Die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu Massenentlassungsanzeigen steht auf dem Prüfstand und könnte sich schon bald in eine arbeitgeberfreundlichere Richtung entwickeln.
Zum Hintergrund
In Abhängigkeit von der Anzahl der Mitarbeiter eines Betriebes sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, wenn sie einen bestimmten Schwellenwert an zu entlassenden Arbeitnehmern innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen erreichen, die entsprechenden Entlassungen anzuzeigen. Diese Massenentlassungen müssen gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt werden und verpflichten den Arbeitgeber, zahlreiche Angaben (u. a. Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, Gründe für Entlassung, Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer etc.) zu machen, bevor die Kündigungen erklärt werden können.
Bisherige Rechtsprechung des BAG
Das Bundesarbeitsgericht ging mit seiner bisher gefestigten Rechtsprechung davon aus, dass das Fehlen einzelner Angaben sowie die Fehlerhaftigkeit der Angaben dazu führen, dass nicht nur die Anzeige unheilbar rechtsunwirksam ist, sondern auch die ausgesprochenen Kündigungen nichtig sind. Eine Ausnahme zu dem Grundsatz der Folge der Unwirksamkeit machte das BAG bislang nur bei den sog. Soll-Angaben, wozu das Geschlecht, das Alter, der Beruf und die Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer zählen. Das Fehlen dieser Angaben führt im Gegensatz zu den übrigen erforderlichen Angaben („Muss-Angabe“) nicht zur Unwirksamkeit der Anzeige. Dementsprechend musste bislang in Fällen der Fehlerhaftigkeit oder des Fehlens einzelner Angaben sowohl die Massenentlassung erneut angezeigt und zudem auch die Kündigungen neu ausgesprochen werden. Dies führte nicht nur zu deutlich mehr Aufwand für den Arbeitgeber, sondern auch dazu, dass Entlassungstermine sich aufgrund der Einhaltung von Kündigungsfristen zwangsläufig verschoben. Hinzu kommt, dass sich die Fehlerhaftigkeit regelmäßig auch erst im laufenden Rechtsstreit herausstellt, sodass zwischen der erklärten nichtigen Kündigung und einer erneuten Kündigung gut sechs Monate oder mehr verstreichen können.
Aktuelle Verfahren
Derzeit muss der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts über mehrere Fälle fehlerhafter Massenentlassungen entscheiden und nahm dies zum Anlass, die Zwangsläufigkeit der Nichtigkeit anzuzweifeln. In diesem Zuge ersuchte das BAG im vergangenen Jahr den Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage, welchem Zweck bestimmte Regelungen der europäischen Massenentlassungs-Richtlinie dienten.
Daraufhin hat der EuGH mit Urteil vom 13. Juli 2023 entschieden, dass die Übermittlung der fraglichen Informationen lediglich Informations- und Vorbereitungszwecken diene und nicht den Zweck habe, dem von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer einen Individualschutz zu gewähren. Konsequenz dieser Entscheidung des EuGH wäre bzw. ist, dass ein Verstoß gegen die Formvorschriften zur Massenentlassung nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit der Kündigung des Arbeitnehmers führt.
Änderung der Rechtsprechung des BAG
Die vorgenannte Entscheidung hat noch keine unmittelbare Änderung der Rechtsprechung hervorgebracht, da zunächst die Entscheidung des BAG in dem Ausgangsfall getroffen werden muss. Mit einer Entscheidung des BAG, die der des EuGH folgen würde, würde sich der erkennende Senat in Widerspruch zu den vorherigen Entscheidungen eines anderen Senats (2. Senat) setzen. Deshalb wird derzeit intern ein Kurswechsel der Rechtsprechung geprüft.
Zu diesem Zwecke hat der zweite Senat zuletzt, nämlich am 1.Februar 2024, den Europäischen Gerichtshof erneut um die erforderliche Beantwortung der Fragen zur Auslegung der den §§ 17 ff. KSchG zugrundeliegenden Richtlinien ersucht.
Diese und damit die Entscheidung des ausgesetzten Ausgangsverfahren bleiben abzuwarten.
Ausblick
Sollte der erkennende Senat die Rechtsprechung tatsächlich dahingehend ändern, dass nicht jeder Fehler zwangsläufig zur Nichtigkeit der Kündigung führt, würde dies zumindest eine deutliche Risikominimierung für betroffene Arbeitgeber bedeuten und zu mehr Rechtssicherheit führen.
Gerne informieren wir Sie über die weiteren Entwicklungen zu diesem Thema und beraten Sie schon heute mit größter Sorgfalt zum Thema Massenentlassungen. Sprechen Sie uns gerne an!