Der aktuelle Beschluss des OLG München vom 26.03.2020 (Verg 22/19, abrufbar unter folgendem Link) setzt sich mit dem praxisrelevanten „Dauerbrenner“ der versteckten Produktvorgabe auseinander. Nicht selten haben Auftraggeber bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung ein Wunschprodukt vor Augen oder schreiben zwecks „Arbeitserleichterung“ das Datenblatt eines bestimmten Produkts ab. Dann liegt – wie das OLG München nochmals anschaulich hervorgehoben hat – eine versteckte Produktvorgabe vor, sofern im Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens nur ein auf dem Markt verfügbares Produkt diese Anforderungen zu erfüllen vermag. Können in einem solchen Fall die konkreten Produktvorgaben nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden, liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung vor.
Aber der Reihe nach…
Was war passiert?
Die Auftraggeberin und spätere Antragsgegnerin schrieb in einem offenen Verfahren die Lieferung von interaktiven Multi-Touch Displays für den Schulbetrieb europaweit aus.
Im Rahmen der Leistungsbeschreibung wurden über mehrere Seiten diverse technische Anforderungen detailliert niedergelegt, die das angebotene Display allesamt erfüllen musste.
Ein Unternehmen – die spätere Antragstellerin – rügte zunächst erfolglos gegenüber der Auftraggeberin, dass die in der Leistungsbeschreibung enthaltenen technischen Vorgaben eine unzulässige verdeckte Produktvorgabe darstellten. Nachdem die Antragstellerin ihr Begehren mit einem Nachprüfungsantrag bei der VK Nordbayern weiter verfolgt hatte und damit gescheitert war, legte sie sofortige Beschwerde zum OLG München ein.
Mit Erfolg!
Entscheidung des OLG München: Es liegt ein nicht gerechtfertigter Verstoß gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung vor!
Die detaillierten Anforderungen an die ausgeschriebenen interaktiven Multi-Touch-Displays, so das OLG, stellten eine versteckte Produktvorgabe dar, die nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sei.
Zwar obliege dem Auftraggeber die Entscheidung, welcher Gegenstand mit welcher Beschaffenheit und welchen Eigenschaften beschafft werden solle. Allerdings werde dieses Bestimmungsrecht durch die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung begrenzt, von der wiederum nur unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden dürfe. So dürfe nach § 31 Abs. 6 VgV auf ein bestimmtes Produkt nicht verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen würden, es sei denn, dieser Verweis sei durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt. Gegen diese Verpflichtung werde nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen in der Leistungsbeschreibung genannt werde. Sondern es liege auch dann ein Verstoß vor, wenn durch die Vielzahl und/oder Detailtiefe der Vorgaben ein bestimmtes Produkt verdeckt vorgegeben werde und nur mit diesem die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt werden könnten.
Nach Überzeugung des OLG München liegt im streitgegenständlichen Fall eine solche versteckte Produktvorgabe vor. Vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin ein Produkt benannt habe, welches die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfülle, sowie eine Vielzahl weiterer Produkte aufgezeigt habe, die die Anforderungen nicht zu erfüllen vermochten, könne sich die Auftraggeberin nicht darauf zurückziehen, dass damit nicht feststehe, dass es auf dem gesamten Markt keine erfüllungsgeeignete Alternative gebe. Vielmehr sei es der Auftraggeberin, die die Vorgaben aufgestellt und die die Konformität der Angebote zu prüfen und zu beurteilen habe, möglich und zumutbar, konkrete Alternativen zu benennen und nachvollziehbar darzutun, dass auch diese Produkte erfüllungsgeeignet seien.
Dies habe die Auftraggeberin jedoch nicht gekonnt. Zwar habe sie ein Alternativprodukt benannt, allerdings sei dieses im maßgeblichen Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung noch nicht auf dem Markt verfügbar und seitens des Herstellers auch noch nicht so konkret mit Ausstattung und Preis avisiert gewesen, dass ein Bieter hierauf sein Angebot habe aufbauen können. Daher sei eine versteckte Produktvorgabe gegeben.
Auch könne sich die Auftraggeberin nicht darauf berufen, dass die versteckte produktspezifische Ausschreibung durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sei. Denn sie habe keine hinreichend nachvollziehbaren sachlichen Gründe dafür dargetan, dass nur die versteckt vorgegebenen Displays die Anforderungen an ein für den Schulbetrieb geeignetes Display erfüllen könnten.
Fazit und Praxishinweise
Um eine versteckte Produktvorgabe auszuschließen, müssen Auftraggeber im Sinne des OLG München mindestens ein weiteres Produkt benennen können, welches im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung marktverfügbar oder zumindest für die Angabe eines Angebots seitens der Bieter tauglich und zur Erfüllung der Vorgaben der Leistungsbeschreibung geeignet ist.
Gibt es kein weiteres Produkt, welches die Anforderungen zu erfüllen vermag, muss der Auftraggeber nachvollziehbare sachliche Gründe dokumentieren (können), die zur Rechtfertigung der produktspezifischen Ausschreibung geeignet sind. Da die Ausschreibung nach allen Verfahrensordnungen grundsätzlich produktneutral zu erfolgen hat und die produktspezifische Ausschreibung somit einen Ausnahmefall darstellt, sind strenge Anforderungen an die Nachvollziehbarkeit und die Begründung zu stellen.
Vor diesem Hintergrund ist Auftraggebern insbesondere von der weit verbreiteten und mit Blick auf Vereinfachung und Beschleunigung der Arbeitsprozesse verlockenden Praxis abzuraten, ein verfügbares Produktdatenblatt – bis ins Detail – abzuschreiben, ohne zugleich den Markt daraufhin zu überprüfen, ob weitere Produkte erfüllungsgeeignet sind.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Gestaltung der Leistungsbeschreibung? Wir beraten Sie gerne!