Nahezu täglich werden neue Maßnahmen getroffen, um die weitere Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) einzudämmen. Bisherige Maßnahmen und Appelle, soziale Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, brachten nicht den gewünschten Erfolg. Während nun in Bayern bereits Ausgangsbeschränkungen beschlossen wurden, zögern andere Bundesländer noch, derart drastische Maßnahmen zu ergreifen. Zunehmend werden jedoch bundesweit Läden des Einzelhandels geschlossen. Einige der betroffenen Unternehmen kämpfen bereits jetzt um ihre Existenz, zahlreiche weitere werden folgen. Vor diesem Hintergrund stellen sich viele Unternehmen die Frage, ob sie aufgrund der behördlich angeordneten Schließungen von Filialen Entschädigung oder Schadensersatz gegenüber staatlichen Stellen geltend machen können.
Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz
Einen Entschädigungsanspruch bei Maßnahmen des Infektionsschutzes sieht zunächst § 65 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz („IfSG“) vor. Voraussetzung ist nach dessen eindeutigem Wortlaut eine Maßnahme nach § 16 IfSG oder § 17 IfSG. Dabei handelt es sich um Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten. Daneben sieht das IfSG Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vor. Da zum Zeitpunkt der Ladenschließungen das neuartige Coronavirus wie auch die dadurch ausgelöste Erkrankung COVID-19 bereits aufgetreten waren, handelt es sich dabei richtigerweise um Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Rechtsgrundlage hierfür ist § 28 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 IfSG. Auf diese Rechtsgrundlage hatten sich auch die Behörden in den bislang entschiedenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu Maßnahmen aufgrund der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus gestützt; die Verwaltungsgerichte haben die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen jeweils bestätigt (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 14.03.2020, 16 K 1466/20, juris; VG Minden, Beschluss vom 12.03.2020, 7 L 212/20, juris; VG Bayreuth, Beschluss vom 11.03.2020, B 7 S 20.223, juris). Da die Anordnungen zu Ladenschließungen mithin nicht auf § 16 IfSG oder § 17 IfSG beruhen, scheidet ein Anspruch gemäß § 65 Abs. 1 IfSG aus.
Denkbar ist allenfalls eine analoge Anwendung des § 65 Abs. 1 IfSG. Ob die danach erforderliche planwidrige Regelungslücke vorliegt, begegnet allerdings erheblichen Bedenken. Denn das IfSG enthält detailliert ausgestaltete Entschädigungsregelungen – neben § 65 IfSG insbesondere in § 56 IfSG – und nimmt dort eine klare Differenzierung zwischen Maßnahmen zur Verhütung und zur Bekämpfung vor. Es spricht Überwiegendes dafür, dass der Gesetzgeber diese Differenzierungen bewusst vorgenommen hat und sich dabei von dem Gedanken leiten ließ, dass bei bereits ausgebrochenen Krankheiten von dem Einzelnen weitergehende Eingriffe entschädigungslos hinzunehmen sind als vor Ausbruch dieser Krankheiten.
Eine planwidrige Regelungslücke unterstellt, dürfte es auch an der für eine Analogie erforderlichen vergleichbaren Interessenlage fehlen. Zwar sind die Folgen der behördlichen Maßnahmen für das von behördlich angeordneten Ladenschließungen betroffene Unternehmen im Ergebnis dieselben, unabhängig davon, ob eine Maßnahme zur Verhütung oder zur Bekämpfung übertragbarerer Krankheiten erfolgt. Die in den Entschädigungsansprüchen des IfSG vorgenommene Differenzierung zwischen der Verhütung und der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dürfte aber – wie erwähnt – bewusst erfolgt sein, um den unterschiedlichen Umständen vor und nach Auftreten übertragbarer Krankheiten Rechnung zu tragen.
Ebenso scheidet ein Anspruch gemäß § 56 Abs. 1 oder Abs. 4 IfSG aus. Ein Anspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG kommt nur in Betracht für Personen, die von beruflichen Tätigkeitsverboten aufgrund des IfSG betroffen sind. An einen solchen bestehenden Anspruch knüpft auch § 56 Abs. 4 IfSG an.
Rückgriff auf allgemeines Ordnungsrecht
Neben dem IfSG kommt das allgemeine Ordnungsrecht als Grundlage für Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche von Unternehmen, die von behördlich angeordneten Ladenschließungen betroffen sind, in Betracht.
Entschädigungsansprüche des allgemeinen Ordnungsrechts bleiben grundsätzlich neben denen des Infektionsschutzrechts anwendbar. Insoweit wird in der Gesetzesbegründung zu § 65 Abs. 1 IfSG darauf verwiesen, die Vorschrift entspreche im Wesentlichen der Vorgängerregelung im vormaligen Bundes-Seuchengesetzes („BSeuchG“) (vgl. BT-Drs. 14/2530, Seite 89). Dort wiederum wurde – u. a. zu der Vorgängerregelung des heutigen § 65 Abs. 1 IfSG – ausdrücklich ausgeführt, dass die Entschädigungsvorschriften keine ausschließliche Regelung darstellten (vgl. BT-Drs. 3/1888, Seite 27). Soweit in der Literatur ausgeführt wird, dass das Infektionsschutzrecht als besonderes Gefahrenabwehrrecht zu qualifizieren sei, sollen die Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes zwar das allgemeine Ordnungsrecht verdrängen, aber zugleich einen subsidiären Rückgriff auf die ordnungsrechtlichen Vorschriften, namentlich über sog. Nichtstörer, erlauben. Soweit teilweise eine Zuordnung des Infektionsschutzrechts zum besonderen Gefahrenabwehrrecht abgelehnt wird, bestünden die Regelungen ohnehin nebeneinander (vgl. zum Ganzen: Engels, DÖV 2014, 464 (465)).
Denkbar sind damit im Fall rechtmäßig angeordneter Ladenschließungen zunächst Entschädigungsansprüche aufgrund einer Inanspruchnahme der betroffenen Unternehmen als Nichtstörer (z. B. nach § 39 Abs. 1 lit. a) Ordnungsbehördengesetz NRW („OBG NRW“)). Im Rahmen solcher Ansprüche wird regelmäßig zu prüfen sein, ob das betroffene Unternehmen tatsächlich als Nichtstörer anzusehen ist oder ob dieses nicht Zweckveranlasser und damit „mittelbarer“ Störer sein könnte. Nach der Rechtsfigur des Zweckveranlassers kann ein als Veranlasser auftretender Hintermann (mit)verantwortlich sein, wenn dessen Handlung zwar nicht die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschreitet, aber mit der durch den Verursacher unmittelbar herbeigeführten Gefahr oder Störung eine natürliche Einheit bildet (vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 26.09.2019, 11 B 726/19). Denkbar ist es, dass Behörden damit argumentieren, die an sich neutrale Handlung der Öffnung von Ladengeschäften gebe Anlass zu Publikumsverkehr, mit dem die weitere Ausbreitung des neuartigen Coronavirus ermöglicht bzw. beschleunigt werde. Sieht man das betroffene Unternehmen danach gleichwohl als Nichtstörer an, stellen sich je nach Landesrecht insbesondere die Fragen eines nachweisbaren kausalen Schadens und des Nichtbestehens anderweitiger Ersatzansprüche (vgl. etwa § 39 Abs. 1 und 2 OBG NRW).
Sind die angeordneten Ladenschließungen rechtswidrig – was im jeweiligen Einzelfall zu prüfen ist – kommt ein Entschädigungsanspruch nach dem jeweiligen Ordnungsrecht auch dann in Betracht, wenn das betroffene Unternehmen nicht als Nichtstörer anzusehen ist (z. B. nach § 39 Abs. 1 lit. b) OBG NRW).
Allgemeines Staatshaftungsrecht als Rettungsanker?
In vielen Fällen wird ein Anspruch des von Ladenschließungen betroffenen Unternehmens nach den genannten Rechtsgrundlagen ausscheiden. Dann stellt sich die Frage, ob das allgemeine Staatshaftungsrecht ein letzter Rettungsanker sein kann.
Ist die angeordnete Ladenschließung rechtmäßig, könnte man an einen Anspruch auf Grundlage des allgemeinen Aufopferungsanspruchs denken. Dieser zielt allerdings nur auf die Entschädigung für hoheitliche Eingriffe in nicht vermögenswerte Rechtsgüter wie Gesundheit, Freiheit oder körperliche Unversehrtheit. Eine Entschädigung für wirtschaftliche Einbußen infolge der angeordneten Ladenschließungen scheidet aus.
Weiter kann man bei Rechtmäßigkeit der Maßnahme ein Anspruch aus einem enteignenden Eingriff erwägen. Danach ist eine Entschädigung zu gewähren, wenn eine Eigentumsposition im Sinne des Art. 14 GG durch Nebenfolgen an sich rechtmäßigen Verwaltungshandelns unmittelbar beeinträchtigt wird und dem Betroffenen dadurch ein Sonderopfer auferlegt wird. Bei Umsatzeinbußen infolge von Ladenschließungen handelt es sich jedoch zumindest nicht um die typischerweise von diesem Anspruch umfassten nicht vorhersehbaren Zufalls- bzw. Unfallschäden.
Zweifelhaft ist zudem, ob angeordnete Ladenschließungen einen Eingriff in eine Eigentumsposition darstellen. Denkbar ist ein Eingriff in das sog. Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Ob dieses Recht als Eigentumsposition von Art. 14 GG erfasst ist, ist allerdings umstritten. Jedenfalls soll nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Schutz des Gewerbebetriebs, selbst wenn dieser als Eigentum anerkannt wird, nicht weiter reichen als der Schutz seiner Grundlagen (vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.07.1991, 1 BvR 868/90, juris, Rdn. 11). Zumindest die einzelnen, als solche unter den Begriff des Eigentums fallenden Unternehmensbestandteile kommen aber als geschützte Eigentumspositionen in Betracht, beispielsweise die Räumlichkeiten, in denen sich die jeweiligen Ladengeschäfte befinden.
Ein Anspruch aus enteignendem Eingriff erfordert darüber hinaus, dass dem betroffenen Unternehmen ein Sonderopfer abverlangt wird. Das ist denkbar, wenn die Einwirkungen auf das Eigentum die Sozialbindungsschwelle überschreiten, also eine besondere Schwere aufweisen oder einen Gleichheitsverstoß darstellen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13.09.2018, III ZR 339/17, juris, Rdn. 26). Ein Sonderopfer unter dem Gesichtspunkt eines Gleichheitsverstoßes begegnet insofern Bedenken, als die Anordnung von Ladenschließungen sich nicht auf einzelne Unternehmen beschränkt, sondern regelmäßig sämtliche Unternehmen einer Branche gleichermaßen trifft. Für die Frage, ob ein Sonderopfer unter dem Gesichtspunkt der besonderen Schwere zu bejahen ist, werden u. a. die Dauer der angeordneten Ladenschließungen und die konkret dadurch erlittenen Beeinträchtigungen eine Rolle spielen.
Ist die angeordnete Ladenschließung rechtswidrig, ist ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff denkbar. Voraussetzungen hierfür sind jedoch wiederum u. a. ein Eingriff in eine Eigentumsposition im Sinne des Art. 14 GG und ein Sonderopfer des Anspruchstellers. Insofern treten auch hier die bereits erwähnten Schwierigkeiten auf.
Denkbar ist bei einer Rechtswidrigkeit der Anordnung der Ladenschließungen ferner ein Anspruch aus Amtshaftung gemäß Art. 34 Satz 1 GG i. V. m. § 839 BGB. Fraglich wird hier sein, ob mit den Anordnungen zu Ladenschließungen im jeweiligen Einzelfall Amtspflichten verletzt wurden. Dabei ist insbesondere bei den Amtspflichten zu rechtmäßigem Handeln und fehlerfreier Ermessensausübung sowie zu verhältnismäßigem Handeln zu berücksichtigen, dass das Infektionsschutzrecht dem Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter dient und damit erhöhte Anforderungen an eine Amtspflichtverletzung zu stellen sein dürften. Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Infektionsschutzrecht – insbesondere auch angesichts der zwingend erforderlichen Prognoseerwägungen zur Entwicklung weiterer Infektionen – ein weites Ermessen einräumt. Bejaht man eine Amtspflichtverletzung, stellt sich als weitere Schwierigkeit die Feststellung der erforderlichen Drittbezogenheit der verletzten Amtspflicht.
Sollten Amtshaftungsansprüche aufgrund von angeordneten Ladenschließungen nach näherer Prüfung in Betracht kommen, sollte ein Vorgehen gegen die jeweilige Anordnung genau geprüft und zur „Sicherung“ etwaiger Amtshaftungsansprüche gegebenenfalls rechtzeitig Rechtsschutz gesucht werden. Ansonsten droht der Verlust von Ansprüchen aus Amtshaftung. Ein Vorgehen nach dem Prinzip „Dulde und liquidiere“ schließt das Gesetz ausdrücklich aus (vgl. 839 Abs. 3 BGB).
Fazit
Ob Unternehmen, die gegenwärtig von Anordnungen zu Ladenschließungen zur Begrenzung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus betroffen sind, Ansprüche auf Entschädigung bzw. Schadensersatz aufgrund dieser Maßnahmen gegenüber staatlichen Stellen geltend machen können, begegnet jedenfalls erheblichen Bedenken. Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass solche Ansprüche in Einzelfällen bestehen können. Insofern wird es stets auf eine genaue Prüfung der jeweiligen Umstände ankommen.
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