Praxistipp
Insbesondere im Zusammenhang mit der Betriebsratsanhörung ist es von großer Bedeutung, dass der Arbeitgeber entscheidet, auf welchen Kündigungsgrund er die beabsichtigte Kündigung stützen will. Kündigungsgründe, die dem Betriebsrat im Rahmen des Anhörungsverfahrens gemäß § 102 BetrVG nicht mitgeteilt worden sind, können vom Arbeitgeber im Rahmen des späteren Kündigungsschutzverfahrens nicht zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogen werden. Deshalb sollte der Betriebsrat in Fällen des Rückfalls eines alkoholkranken Arbeitnehmers stets vorsorglich sowohl zu einer verhaltensbedingten als auch zu einer personenbedingten Kündigung angehört werden.
Einzelheiten
Der klagende Arbeitnehmer war Elektromonteur. Ihm war vom Arbeitgeber außerordentlich fristlos gekündigt worden, weil er aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit für eine Dauer von mehr als zwei Wochen unentschuldigt gefehlt hatte. Diese fristlose Kündigung nahm der Arbeitgeber später wieder zurück und wandelte sie in eine Abmahnung um. Gleichzeitig vereinbarte er mit dem Arbeitnehmer, dass dieser sich einer Entzugstherapie unterzieht. Die Therapie schloss der Arbeitnehmer einige Monate später erfolgreich ab und wurde sodann wieder auf Montageeinsätze entsandt. Ca. ein Jahr nach dem Abschluss der Therapie kam es während eines Auslandseinsatzes des Arbeitnehmers zu einem Rückfall in die Alkoholkrankheit. Der Arbeitgeber nahm diesen Rückfall zum Anlass, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und vorsorglich ordentlich fristgerecht zu kündigen.
Das LAG München stellte zunächst heraus, dass es sich bei Alkoholabhängigkeit nach der Rechtsprechung des BAG um eine Krankheit im medizinischen Sinne handele und deshalb auf eine Kündigung, die wegen Alkoholabhängigkeit ausgesprochen werde, die Grundsätze für eine personenbedingte, d.h. krankheitsbedingte, Kündigung anzuwenden seien. Der Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung sei hingegen in aller Regel ausgeschlossen. Dies habe damit zu tun, dass der Kündigungsgrund bei einer verhaltensbedingten Kündigung in einer Vertragsverletzung zu sehen sei, die der Arbeitnehmer selbst verschuldet habe. Da es keinen Erfahrungssatz gebe, dass Alkoholabhängigkeit in der Regel selbst verschuldet sei, kämen verhaltensbedingte Kündigungsgründe bei der erstmaligen Reaktion eines Arbeitgebers auf eine von ihm erkannte Alkoholerkrankung des Arbeitnehmers zumeist nicht in Betracht. Alkoholmissbrauch eines alkoholkranken Arbeitnehmers sei deshalb in der Regel auch kein Anlass für eine Abmahnung. Der alkoholkranke Arbeitnehmer könne sein Verhalten gerade nicht mehr steuern, so dass der Zweck einer Abmahnung, zukünftige Missbrauchsfälle zu vermeiden, nicht erreicht werden könne.
Anders sei der Fall aber zu bewerten, wenn ein Arbeitnehmer bereits eine Entzugstherapie absolviert habe. Werde der Arbeitnehmer nach einer erfolgreich beendeten Entzugstherapie und sich daran anschließender längerer Zeit der Abstinenz wieder rückfällig, so spreche die Lebenserfahrung dafür, dass er die ihm erteilten dringenden Ratschläge bewusst missachtet habe. Wer bereits eine Entzugstherapie durchlaufen habe, kenne nämlich die Gefahren des Alkohols für sich und seine Gesundheit. Nehme ein Arbeitnehmer gleichwohl erneut Alkohol zu sich, führe er schuldhaft die sich negativ auf das Arbeitsverhältnis auswirkende Alkoholabhängigkeit herbei. Der Arbeitnehmer versetze sich dann selbst verschuldet in einen Zustand, in dem er seinen Arbeitspflichten nicht mehr nachkommen könne.
Das LAG München hat allerdings betont, dass jedenfalls der erstmalige Rückfall nicht ohne weiteres geeignet sei, einen an sich wichtigen Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung darzustellen. Die zugleich vorsorglich ausgesprochene ordentliche verhaltensbedingte Kündigung sei jedoch wirksam gewesen.