Kommt ein wirksamer Interessenausgleich nicht zustande, muss der Arbeitgeber vor der tatsächlichen Durchführung einer Betriebsänderung alle Möglichkeiten einer Einigung mit dem Betriebsrat ausschöpfen und erforderlichenfalls die Einigungsstelle anrufen. Von dieser Pflicht wird der Arbeitgeber auch nicht dadurch befreit, dass der Betriebsrat mit der geplanten Maßnahme einverstanden ist und der Betriebsratsvorsitzende dies dem Arbeitgeber formlos mitteilt. Kommt der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nach, ist er den Arbeitnehmern, die im Rahmen einer Betriebsänderung entlassen werden, nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG zum Nachteilsausgleich (Geldzahlung) verpflichtet.
Praxistipp
Plant ein Arbeitgeber die Durchführung einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG, so ist ein Interessenausgleich abzuschließen, der nach § 112 Abs. 1 BetrVG schriftlich niederzulegen ist. Zur Vermeidung von Nachteilsausgleichsansprüchen einer Vielzahl von Arbeitnehmern ist daher selbst bei einem ausdrücklichen mündlichen Einverständnis des Betriebsrates zwingend darauf zu achten, dass vor Durchführung einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG ein Interessenausgleich, gegebenenfalls im Einigungsstellenverfahren, abgeschlossen wird.
Die Einzelheiten
In dem entschiedenen Fall wollte der beklagte Arbeitgeber eine neue Organisationsstruktur im Unternehmen einführen. Geplant war unter anderem, eine komplette Hierachieebene zu streichen und die betroffenen Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen. Den Regionalleitern des Arbeitgebers sollten Änderungskündigungen ausgesprochen und eine Tätigkeit als Pharmareferent angeboten werden. Nachdem der Arbeitgeber dieses Konzept der Vorsitzenden des Betriebsrates vorgestellt und sie gefragt hatte, ob sie Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan für erforderlich halte, erklärte die Betriebsratsvorsitzende, dass sie hierfür keine Notwendigkeit sehe. Dem Kläger, der als Regionalleiter beschäftigt war, sprach der Arbeitgeber eine Kündigung aus und bot ihm eine Weiterbeschäftigung als Pharmareferent an. Der Kläger lehnte dieses Angebot einer Weiterbeschäftigung ab und machte mit seiner Klage die Zahlung eines Nachteilsausgleichsanspruchs nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG geltend. Zur Begründung führte er aus, dass die Betriebsänderung durchgeführt worden sei, ohne dass der Arbeitgeber zuvor einen Interessenausgleich versucht habe.
Das BAG hat dem Kläger einen Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichsanspruchs zuerkannt. Der Arbeitgeber ist vor der tatsächlichen Durchführung der Betriebsänderung verpflichtet, alle Möglichkeiten einer Einigung über den Interessenausgleich auszuschöpfen. Ihn trifft dabei die Obliegenheit, erforderlichenfalls auch die Einigungsstelle anzurufen. Dies gilt nach der Auffassung des BAG selbst dann, wenn der Betriebsrat mit der Betriebsänderung einverstanden ist, es für einen Interessenausgleich jedoch an der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform fehlt. Hieran soll sich nach dem BAG auch dann nichts ändern, wenn der Betriebsratvorsitzende dem Arbeitgeber mündlich mitteilt, dass er keine Notwendigkeit für die Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich sehe. Auch wenn der Betriebsrat mit der Betriebsänderung einverstanden ist, ist die Einigung schriftlich niederzulegen und von beiden Betriebsparteien zu unterschreiben. Kommt eine entsprechende Einigung nicht zustande, ist der Arbeitgeber gegebenenfalls verpflichtet, die Einigungsstelle anzurufen, um eine Einigung herbeizuführen.
Seine Auffassung hat das BAG damit begründet, dass die Einhaltung des Schriftformerfordernisses der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit diene und seine Bedeutung nicht nur für die Betriebsparteien, sondern vor allem auch für die betroffenen Arbeitnehmer habe.
Dem Arbeitnehmer wurde im konkreten Fall ein Nachteilsausgleichsanspruch zuerkannt, da seine Entlassung auf der Umsetzung der geplanten Betriebsänderung beruhte.