Das OLG Düsseldorf hat die vorherrschende Auffassung bekräftigt, dass auch bei einem VOB-Vertrag eine Kündigung aus wichtigem Grund analog § 314 BGB in Betracht kommt. Hauptstreitpunkt der Parteien im entschiedenen Fall war die Frage nach der Vertragsgemäßheit des Baugrunds, so dass das OLG zugleich Gelegenheit hatte, die Rechte und Pflichte der Vertragspartner zur Klärung des Baugrunds im Vorfeld einer Vergabe detaillierter abzustecken.
(OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2015 - I-21 U 136/14)
Zum Sachverhalt
Die Klägerin war von der Beklagten mit dem Bau eines Klärwerks beauftragt.
Dem zugrunde liegenden Bauvertrag war eine Ausschreibung vorausgegangen. In den Ausschreibungsunterlagen hatte die Beklagte unter anderem ein von ihr beauftragtes Bodengutachten vorgelegt. Das Gutachten gibt u. a. an, der Fels könne vermutlich ohne Lockerungssprengungen gelöst werden, und als Hinweis zur Bauausführung die Empfehlung, eine Baugrubensicherung mittels verankerter Bohrpfahlwand herzustellen. Das Leistungsverzeichnis folgte dieser Empfehlung.
Nach Aufnahme ihrer Arbeiten zeigte die Klägerin alsbald eine Behinderung gemäß § 6 VOB/B an und teilte mit, der ausgeschriebene Verbau mit Bohrpfahlwänden sei jedenfalls nicht ohne Weiteres möglich. Die Beklagte wies die Behinderungsanzeige zurück. In der Folgezeit verzögerten sich die Arbeiten wegen Auseinandersetzungen der Parteien, weiteren Behinderungsanzeigen und deren Zurückweisung, der Berechtigung von Nachtragsangeboten und deren Vergütung.
Schließlich stellte die Klägerin die Bohrtätigkeit ein. Die Klägerin rügte gegenüber der Beklagten u. a., dass im Bodengutachten zwingende Angaben über die Gesteinsfestigkeit fehlten. Überdies seien Bodenkennwerte nur nach der DIN 18300 angegeben worden, obwohl diese DIN nur für Erdarbeiten gelte. Angaben nach der für Bohrarbeiten maßgeblichen DIN fehlten vollständig. Die Beklagte wies die angezeigte Baubehinderung weiterhin als unbegründet zurück.
Die Klägerin unterbreitete schließlich ein Nachtragsangebot bezogen auf Lockerungssprengungen. Die Beklagte lehnte die Erteilung von Nachträgen ab. Sie forderte die Klägerin auf, die geschuldeten Arbeiten wieder aufzunehmen, einschließlich etwa erforderlicher Sprengarbeiten. Sie drohte zugleich an, den Vertrag zu kündigen. Nachdem die gesetzte Frist fruchtlos verstrich, setzte die Beklagte der Klägerin letztmalig eine Nachfrist und kündigte nach deren Verstreichen den Vertrag.
Die Beklagte beauftragte sodann Drittfirmen, die das Bauvorhaben zu Ende führten.
Die Klägerin verfolgte mit ihrer Klage die Vergütung für erbrachte und nicht erbrachte Leistungen nach § 649 BGB. Die Beklagte hatte widerklagend Ersatz für Mehraufwendungen im Zuge der Drittbeauftragung verlangt.
Die Vorinstanz hat die Klage im Wesentlichen abgewiesen und auf die Widerklage die Klägerin zur Zahlung verurteilt.
Entscheidung und rechtlicher Kontext
Die hiergegen eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg. Das OLG Düsseldorf hat sich der Rechtsauffassung der Vorinstanz angeschlossen.
Nach Auffassung des OLG Düsseldorf war die Beklagte zur Kündigung des mit der Klägerin geschlossenen Vertrags analog § 314 BGB berechtigt. Eine nach § 314 BGB gerechtfertigte Kündigung hat u. a. zur Folge, dass dem Auftragnehmer nur ein Anspruch auf Vergütung für erbrachte Leistungen zusteht, nicht aber eine Vergütung nicht erbrachter Leistungen.
Auch Verträge, auf die die VOB/B Anwendung finden, können nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB gekündigt werden, insbesondere schließen die weitergehenden Regelungen der VOB/B zur außerordentlichen Kündigung das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB nicht aus. Ein wichtiger zur Kündigung berechtigender Grund liegt nach § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrages nicht zugemutet werden kann. Regelmäßig müssen hierzu die Gründe, auf die sich die Kündigung stützt, dem Risikobereich des Kündigungsgegners entstammen.
Vorliegend folgte der wichtige Grund zur Kündigung daraus, dass die Klägerin mit ihrem Verhalten die Fortsetzung des Vertrags unzumutbar gemacht hat, da sie die ihr obliegende Kooperationspflicht verletzt hatte. Selbst wenn die Behinderungsanzeigen und Nachtragsverlangen der Klägerin berechtigt gewesen wären, hätte sie aufgrund ihrer vorangegangenen Pflichtverletzungen die Störungen im Bauablauf zunächst selbst mit erhöhten eigenen Anstrengungen überwinden und die Vergütungsfrage zurückstellen müssen.
Eine Kooperationspflicht mit solchen hohen Anforderungen war anzunehmen, weil die Klägerin es maßgeblich mitzuverantworten hatte, dass Behinderungen im Bauablauf durch die Festigkeit des Felsens eingetreten sind. Die Klägerin hätte aufgrund ihrer Fachkunde noch im laufenden Ausschreibungsverfahren erkennen können und müssen, dass die Aussagen des Bodengutachtens keine gesicherte Grundlage für die Bohrbarkeit des Felsens liefern können. Es hätte ihr daher oblegen, die Beklagte noch vor Auftragsvergabe auf die fehlenden Informationen im Gutachten hinzuweisen. Es war nämlich bereits in der Ausschreibungsrunde offensichtlich, dass das Bodengutachten keine explizite Aussage zur Bohrbarkeit enthielt und auch nicht die hierfür einschlägige DIN in die Prüfungen einbezog. Dem Gutachten ließ sich daher nur entnehmen, dass Bodenarbeiten nicht auf Schwierigkeiten stoßen würden, dies aber nicht zwingend auf Bohrarbeiten übertragbar sei. Ein Fachunternehmen hätte daher aufgrund des unzureichenden Bodengutachtens die Störungsanfälligkeit des Bauablaufes erkennen können und müssen.
Die Klägerin konnte sich auch nicht damit freizeichnen, ihr hätten die Angaben über Bodenarbeiten genügt, um daraus Rückschlüsse auf die anstehenden Bohrarbeiten zu ziehen. Zwar war das Gutachten wegen der fehlenden Beschreibung zur Bohrbarkeit nicht ausreichend, um formalen Anforderungen der VOB/A zu genügen, nach denen der Auftraggeber vollständig und umfassend die maßgeblichen Umstände für das Vorhaben offenlegen muss. Doch war das Fehlen der Informationen evident, so dass die Klägerin nicht darauf vertrauen konnte, alle bauwesentliche Information so ausreichend detailliert erhalten zu haben, dass sie als Bewerber die Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. Glaubt ein Auftragnehmer - wie im vorliegenden Fall die Klägerin - von Angaben über Erdarbeiten auf die Bohrbarkeit schließen zu können, übernimmt er damit zugleich das Risiko, das in dieser Schlussfolgerung liegt. Schließt er einen Vertrag auf der Grundlage seiner Schlussfolgerung, die er überdies nicht offen legt, geht es zu seinen Lasten, wenn sich seine Annahmen im Nachhinein als falsch erweisen. Stellt sich heraus, dass er eine Leistung schuldet, die er so infolge der Unklarheit oder Unvollständigkeit der Leistungsbeschreibung nicht einkalkuliert hat, kann er von den Gerichten keine Korrektur seiner fehlerhaften Kalkulation verlangen.
Ein Auftragnehmer kann diese nachteilige Rechtsfolge vermeiden, indem er bei erkennbaren Lücken und Unklarheiten Zweifelsfragen vor Abgabe des Angebots klärt. Unterlässt er dies, muss er sich an den von ihm angebotenen Vertrag halten lassen.
Verweigert der Auftragnehmer dennoch die Leistungen, ist der Auftraggeber zur Kündigung des Vertrags aus wichtigem Grund berechtigt. Nach einer Kündigung ist der Auftraggeber gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B überdies berechtigt, die nicht vollendeten Teile der Leistung zulasten des Auftragnehmers durch einen Dritten ausführen zu lassen. Er hat dann einen Anspruch auf Ersatz desjenigen Betrags, den er wegen der Beauftragung eines weiteren Unternehmers über den Preis des bisherigen Bauvertrags hinaus ausgeben muss. Maßgeblich hierbei sind die tatsächlich angefallenen Mehrkosten bei unveränderter Bauausführung entsprechend dem ursprünglich geschuldeten Leistungsinhalt.
Fazit
Die Entscheidung reiht sich in eine gefestigte Rechtsprechung zum Werkvertragsrecht ein, nach der zur vereinbarten Beschaffenheit eines Werkes alle Eigenschaften gehören, die nach der Vereinbarung der Parteien den geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen. Grundsätzlich muss der Auftragnehmer diejenigen Leistungen unabhängig von ihrem Aufwand erbringen, die zur Herbeiführung dieses Erfolgs erforderlich sind. Hat er Zweifel, muss er diese vor Vertragsschluss kommunizieren, sonst kann es passieren, dass seine Zweifel zu seinen Lasten gehen.
Dies zeigt, wie wichtig es für einen Auftragnehmer ist, sämtliche Zweifelsfragen zu klären, die für die Herstellung des Bauwerks wesentlich sein können. Selbst wenn andere Gewerke in den Auftrag eingebunden sind, die spezialisiert bestimmte Fragen prüfen sollen, muss der eigene Auftrag für sich genommen „wasserdicht“ sein, um unschöne Überraschungen zu vermeiden. Der Auftragnehmer darf sich nicht darauf verlassen, dass ein Gutachten alle wesentlichen Informationen zum Baugrund enthält, wenn z. B. durch fehlende Verweise auf bestimmte DIN-Normen hinreichend deutlich ist, dass bestimmte Teilbereiche, z. B. zur konkreten Ausführungsart, bislang nicht geprüft sind.
Gerade in einer laufenden Ausschreibung sollte diesem Risiko durch Fragen begegnet werden. Der BGH hat zwar in einer früheren Entscheidung ausdrücklich klargestellt, dass es keine Auslegungsregelung gebe, wonach ein Vertrag mit einer unklaren Leistungsbeschreibung allein deshalb immer zu Lasten des Auftragnehmers auszulegen sei, weil dieser die Unklarheiten vor der Abgabe seines Angebots nicht aufgeklärt habe (BHG, Urt. v. 13.03.2008, VII ZR 194/06). Er hat aber gleichzeitig anerkannt, dass, wenn sich nach der gebotenen Vertragsauslegung herausstelle, dass der Auftragnehmer nach dem Vertrag eine Leistung schulde, die er infolge der Unklarheit oder Unvollständigkeit der Leistungsbeschreibung nicht einkalkuliert habe, er von den Gerichten keine Korrektur seiner für ihn nachteiligen Vertragsentscheidung verlangen könne. Denn der Auftragnehmer dürfe ein erkennbar lückenhaftes Leistungsverzeichnis nicht einfach hinnehmen, sondern müsse sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe des Angebots klären. Nur wenn die Beschreibung der Leistung im Leistungsverzeichnis ausgehend vom Empfängerhorizont keinen Anhaltspunkt für Unklarheiten gibt und sich erst nachträglich die Fehlerhaftigkeit des Leistungsverzeichnisses herausstellt, kann der Auftragnehmer Nachträge stellen und höhere Preise verlangen (vgl. zu einem solchen Fall OLG Koblenz, Urt. v. 24.02.2011, 2 U 777/09).
Genau dies war aber vorliegend nach Ansicht des OLG Düsseldorf nicht der Fall. Vielmehr schloss das Gericht gerade aus dem Umstand, dass zwar kein Bieter Fragen zum Leistungsverzeichnis gestellt hatte, wohl aber alle anderen Bieter deutlich teurer kalkuliert hatten als der spätere Auftragnehmer, dass die Mitbewerber die Unklarheiten der Leistungsbeschreibung erkannt und entsprechend vom größtmöglichen Aufwand ausgegangen sein könnten.
Das OLG Düsseldorf macht damit deutlich, dass ein Auftragnehmer beim Bauvertrag als Fachunternehmen sehr hohe Anforderungen erfüllen muss, um bei Störungen im Bauablauf eine nachträgliche Vergütung zu erzielen.