin legte die Antragstellerin fristgerecht eine Bescheinigung ihrer Berufsgenossenschaft vom 02.10.2018 mit folgendem Wortlaut vor:
„Wir bescheinigen Ihnen wunschgemäß, dass Sie bisher Ihren Beitragsverpflichtungen uns gegenüber nachgekommen sind. Diese Bescheinigung wird zur Bewerbung um öffentliche Aufträge erteilt und verliert ihre Gültigkeit am 30.04.2019.“
Anschließend schloss die Auftraggeberin das Angebot der Antragstellerin aus, da „geforderte Erklärungen oder Nachweise weder im Angebot enthalten noch entsprechend unserer Aufforderung rechtzeitig vorgelegt“ worden seien.
Nach erfolgloser Rüge des Ausschlusses ihres Angebots stellt die Antragstellerin bei der VK Nordbayern einen Antrag auf Vergabenachprüfung. Dieser wurde mit Beschluss vom 15.11.2019 (RMF-SG21-3194-4-50) mit dem Argument zurückgewiesen, dass die Auftraggeberin die Antragstellerin wegen Vorlage einer ungültigen Bescheinigung zurecht ausgeschlossen habe.
Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde zum OLG München.
Ohne Erfolg!
Entscheidung des OLG München: Das Angebot war zwingend auszuschließen, da die Auftraggeberin zur Nachforderung der Bescheinigung weder befugt noch verpflichtet war!
Das OLG München hält zunächst fest, dass die Vorlage einer Bescheinigung, deren Gültigkeitsdauer ausdrücklich abgelaufen sei, im Rechtssinne als Nichtvorlage nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV anzusehen sei. Eine Unterlage „fehle“, wenn sie körperlich nicht vorgelegt werde. Aber auch Unterlagen, die formale Mängel aufwiesen, zählten zu den „fehlenden“ Unterlagen. Derartige Fehler lägen vor, wenn die Unterlage nicht lesbar sei, die Gültigkeit einer Bescheinigung von der Vorlage im Original abhängig gemacht, aber nur eine unbeglaubigte Fotokopie übersendet werde oder wenn die Gültigkeitsdauer abgelaufen sei. In diesen Fallkonstellationen sei das vorgelegte, formal falsche bzw. untaugliche Dokument ein „aliud“ und gelte nicht als der geforderte Beleg.
So liege der Fall auch hier. Eine Bescheinigung, deren Gültigkeitsdauer vom Aussteller ausdrücklich beschränkt und bei Einreichung durch den Bieter bereits abgelaufen sei, stelle ein „Nullum“ dar und sei einer Nichteinreichung gleichzusetzen.
Eine Nachforderung nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV sei vorliegend nicht in Betracht gekommen. Fraglich erscheine bereits, ob § 56 Abs. 2 VgV auf die hier zur Entscheidung stehende Fallkonstellation Anwendung finden könne. Aber selbst wenn man § 56 Abs. 2 VgV – analog – für anwendbar hielte, sei die Nachforderung entsprechend § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV ausgeschlossen.
Im Einzelnen führt das OLG München aus:
Seien die Unterlagen erst auf Anforderung des Auftraggebers nach Angebotsabgabe einzureichen, handele es sich nicht um ein „Nachfordern" im Sinne des § 56 Abs. 2 VgV, sondern um eine Erstanforderung. Für diese finde die Bestimmung des § 56 Abs. 2 VgV jedenfalls unmittelbar keine Anwendung. Welche Rechtsfolgen sich ergäben, wenn der Auftraggeber nach Angebotsabgabe erstmals, wie vorbehalten, Unterlagen angefordert, der Antragsteller diese aber innerhalb einer gesetzten, angemessenen Frist nicht einreicht habe, sei in der VgV nicht ausdrücklich geregelt und in Literatur und Rechtsprechung umstritten.
Für die letztgenannte Ansicht spreche, so das OLG München weiter, die nunmehr in § 16 Abs. 4 VOB/A-EU enthaltene Regelung. Nach dieser Norm sei ein Angebot zwingend auszuschließen, wenn der Bieter Erklärungen oder Nachweise, deren Vorlage sich der öffentliche Auftraggeber vorbehalten habe, auf Anforderung nach Angebotsabgabe nicht innerhalb einer angemessenen, nach dem Kalender bestimmten Frist vorgelegt habe. Einen sachlichen Unterschied, diese Fallgestaltung für Bauleistungen einerseits und für Liefer- und Dienstleistungsaufträge andererseits unterschiedlich zu behandeln, sei nicht zu erkennen.
Letztlich bedürfe dies aber keiner endgültigen Entscheidung, da vorliegend die erstgenannte Meinung ebenfalls zu einem zwingenden Ausschluss führe. Nach § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV sei der öffentliche Auftraggeber berechtigt, in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen festzulegen, dass er keine Unterlagen nachfordern werde. Wenn § 56 Abs. 2 VgV auf die erstmalige Anforderung von Unterlagen nach Angebotseinreichung analoge Anwendung finde, umfasse dies auch § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV. Demnach könne der Auftraggeber entsprechend § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV im Rahmen der Anforderung der Unterlagen festlegen, dass er keine Unterlagen nachfordern werde, mithin bei Nichteinreichung das Angebot zwingend ausgeschlossen werde. Dies sei vorliegend geschehen. Die Antragsgegnerin habe bereits in den Vergabeunterlagen im Formblatt zum Nichtvorliegen von Ausschlussgründen und ebenso im Anforderungsschreiben vom 25.09.2019 ausdrücklich angeführt, bei Nichtvorlage innerhalb der Frist werde das Angebot ausgeschlossen. Mithin sei der Auftraggeberin eine Nachforderung schon aufgrund der Selbstbindung und des Transparenzgrundsatzes nicht mehr möglich gewesen.
Fazit
Aus der Entscheidung des OLG München folgt dreierlei:
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