Viele Auftraggeber werden sich schon die Frage gestellt haben, wie die Situation, dass zwei nach den Zuschlagskriterien gleich bewertete Angebote vorliegen, vergaberechtskonform in eine Zuschlagserteilung münden kann. Dass insoweit ein Losentscheid das Mittel der Wahl ist, hat das OLG Hamburg in seinem aktuellen Beschluss vom 20.03.2020 (1 Verg 1/19, abrufbar unter folgendem Link) in erfreulicher Eindeutigkeit klargestellt. Ferner hat sich der Vergabesenat dazu geäußert, welchen Anforderungen die Durchführung des Losentscheids genügen muss und wie der entsprechende Vorgang zu dokumentieren ist. Grund genug, der Entscheidung einen Blog-Beitrag zu widmen.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin und spätere Beklagte schrieb im Offenen Verfahren die Lieferung von losem Steinsalz zum Streuen im Winterdienst aus.
In den Bewerbungsbedingungen hieß es wörtlich:
„§ 10 Losentscheid – Der Öffentliche Auftraggeber behält sich vor, bei wertungsgleichen Angeboten das Los entscheiden zu lassen.“
Die Leistungsbeschreibung enthielt die Zuschlagskriterien nebst Gewichtung. Dabei wurden neben dem Preis diejenigen Qualitätskriterien der nachgefragten Leistungen zugrunde gelegt, die die Auftraggeberin für den Zweck der Beschaffung für notwendig hielt.
Es gaben mehrere Bieter, unter anderem die spätere Antragstellerin und die spätere Beigeladene, ein Angebot ab. Die Auftraggeberin kam nach Anwendung der Zuschlagskriterien zu dem Ergebnis, dass das Angebot der Antragstellerin und dasjenige der Beigeladenen genau gleich zu werten seien. Die Auftraggeberin beschloss daher, zwischen den beiden Angeboten einen Losentscheid zu treffen und ging dabei – wie im Vergabevermerk vorab festgelegt und anschließend protokolliert – wie folgt vor:
Sechs verschlossene Loszettel, je drei mit dem Namen der Antragstellerin bzw. dem der Beigeladenen, wurden in einen Behälter gelegt. Sodann zogen drei vorher nicht mit der Ausschreibung befasste Mitarbeiter je einen Loszettel. Die Loszettel wurden erst geöffnet, nachdem alle drei Lose gezogen waren. Es ergab sich, dass zwei der Lose den Namen der Beigeladenen und eines den der Antragstellerin enthielt.
Die Antragstellerin beanstandete mit ihrem bei der Vergabekammer bei der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg eingelegten Nachprüfungsantrag, dass
Die Vergabekammer entschied, dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen sei, und gab der Antragsgegnerin auf, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Zuschlagskriterien unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu fassen. Zur Begründung führte die Vergabekammer im Wesentlichen aus, dass die Durchführung eines Losentscheids bei Gleichheit mehrerer Wertungen zwar nicht schlechterdings unzulässig sei; allerdings sei der Losentscheid hier nicht zulässig gewesen, weil die Antragsgegnerin ihre Wertungsmatrix durch die Aufnahme weiterer Zuschlagskriterien so hätte modifizieren können, dass die Gefahr, zu einer Gleichheit der Bewertung mehrerer Angebote zu kommen, deutlich hätte verringert werden können.
Gegen diese Entscheidung wendeten sich die Antragsgegnerin und die Beigeladene mit ihren sofortigen Beschwerden.
Mit Erfolg!
Entscheidung des OLG Hamburg: Einem Losentscheid stehen keine vergaberechtlichen Bestimmungen entgegen und die Durchführung des Losentscheids genügte vorliegend den daran zu stellenden Anforderungen!
Auch wenn das OLG Hamburg – entgegen der Vergabekammerentscheidung – angenommen hat, dass die Antragstellerin mit ihren den Losentscheid betreffenden Rügen präkludiert und ihr Nachprüfungsantrag insoweit bereits unzulässig sei, hat das OLG Hamburg im Sinne eines obiter dictums ausgeführt, dass es keine durchgreifenden Argumente zu erkennen vermöge, die der Zulässigkeit eines Losentscheides entgegenstünden. Zwar fehle eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Zulässigkeit eines Losentscheids. § 75 Abs. 6 VgV, der einen Losentscheid für den Fall zulässt, dass mehrere an einem Teilnahmewettbewerb für Architekten-/Ingenieurleistungen beteiligte Bewerber gleichermaßen die Anforderungen erfüllen und die Bewerberzahl auch nach einer objektiven Auswahl entsprechend der zugrunde gelegten Eignungskriterien noch zu hoch ist, betreffe einen Sonderfall; daher lasse sich aus ihm keine allgemeine Analogie oder ein allgemeiner Umkehrschluss herleiten. Allerdings folge aus der Natur der Sache, so das OLG weiter, dass ein Umkehrschluss zulässig sein müsse. Denn wenn die vollständige Auswertung aller Angebote anhand der Zuschlagskriterien der in einer Ausschreibung in zulässiger Weise vorgesehenen Kriterien dazu führe, dass zwei Angebote gleichwertig seien, komme als Alternative zu einem Losentscheid nur die Wiederholung der Ausschreibung in Betracht. Das aber widerspreche dem Sinne der Vorschriften über die Vergabe, bei Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften in einem Verfahren zu einem Ergebnis zu gelangen.
Dass die Antragsgegnerin hier – wie die Vergabekammer meint – ein geringeres Maß an Merkmalen in ihre Leistungsbeschreibung und Wertungsmatrix aufgenommen hätte, als erforderlich gewesen wäre, um die von ihr benötigte Leistung abschließend zu beschreiben, sei nicht ersichtlich. Erstens handele es sich mit Blick auf die Lieferung von Streusalz nicht um die Nachfrage nach einem Gegenstand, der zur Erfüllung seines Zwecks einer ausdifferenzierten Beschreibung bedürfe. Zweitens dürfe Auftraggebern nicht abverlangt werden, über die für die Beschreibung der nachgefragten Leistung notwendigen Kriterien hinaus weitere Kriterien aufzunehmen, um durch eine solche Vermehrung der Kriterien den Eintritt einer Pattsituation nach Auswertung anhand des Kriterienkatalogs unwahrscheinlicher zu machen. Dafür spreche insbesondere auch der Umstand, dass nach allgemeiner Auffassung sogar ein reiner Preiswettbewerb für zulässig erachtet werde. Drittens komme dem Auftraggeber das Recht der Bedarfsbestimmung zu. Viertens sei nach der Erfahrung und der geringen Anzahl an Losentscheiden auch nicht zu befürchten, dass Auftraggeber eine „Flucht in die Losentscheidung“ anträten.
Auch sei die konkrete Art der Durchführung des Losentscheids – entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin – nicht zu beanstanden. Aus den übergeordneten Vergabegrundsätzen folge, dass das Verfahren für den Losentscheid so zu wählen sei, dass ein nicht beeinflusstes Zufallsergebnis herbeigeführt werde, für alle Teilnehmer am Losentscheid also die gleichen Chancen bestünden, und ein hinreichender, den Umständen nach angemessener Schutz vor Manipulation bestehe, wobei eine solche nicht völlig ausgeschlossen werden könne. Das vorliegend gewählte Verfahren erfülle diese Anforderungen.
Schlussendlich greife auch die Rüge der mangelhaften Dokumentation der Durchführung des Losentscheids nicht durch. Zunächst sei die Antragsgegnerin nicht verpflichtet gewesen, schon in den Vergabeunterlagen mitzuteilen, in welcher Weise sie bei der Gleichbewertung mehrerer Angebote das Los entscheiden lassen würde. Insoweit sei auch in den Fällen, in denen das Gesetz ausdrücklich einen Losentscheid zulasse, wie etwa in § 75 Abs. 6 VgV, nicht bestimmt, in welcher Weise der Losentscheid vorzunehmen sei. Die Dokumentation im Vergabevermerk sei „zweigliedrig“ vorzunehmen. Vorab sei festzuhalten, wie der Losentscheid durchgeführt werden soll. Anschließend sei dessen tatsächliche Durchführung anhand dieser Vorgabe zu protokollieren.
Fazit
Aus der Entscheidung des OLG Hamburg folgen gleich mehrere aufschlussreiche Erkenntnisse:
Die Durchführung eines Losentscheids ist in dem Fall, in dem mehrere Angebote die Voraussetzungen des wirtschaftlichsten Angebots erfüllen, vergaberechtlich zulässig. Der Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet, die Gestaltung der Zuschlagskriterien so vorzunehmen, dass das Risiko des Vorliegens mehrerer gleich bewerteter Angebote möglichst gering ist. Das Losverfahren ist so zu gestalten, dass für alle Teilnehmer am Losentscheid die gleichen Chancen bestehen und ein angemessener Schutz vor Manipulation sichergestellt ist. Die Dokumentation hat dergestalt zu erfolgen, dass vorab festgehalten wird, wie der Losentscheid durchgeführt werden soll, und anschließend dessen tatsächliche Durchführung anhand dieser Vorgabe protokolliert wird.
Auch wenn das OLG Hamburg den Losentscheid für alternativlos befunden hat, wenn mehrere Angebote anhand der Zuschlagskriterien gleich bewertet sind, sollte der Auftraggeber den Losentscheid aus Gründen der Vorsicht für dieses Szenario ausdrücklich in den Vergabeunterlagen vorsehen. Denn anders als etwa in § 75 Abs. 6 VgV hinsichtlich des „begrenzenden Teilnahmewettbewerbs“ fehlt es insoweit an einer gesetzlichen Regelung für den Losentscheid.
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